Ich weiß ganz genau, daß euch nicht zum Jubeln zumute ist, auch mir nicht“, erklärte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Sonntag abend bei seiner Ansprache im ÖVP-Festzelt vor der Bundesparteizentrale. „Ich habe nie damit gerechnet.“ Und neben seiner Volkspartei gab es am vergangenen Wahlabend mindestens zwei weitere Verlierer: die Meinungsforscher und die großen Medien, die ihr Ohr ebenfalls nicht „am Volk“ hatten. Alle Umfragen sahen die Kanzlerpartei ÖVP trotz „leichter Verluste“ als stärkste Kraft – mit bis zu 39 Prozent jeweils um zwei bis drei Prozentpunkte vor der seit 2000 oppositionellen SPÖ. Unklar sei nur, welche Koalitionsregierung künftig die Alpenrepublik regiert. Doch genau daß ist schon seit den ersten Hochrechnungen ziemlich klar: Alles läuft auf eine Große Koalition hinaus – wie 1987 bis 1999 mit einem sozialdemokratischen Kanzler und einem ÖVP-Vizekanzler. Denn eine andere regierungsfähige Mehrheit läßt dieses Wahlergebnis nicht zu. Das von der ÖVP-Führung und „bürgerlichen“ Grünen nicht ausgeschlossene und sogar von Teilen der Medien und der Wirtschaft präferierte Experiment Schwarz-Grün ist rechnerisch nicht möglich. Die FPÖ wurde von ÖVP und SPÖ als Regierungspartner defi nitiv ausgeschlossen. Laut dem vorläufi gen amtlichen Endergebnis – die Auszählung der etwa eine Viertel Million Briefwähler wird erst kommenden Montag bekanntgegeben – wird die SPÖ mit 35,71 Prozent stärkste Partei. Die Sozialdemokraten verloren zwar über 200.000 Stimmen im Vergleich zur Nationalratswahl 2002, aber „dank“ der von 80,5 auf 74,2 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung sind es so nur 0,8 Prozentpunkte weniger. Dabei war die Ausgangslage denkbar schlecht. SPÖ-Chef und Spitzenkandidat Alfred Gusenbauer ist alles andere als ein Volkstribun und Medienprofi . Die Aff äre um die hoch riskanten „Karibik-Geschäfte“ der Gewerkschaftsbank Bawag schien die Sozialdemokraten geschwächt zu haben. „Wenn uns so ein Skandal passiert wäre, hätten uns die Wähler abgestraft“, erklärte resignierend der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer – und vergaß dabei, daß die Wähler ganz andere Sorgen haben als Politiker und Journalisten, die den Skandal wochenlang genüßlich am Kochen hielten. Die ÖVP, die glaubte, angesichts der guten Wirtschafts- und Finanzdaten alles richtig gemacht zu haben, wurde hingegen wirklich regelrecht abgestraft: Sie verlor mit über 550.000 Stimmen ein Viertel ihrer Wähler und 8,08 Prozentpunkte. Mit nur 34,22 Prozent ist sie nur noch zweite Kraft. Das ausnahmsweise richtig prognostizierte „Rennen um Platz drei“ entschieden erneut nicht die von den linken und linksliberalen Medien gehätschelten Grünen (10,49 Prozent/+1,02) unter Alexander van der Bellen, sondern die rechten Freiheitlichen für sich. Die „Alt“-FPÖ unter Heinz-Christian Strache (JF 40/06) legte – trotz heftigsten medialen Gegenwinds – um 1,2 Prozentpunkte auf 11,21 Prozent zu. Das einstige „Dritte Lager“ insgesamt legte sogar noch mehr zu: denn auch das mit der ÖVP regierende Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) schaff – te – entgegen den Meinungsumfragen – mit 4,2 Prozent knapp den Einzug ins Parlament. Das 2005 als BZÖ unter Ex-Parteichef Jörg Haider abgespaltene FPÖ-Regierungslager ist aber faktisch eine Kärntner Regionalpartei. Dort angetreten unter dem Namen „Die Freiheitlichen in Kärnten – Liste Jörg Haider – BZÖ“, wurden die „Orangenen“ dort mit 25,41 Prozent vor der ÖVP zweitstärkste