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Regierung beliefert Karlsruhe mit Zeitungsartikeln

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Seit vergangenem Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Organklagen der Bundestagsabgeordneten Jelena Hoffmann (SPD) und Werner Schulz (Bündnis 90/ Die Grünen) gegen die Bundestagsauflösung. Das Gericht muß prüfen, ob der Bundeskanzler eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit des Bundestages getragene Politik sinnvoll verfolgen kann oder nicht. Verfügt der Kanzler über eine ausreichende Mehrheit, dann war die Bundestagsauflösung verfassungswidrig. Ohne Namen zu nennen, deutete Kanzler Schröder in seiner Rede vor der Abstimmung zur Vertrauensfrage an, es habe in der Koalition Drohungen mit Austritt oder abweichendem Stimmverhalten gegeben. Deshalb habe er keine „stetige und verläßliche Basis für seine Politik“. Nach der Verhandlung bleibt offen, ob das Verfassungsgericht dieser Einschätzung folgt. Der Berichterstatter in dem Verfahren, Udo di Fabio, äußerte, daß sich die Einschätzung des Bundeskanzlers nur schwer überprüfen lasse. Sein Kollege Hans-Joachim Hentsch machte dagegen „erhebliche Bedenken“ gegen die vorgebrachte Begründung geltend. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, warf die Frage auf, inwieweit das Gericht in fremde Einschätzungsspielräume eindringen darf. Setzt sich unter den Richtern die Auffassung durch, daß die Einschätzung des Bundeskanzlers hinzunehmen ist, dann wäre eine Bundestagsauflösung nach einer fingierten Vertrauensfrage verfassungsgerichtlich kaum überprüfbar und die Regierungskoalition könnte praktisch jederzeit den Bundestag auflösen. Diese Möglichkeit wollten die Verfassungsväter aber gerade ausschließen. In dem Urteil zur Vertrauensfrage von 1982 haben die Karlsruher Richter die Einschätzung des Bundeskanzlers Kohl eingehend überprüft und seitenlange Ausführungen zu der Frage gemacht, warum sich dieser auf große Teile der FDP-Fraktion nicht habe verlassen können. Solches Argumentationsmaterial fehlt bei der aktuellen Vertrauensfrage. Die vom Bundeskanzler dem Bundespräsidenten zu dieser Frage abgegebene Stellungnahme besteht nur aus einer 235 Seiten starken Sammlung von Zeitungsartikeln. In dieser Artikelsammlung findet sich nicht ein einziger Beleg für Drohungen mit Austritten oder abweichendem Stimmverhalten. Als einziger potentieller Abweichler wird der SPD-Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner erwähnt. Fünf Artikel sollen die Gefährdung der Planbarkeit und Verläßlichkeit der Außenpolitik durch die Abgeordneten Hans-Christian Ströbele und Winfried Hermann von Bündnis 90/ Die Grünen belegen. Artikelsammlung wird Richter kaum überzeugen Am umfangreichsten ist der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine in der Artikelsammlung vertreten, der überhaupt keinen Einfluß auf die Mehrheitsverhältnisse in der Koalition hat. Mit dieser Artikelsammlung werden die Richter kaum zu überzeugen sein. Selbst wenn einige Abweichler in Einzelfällen mit abweichendem Stimmverhalten gedroht haben, dann führt dies nicht dazu, daß der Bundeskanzler keine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik verfolgen kann. Mit abweichendem Stimmverhalten in Einzelfällen ist die Regierungsfähigkeit noch nicht in Frage gestellt. „Stetiges Vertrauen“ bedeutet nicht bedingungslose Gefolgschaft. Ein „stetiges Vertrauen“ der Mehrheit des Bundestages ist gegeben, wenn der Kanzler seine Politik im großen und ganzen verfolgen kann. Das Vertrauen ist nur dann nicht vorhanden, wenn das Regierungsprogramm grundsätzlich nicht mehr unterstützt wird. Die Koalition hat im Bundestag immerhin eine Mehrheit von drei Stimmen. Die namentlich genannten „Abweichler“ hatten nur in einzelnen politischen Fragen Differenzen mit dem Kanzler, nicht mit dem gesamten Regierungsprogramm. Auch bei einer erfolgreichen Bundestagswahl blieben Schröder die Widersacher voraussichtlich erhalten: Schreiner ist Spitzenkandidat im Saarland und damit auch im nächsten Bundestag vertreten. Ströbele ist bereits 2002 als Direktkandidat gewählt worden und hat ebenso wie Hermann durchaus berechtigte Chancen auf ein neues Mandat. Dem Bundesverfassungsgericht liegen auch mehr als ein Dutzend Verfassungsbeschwerden gegen die Bundestagsauflösung vor. 1983 hat das Bundesverfassungsgericht solche Verfassungsbeschwerden mit der Begründung abgewiesen, daß Artikel 38 Grundgesetz eine allgemeine, unmittelbare, freie gleiche und geheime Wahl garantiere sowie das aktive und passive Wahlrecht gewährleiste, nicht jedoch das Recht des einzelnen Wählers darauf, daß der Bundestag nicht vorzeitig aufgelöst wird. Das Scheitern der aktuellen Verfassungsbeschwerden ist damit aber nicht präjudiziert, denn seit dem Maastricht-Urteil von 1993 hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die Wahlrechtsgarantie auch den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts garantiert. Dieses Recht wäre aber wertlos, wenn der Bundestag jederzeit verfassungswidrig aufgelöst werden könnte. Es spricht daher einiges dafür, daß der einzelne Wahlberechtigte einen Abwehranspruch gegen eine verfassungswidrige Auflösung des Bundestages hat. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes wird bis Ende des Monats erwartet.

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