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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Die Kandidatin antwortet nicht

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Sehr geehrte Frau Roth, … Wann spricht die grüne Partei endlich von SteuerhinterzieherInnen, VergewaltigerInnen, StraftäterInnen, VerkehrssünderInnen … etc.? Gibt es Order, die weibliche Form nur dann anzuwenden, wenn etwas Wertneutrales oder etwas Positives zu bezeichnen ist?“ fragt ein Wähler die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, die in Augsburg um ein Direktmandat für den Bundestag kämpft. Ihre Antwort steht noch aus. Zu finden wäre sie dann im Internetforum Kandidatenwatch.de ( www.kandidatenwatch.de ). Die virtuelle Begegnungsstätte zwischen Politik und Volk ist leicht zu bedienen. Wer seine Postleitzahl eingibt, erhält umgehend eine Liste der Direktkandidaten aller Parteien, die am eigenen Wohnort um Stimmen kämpfen. Oder man klickt auf der Deutschlandkarte einen beliebigen Wahlkreis an und schaut nach, wer sich dort um ein Mandat bewirbt. Wer dagegen prominente Namen wie Angela Merkel, Hans Eichel oder Oskar Lafontaine in die Suchmaske eintippt, wird keinen Erfolg haben. Auf direktem Weg lassen sich die Promis nicht finden, es geht nur über die Wahlkreise. Und dieses Hindernis ist Absicht – die Betreiber wollen keinen Prominentenkult unterstützen, wie sie deutlich machen: „Wir wollen weg von der Zuschauerdemokratie und hin zu einer Kultur der Beteiligung und des Dialogs“. Alle Parteien kommen zu Wort Betreiber der Seiten ist die Hamburger Vereinigung Mehr Demokratie e.V. mit 3.950 Mitgliedern, die in wahlkampffreien Zeiten für das Recht auf Volksentscheid eintritt. Der Computerauftritt finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Einnahmen. 100 Euro zahlen die Abgeordneten, wenn sie ihr Foto und ihre Inter-net adresse bei Kandidatenwatch.de veröffentlichen wollen. Bemerkenswert ist, daß tatsächlich alle Parteien zu Wort kommen: „Ich kann mich nur dafür einsetzen, die Gegenpositionen zum US-Wirtschaftsimperialismus (gerade auch im kulturellen Bereich) zu stärken und eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich und Rußland anzustreben“, schreibt etwa Roland Wuttke, NPD-Kandidat im Münchner Norden. Damit alles fair, überparteilich und sachlich zugeht, haben die Betreiber ein Kuratorium ins Leben gerufen. Bekannteste Mitglieder sind Dirk Ahlers (Vorstandsvorsitzendes Lebensmittelunternehmens Frosta AG), Frank Teichmüller (ehemaliger Bezirksleiter der IG-Metall-Küste) und Ingrid Kolb (Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule). „Knapp über 30 Beiträge wurden bisher abgelehnt. Bis Ende August gingen über 7.600 Fragen ein, 4.071 Antworten gaben die Abgeordneten“, erzählt Nadine Ebinghaus, Pressesprecherin von Kandidatenwatch.de. Nicht freigeschaltet werden demnach Beiträge, die Beleidigungen oder Beschimpfungen enthalten. Nicht zulässig sind zudem Fragen zum Privatleben der Abgeordneten sowie Fragen, die unter die berufliche Schweigepflicht fallen. Natürlich lassen sich auf den Internetseiten Fragen finden, die man leicht als Scherz abtun kann. So werden viele bayerische Abgeordnete nach dem ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatz „Bombodrom“ gelöchert. Dieser liegt allerdings in Brandenburg und nicht im Freistaat. „Sie werden sicherlich verstehen, daß ich aufgrund der geographischen Distanz (Nürnberg in Bayern) hier kein festlegendes Urteil abgeben möchte“, schreibt Uwe Laschke von der Bayernpartei und wägt dann die Vorteile und Nachteile des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr in der Oberpfalz ab. Auf 40 Zeilen wendet er die Argumente hin und her – ein Kontrastprogramm zu Wahlveranstaltungen, die oft rechten oder linken Stammtischen gleichen. Keine Festzeltschreierei, kein Bier, keine aufgepeitschten Emotionen, keine Feindbilder und Ängste, die beschworen werden. Auch Martin Hohmann kann gefragt werden Genutzt wird Kandidatenwatch.de nicht nur von unbekannten Bundestagsbewerbern, sondern auch von Kandidaten, die aus ihrer Partei ausgeschlossen wurden. Beispiel Martin Hohmann: Der ehemalige CDU-Abgeordnete hätte so die Möglichkeit, seine Sichtweise und Vorstellungen darzulegen. Doch Hohmann hat bislang nur auf eine von vier Fragen geantwortet. Vollkommen passiv agieren einige Spitzenpolitiker wie etwa Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel. Sie ist mit 92 Fragen die begehrteste Person bei Kandidatenwatch.de – und verzichtet bislang auf jede Antwort. Dabei sprechen die potentiellen Wähler lauter seriöse Themen an: von der Pendler- bis zur Kopfpauschale. „Frau Merkel berät sich noch mit der CDU, ob sie antworteten soll“, erklärt eine Sprecherin von Kandidatenwatch.de gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Ähnlich schweigsam ist der Bundesfinanzminister (Wahlkreis Kassel). „Sehr geehrter Herr Eichel, bitte erklären Sie mir doch mal, warum Sie zunächst den Spitzensteuersatz senken und jetzt ins Wahl’manifest‘ schreiben lassen, daß Sie ihn wieder erhöhen wollen?“ Eichel hätte bislang nur fünf Fragen zu beantworten. Der elektronischen Variante der Demokratie verschließt sich auch die Führung der in Linkspartei umbenannten PDS „Sehr geehrter Herr Dr. Gregor Gysi, bisher habe ich Sie ja als sehr schlagfertig und meist rhetorisch geschickt erlebt, aber wo bleiben Ihre Antworten auf die Fragen bei kandidatenwatch, auf die auch ich mit großer Spannung warte?“ beklagt sich ein Teilnehmer bei dem Hoffnungsträger der Linkspartei. Selbst im Verteidigungsministerium herrscht Funkstille: „Sehr geehrter Herr Struck … Warum antworten Sie auf keine einzige der hier gestellten Fragen?“ Etwas gewiefter ist da der grüne Außenminister Joseph Fischer: Er läßt einfach einen wissenschaftlichen Mitarbeiter die Fragen der Wähler beantworten.

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