S eit über 20 Jahren ist es keinem israelischem Regierungschef gelungen, aus Parlamentswahlen mit einer so deutlich erweiterten Mehrheit hervorzugehen. Und seit 34 Jahren gab es das nicht mehr, daß eine Regierungspartei doppelt so viele Mandate erringt wie die größte Oppositionspartei. So gesehen ist der Wahlsieg Ariel Scharons und seiner Likud-Partei, die mit 38 von 120 Mandaten ihre Abgeordnetenzahl glatt verdoppelte, und die dramatische Niederlage der Staatsgründerpartei, der traditionsreichen Arbeitspartei (19 statt 25 Mandate) als historisch einzustufen. Nicht nur der überwältigende Sieg der „rechten“ Parteien, die den Oslo-Prozeß – den vermeintlichen Friedensschluß mit den Palästinensern, für den Premier Itzhak Rabin, Außenminister Schimon Peres und Jassir Arafat 1994 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurden – als das größte Versagen in der Geschichte Israels betrachten, hat diese Wahl zum historischen Ereignis gemacht. Auch in ganz anderer Hinsicht zeichnet sich ein Wandel in der israelischen Gesellschaft ab, die seit der Staatsgründung 1948 zunehmend gewisse theokratische Züge annahm. Ursache dafür war die zersplitterte Struktur der israelischen Parteienlandschaft, die beide großen Parteien – Arbeitspartei und Likud – immer wieder zu Koalitionen mit den verschiedenen orthodoxen Parteien zwang. Die Religiösen verlangten aber für ihre Regierungsbeteiligung eine Gegenleistung: gesetzliche und finanzielle, aber heftig umstrittene und teure Privilegien für ihre Anhänger. Dagegen stritt seit langen Jahren die Schinui-Partei (Schinui bedeutet Wandel) des wortgewaltigen Journalisten Tommy (Josef) Lapid, die nun, mit 15 statt 6 Mandaten als drittgrößte Partei in die Knesset einzieht. Sollte Lapid wie angekündigt in eine Regierungskoalition unter Scharon eintreten, könnte es zukünftig keine Befreiung vom Wehrdienst mehr für die etwa 22.000 Jeschiwa-Studenten geben, der Verkehr am Sabbat wird wieder freigegeben und die Israelis werden künftig das Recht haben, zivilrechtlich zu heiraten oder sich scheiden zu lassen. Die hohen Subventionen für existente (aber manchmal auch für nichtexistente) religiöse Schulen werden dann ebenfalls ein Ende haben. Daß die Schinui-Partei (die Verhandlungen mit Arafat wie der Likud ablehnt) in eine Koalition mit dem Likud eintreten wird, ist so gut wie sicher. Zwar hatte Lapid vor der Wahl erklärt, er trete nur einer Regierung der „nationalen Einheit“ bei wenn auch die sozialdemokratische Arbeitspartei dabei sei. Doch deren Parteichef Amram Mitzna will für den Fall eines „nationalen Notstands“, wie einen Angriff des Irak, erneut mit dem Likud koalieren. Daher hat sich Lapids Ablehnung der Religiösen aufgeweicht. Er scheint nun bereit zu sein, zumindest in eine kleine Koalition mit der Partei des Vereinten Torah-Judaismus (5 Mandate) einzutreten. Nur mit der Partei des sephardischen Rabbi Ovadia Josef, einem orthodoxen „Fundamentalisten“ (siehe JF 33/00), will er weiterhin unter keinen Umständen zusammenarbeiten. Möglich wird dies durch eine Schwächung der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei, die mit 11 statt 17 Sitzen nur noch viertstärkste Kraft ist und zur Mehrheit nicht gebraucht wird. Inzwischen regt sich innerhalb der Arbeitspartei gegen die Mitzna-Absage heftige Opposition, und der 79jährige Schimon Peres hat indes die Möglichkeit einer erneuten Koalition mit dem Likud angedeutet. Kenner der israelischen Szene behaupten, die Tage Mitznas an der Parteispitze seien gezählt. Der Bürgermeister von Haifa war in die Wahl mit der erklären Absicht gezogen, sofort – trotz des andauernden blutigen Selbstmordterrors – in Verhandlungen mit den Palästinensern einzutreten. Das lehnt offenbar eine große Mehrheit der Israelis zur Zeit ab. Und der 74jährige Scharon ist nun in einer komfortablen Situation: Er kann jederzeit eine kleine Koalition mit extrem rechtsgerichteten (wie der Nationalen Einheit mit 7 Mandaten) und kleineren religiösen Parteien oder eine etwas größere Koalition mit Schinui und einigen Kleinparteien bilden. Doch dem amtierenden Premier schwebt weiterhin eine breite Regierung der nationalen Einheit vor, um dem zu erwartenden US-Druck nach einer Besetzung des Irak leichter zu widerstehen. Aus Washington werden ganz sicher Forderungen kommen, denn die strategischen US-Vorstellungen laufen auf eine politische Neuregelung der gesamten Region hinaus – und ein zukünftiger Palästinenserstaat soll darin eine feste Größe sein. Scharon spielt daher auf Zeit: das Wahlgesetz sieht vor, daß er bis Ende Februar Staatspräsident Mosche Katzav einen konkreten Vorschlag für die Regierungsbildung vorlegen muß. Diese Zeitspanne kann um 14 Tage verlängert werden. Scharon, der über den Gang der Dinge im Mittleren Osten einer der bestinformiertesten Politiker überhaupt ist, wird diese gesetzlich gesicherte Frist wahrscheinlich voll ausnutzen. Er rechnet nach Ansicht qualifizierter Beobachter mit dem US-Schlag gegen den Irak vor dem 10. oder 11. März. Und angesichts der drohenden Gegenschläge Saddam Husseins – womöglich sogar mit chemischen oder biologischen Waffen – wird sich auch die Arbeitspartei, mit oder ohne Mitzna, nicht einer Regierung der nationalen Einheit verschließen können. Der überwältigende Wahlsieg Scharons war auch ein klares Signal ans Ausland: Nicht die „Friedensparteien“ wie die linke Meretz (6 statt 10 Mandate) vertreten die Mehrheit der Israelis, sondern die „Rechten“, die die harte Haltung von Ex-General Scharon teilen. In Ägypten scheint dieses Signal -im Gegensatz zur EU – schon angekommen zu sein: Präsident Hosni Mubarak hat letzten Montag Ariel Scharon zu Gesprächen über eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses eingeladen. Die Begegnung soll im Badeort Sharm el Sheikh am Roten Meer stattfinden.
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