Mit Ungläubigkeit und Unverständnis haben Politiker von SPD und Grünen auf das Interview von Egon Bahr mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 46/04) reagiert. In der taz vom Montag bezeichnete Michael Müller, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, das Interview von Bahr als eine „Dummheit“. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy zeigte sich wenig begeistert: „Das ist unfaßbar“, machte er seinem Ärger im Berliner Tagesspiegel vom Sonntag Luft. Mehr noch als das Gespräch nehmen es die Genossen dem verdienten Parteimann Bahr offensichtlich Übel, daß er die JF-Redakteure im Allerheiligsten der Sozialdemokratie, dem Berliner Willy-Brandt-Haus, empfangen hatte. Müller nennt es einen „großen Fehler“. Edathy geht noch weiter: Für ihn ist es „ein absolutes Unding“, daß Bahr der JUNGEN FREIHEIT Gastrecht gewährt hat. Während sich Edathy Rückendeckung beim SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering und bei Generalsekretär Klaus Uwe Benneter holte, die Edathys Angaben im Tagesspiegel vom Dienstag zufolge das Interview ebenfalls mißbilligen, glaubt Müller an die Einsichtigkeit seines 82 Jahre alten Parteifreundes: „Er habe seinen Fehler inzwischen sicher selbst eingesehen“, wird Müller, der Bahr übrigens „weiterhin für einen anständige Mann“ hält, in der taz zitiert. Ähnlich scharfe Kritik wie von Edathy und Müller äußerte auch Omid Nouripour, Mitglied des Bundesvorstands der Grünen. Schon die Überschrift des Artikels im sonntäglich Tagesspiegel verrät, was die Zeitung von der Gesprächsbereitschaft Bahrs hält: „Zu viel der Freiheit“, titelte das Blatt. „Er ist einer der großen, alten Männer der SPD und auch über die Partei hinaus hochgeachtet“, bringt der Autor des Artikels sein Unverständnis zum Ausdruck und behauptet, Bahr habe „teilweise verwirrende Antworten“ gegeben: So stößt er sich daran, daß Bahr im Gespräch mit der JF äußerte, der Kniefall Brandts in Warschau habe „deutsche Schuld bezeugt“, gleichzeitig aber feststellte: „Aber kein Volk kann dauernd kniend leben.“ Weniger verwirrend als vielmehr ärgerlich findet die Süddeutsche Zeitung vom Dienstag diese Passage: „Ein Satz, der sich schnell zu einer Losung der extremen Rechten umfunktionieren läßt.“ Auf derlei zweifelhafte inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Interview wird in der taz vom Montag gleich ganz verzichtet. In fast schon resignativen Ton stellt die Zeitung statt dessen fest: „Wieder einmal hat mit Egon Bahr ein renommierter Politiker der ‚Jungen Freiheit‘ ein Interview gegeben.“ Egon Bahr zeigt sich unterdessen wenig beeindruckt von der Kritik an seiner Breitschaft, der JUNGEN FREIHEIT ein Interview zu geben. Das Gespräch halte er immer noch für „vertretbar“, zitiert ihn der Tagesspiegel. In einem Bericht in der 3Sat-Sendung „Kulturzeit“ am Dienstag, in dem die JF als „rechtskonservativ“ bezeichnet wurde, bekräftigte Bahr abermals seine Entscheidung. Er habe die Zeitung zuvor einige Monate gelesen und halte sie für ein intelligentes Blatt. Viel Lob fand der SPD-Veteran für die Behandlung des 20. Juli in der JUNGEN FREIHEIT. Er stellte heraus, daß auch die Sozialdemokraten unter den Verschwörern in der Berichterstattung der JF entsprechend gewürdigt worden seien. Bahr schloß seine Stellungnahme vor der Kamera mit der Feststellung, daß es für ihn in erster Linie darauf ankomme, was er in dem Interview gesagt habe.
- Ausland