Kraft. Die FPÖ kam in der Heimat von Landeshauptmann Haider nur auf 7,3 Prozent. In den anderen acht Bundesländern als „Die Freiheitlichen – Liste Westenthaler – BZÖ“ fi rmierend, wurde nirgends die Vier- Prozent-Hürde übersprungen. Im bevölkerungsreichen Wien, der Heimat von Strache, wo die FPÖ diesmal 14,36 Prozent erzielte, landete das BZÖ mit 1,86 Prozent hinter der EU-kritischen „Liste Dr. Martin – Für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit“. Der anfangs von der aufl agenstarken Kronen Zeitung unterstützte und in Umfragen um vier Prozent gehandelte EUParlamentarier Hans-Peter Martin verfehlte mit 2,83 Prozent überraschend deutlich den Einzug in den Nationalrat. HPM konnte nur im Lkw-Transit-geplagten Tirol (4,18 Prozent) und in Vorarlberg (7,84 Prozent) ein nennenswertes Proteststimmenpotential auf sich lenken. Bei den Europawahlen 2004 war er mit 14 Prozent überraschend dritte Kraft geworden. Die KPÖ konnte übrigens mit 1,01 Prozent (+0,45) auch einen kleinen Sieg verbuchen. Mit über 17.500 Stimmen verbuchte sie den größten Zuwachs unter den Traditionsparteien. Auch die voraussichtlich 141.000 Euro staatliche Wahlkampfhilfe wird die – angeblich einst reichste Partei Europas – gerne annehmen. Oberflächlich gesehen hat sich mit der Nationalratswahl 2006 nichts grundsätzlich geändert: Die bürgerlichen Parteien haben mit 95 Sitzen (ÖVP 66, FPÖ 21, BZÖ 8) weiter eine klare absolute Mehrheit (mindestens 92 Mandate) – wie durchgehend seit 1983, als die SPÖ ihre absolute Mehrheit verlor. Rot-Grün kommt nur auf 88 Sitze. Schwarz-Grün, das 2002 mit 96 Sitzen erstmals eine klare Mehrheit gehabt hätte, ist nun sogar auf nur noch 66 von 183 Mandaten zusammengerutscht. Eine schwarz-blau-orangene Dreierkoalition aus ÖVP, FPÖ und BZÖ ist aber nicht nur aufgrund persönlicher Animositäten, sondern vor allem aus inhaltlichen Gründen derzeit ausgeschlossen. Die Forderungen der FPÖ in der Außen-, Europa- und Einwanderungspolitik sind ebensowenig mit der ÖVP kompatibel wie die freiheitliche Sozialpolitik („Sozial statt Neo-Liberal“), die eher zur SPÖ passen würde. Doch für Rot-Blau gibt es auf absehbare Zeit keine Chance – das internationale Echo auf eine vergleichbare Koalition in der Slowakei war verheerend. Und die SPÖ gehörte in diesem Sommer schließlich zu den lautesten Kritikern der Preßburger Genossen. Daher wird wohl Alfred Gusenbauer noch in diesem Jahr als Bundeskanzler einer rotschwarzen Koalition vereidigt werden. Einen Unsicherheitsfaktor gibt es aber noch, denn die Wahlkarten-Auszählung birgt Spannung. Die etwa 400.000 Briefwähler könnten nämlich noch einiges umdrehen. Die Grünen, die in dieser Wählergruppe traditionell überrepräsentiert sind, könnten theoretisch noch drittstärkste Kraft vor der FPÖ werden. Und erst am 9. Oktober ist endgültig klar, ob das BZÖ überhaupt in den Nationalrat einzieht. Denn daß das BZÖ im Wahlkreis Kärnten Ost doch noch ein Grundmandat schaff t, um die Vier-Prozent-Hürde zu umgehen, ist fast ausgeschlossen. Sollte das BZÖ es nicht in den Nationalrat schaff en, würden die Karten völlig neu gemischt: eine knappe rotgrüne Mehrheit wäre dann denkbar. Aber da die SPÖ Alexander Zach, den Chef des erfolglosen libertär-linken Liberalen Forums (LiF), auf ihrer Liste ins Parlament gehievt hat, dürfte eine solche Variante wohl als zu riskant angesehen werden. Foto: Wahlsieger Alfred Gusenbauer (M.) mit Lebensgefährtin Eva Steiner (l.): Künftiger Bundeskanzler einer rot-schwarzen Großen Koalition?