Noch unter der rot-grünen Bundesregierung wurde am 9. Mai 2005 eine Expertenkommission aus Historikern und ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern gebildet, die unter der Leitung des Potsdamer Zeithistorikers Martin Sabrow ein Konzept für die zukünftige politische und historische Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland erarbeiten sollte. In ihrem Abschlußbericht, der am Montag in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, bezeichnet die Kommission die bisherige Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland als einen großen Erfolg, insbesondere im Vergleich mit der Aufarbeitung des NS-Regimes nach 1945. Besonders wird die aktive Teilhabe des Bundestages an diesem Prozeß herausgehoben, die sich in der Arbeit der zwei Enquete-Kommissionen „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ und „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ sowie der Errichtung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur niedergeschlagen habe. Aber auch die Schaffung eines Netzwerkes von Archiven, Dokumentationszentren und Austauschforen zu Widerstand und Opposition gegen das SED-Regime, die generelle Öffnung der staatlichen und parteilichen Überlieferung der DDR unter Aufhebung der üblichen dreißigjährigen Sperrfrist, die Einrichtung und die Arbeit der Behörde der Bundesbeauftragten für die Akten des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) werden als positive Beispiele angeführt. Defizite der bisherigen Arbeit sieht die Expertenkommission dagegen vor allem bei der trotz großer Bemühungen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit „mehr und mehr in den Hintergrund tretenden Vermittlung der DDR-Geschichte“. Ferner beklagen die Experten „eine in den letzten Jahren zunehmende und insbesondere medial vermittelte Trivialisierung der DDR als politischem System“. Es würden vermehrt Versuche unternommen, die auf eine „geschichtsrevisionistische Negierung ihres Diktaturcharakters“ zielten und mit „einer Verächtlichmachung ihrer Opfer“ einhergingen. Zudem gebe es nach wie vor eine nach Ost und West geteilte Wahrnehmung der DDR-Geschichte, die in den alten Bundesländern nur selten als Teil der gesamtdeutschen Historie erachtet werde. In das Zentrum ihrer Empfehlungen für die zukünftige historisch-politische Aufarbeitung der SED-Diktatur stellt die Kommission die Forderung nach institutionellen Veränderungen. Der Gesamtkomplex solle in drei Themenbereiche „Herrschaft, Gesellschaft, Widerstand“, „Überführung und Verfolgung“ sowie „Teilung und Grenze“ untergliedert werden. Die zentrale Verantwortung sollen – bei Aufrechterhaltung der Autonomie der dezentralen Einrichtungen – sogenannte Kerninstitutionen übernehmen. Für den Komplex „Herrschaft, Gesellschaft, Widerstand“ schlagen die Experten ein organisatorisch von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur getragenes „Forum Aufarbeitung“ vor. Auf dem Gebiet „Überführung und Verfolgung“ sei eine enge Verzahnung der BStU-Abteilung Bildung und Forschung mit den Gedenkstätten Hohenschönhausen und dem Haus 1 in der Berliner Normannenstraße (ehemalige Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit) wünschenswert, die zusammen ein Forschungs- und Dokumentationszentrums „Diktatur und Geheimpolizei“ bilden sollen. Für die Verantwortung von „Teilung und Grenze“ sei die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße geeignet. Alle drei Kerninstitutionen sollten laut den Empfehlungen als eigenständige Stiftungen geführt werden. Die DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier schloß sich den Empfehlungen der Kommission in wesentlichen Punkten nicht an und präsentierte ein eigenes Sondervotum. Darin bemängelte sie, daß Teile der Kommission die DDR lediglich als „historisch abgeschlossenes Gebilde“ betrachtet hätten. Doch das „Weiterwirken ehemaliger Nomenklaturkader“ belege, daß die Netzwerke nicht aufgelöst seien, sondern in „strategisch verfeinerter“ Form auch heute noch existierten: „Die Spitzen der untergegangenen Diktatur marschieren nicht nur in Gedenkstätten auf – sie sitzen im Bundestag, in den Medien, in Schulen und vielfältigen Gremien unserer Demokratie. Und sie werden nicht müde, ihren Unrechtsstaat im nachhinein demokratisch aufzupolieren und in der öffentlichen Erinnerung zu glätten“, sagte Klier. Von diesem Standpunkt aus erscheint ihr die von der Kommission vorgeschlagene Auseinandersetzung als zu wenig „offensiv“: Statt einer weiteren Stärkung der Historisierungsarbeit in Institutionen, deren Ergebnisse gerade bei der nachwachsenden Generation kaum vermittelbar seien, müsse statt dessen viel mehr der „sinnliche Nachvollzug staatlicher Repression“ und die Frage, „was Menschen in Diktaturen einander anzutun vermögen“, in den Mittelpunkt gerückt werden. Doch nicht nur im Sondervotum Kliers wurde Kritik laut. Der langjährige Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und jetzige Leiter der Abteilung Kultur und Medien beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Hermann Schäfer, bezeichnete das Papier in weiten Teilen als „widersprüchlich“. Exemplarisch hob er hervor, daß einerseits der Erhalt von unabhängigen, dezentralen Institutionen gefordert werde, während andererseits die Einrichtung von drei Kerninstitutionen auf eine Zentralisierung hinauslaufe. Bundestag entscheidet Ende des Jahres Ferner kritisierte Schäfer, daß in den Empfehlungen die universitäre Forschung keine Rolle spiele und die von den Experten beklagte „Trivialisierung“ der Thematik in Filmen und Romanen für viele Bürger überhaupt erst den Einstieg in die Materie ermöglicht hätte. Auf der anderen Seite benenne das Papier das tatsächliche Unrecht des kommunistischen Regimes nicht deutlich genug und enthalte auch keine konkreten Empfehlungen, wie Tendenzen, die auf eine Verharmlosung abzielten, zu wehren sei. Dagegen beurteilte die BStU-Vorsitzende, Marianne Birthler, die Empfehlungen der Kommission positiv. Die vorgeschlagene Gliederung sei „schlüssig und überzeugend“. Anfang Juni wird eine erste Anhörung im Bundestag stattfinden, zu der die Fachöffentlichkeit ihre Positionen einbringen kann. Mit einer Entscheidung über das zukünftige öffentliche Gedenken an die kommunistische Diktatur in Deutschland wird Ende dieses Jahres gerechnet.