Es begann harmlos: Der international renommierte Komponist Mikis Theodorakis lud am 4. November in sein Haus am Fuße der Akropolis einige Freunde ein, um ihnen drei neue Bände seiner politischen Schriften („Wo kann ich meine Seele finden“ mit Interviews, Artikel, Stellungnahmen) vorzustellen. Wie es seine Art ist, nahm der 78jährige Ex-Kommunist in einem Rundumschlag Griechenland und die Welt aufs Korn. Mit Blick auf Israel sagte er: „Wir (Griechenland und Israel) sind zwei Staaten ohne Brüder in der Welt, wir und die Juden, aber sie haben Fanatismus und Kraft. Heute können wir sagen, daß dieser kleine Staat die Wurzel des Bösen ist, nicht des Guten, was heißt, daß zu viel Selbstherrlichkeit und zu viel Dickköpfigkeit böse sind.“ An diesen Worten nahm zunächst niemand Anstoß – auch nicht die anwesenden Prominenten der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), Kulturminister Evangelos Venizelos und Erziehungsminister Petros Efthymiou. Erst als die Rede durch einen Pressebericht bekannt wurde, protestierte der Zentralrat der israelitischen Gemeinden in Griechenland: Die Aussagen des Musikers erinnerten an „die Ideen des dunklen Mittelalters und an die von Nazi-Deutschland gebrauchten Parolen“, sie verbreiteten „Fanatismus und Rassismus“. Das israelische Außenministerium erklärte, die Äußerungen seien „antisemitisch“, und drückte seine Betroffenheit darüber aus, „daß solche Bemerkungen von einer so einflußreichen Persönlichkeit gemacht wurden“. Theodorakis gab jedoch nur die heute in Griechenland vorherrschende Ansicht über die Situation im Nahen Osten wieder. Und die Griechen benutzen in der Tat oft das „Wir“, wenn es um Israel und die Juden (Hebräer) geht. Dabei spielen religiöse Unterschiede keine große Rolle. Wichtiger für die Griechen sind die geopolitischen Gemeinsamkeiten der beiden Länder: „Grenzland zur islamischen Welt“ zu sein. Zwar gibt es auch in Griechenland „Verschwörungstheoretiker“, die alles Übel in der Welt auf „die Juden“ zurückführen. Solche Kreise finden aber keine Resonanz – weder in der Presse noch in der Politik. Aktuelle Fragen im Zusammenhang mit Israel und den Juden werden aber offen diskutiert – Wächter über „politische Korrektheit“ sind in Griechenland ohne Einfluß. In den letzten Jahren gab es einen Stimmungsumschwung gegen Israel. Das hat nichts mit „Antisemitismus“, sehr viel aber mit der Politik von Premier Ariel Scharon zu tun. Die Griechen verstehen die Lage israelischer Eltern, die morgens ihr Kind in die Schule schicken und nicht wissen, ob und wie es zurückkommen wird. Sie verurteilen den palästinensischen Terror – ebenso aber auch die Politik Scharons. Dabei wird oft die Frage gestellt: „Was will Scharon? Wenn es so weitergeht, kann Israel ausgelöscht werden, und die Araber verlieren dabei weniger als ein Prozent ihrer Bevölkerung!“ Der ermordete Ex-Premier Yitzhak Rabin hingegen gilt als „Held“ vieler Griechen. Theodorakis hat Israel oft besucht und viele Freunde dort – und er ist der Komponist der „Mauthausen-Lieder“. Auch für Israelis gilt diese Komposition als „Hymne des Holocaust“. 1972 versuchte er sogar zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. Das alles ist in Griechenland hinreichend bekannt. Nicht nur Theodorakis fragt sich daher, wieso ihm nun „Antisemitismus“ vorgeworfen wird. Seine Antwort: „Meine Meinung über Israel und das israelische Volk war immer bekannt … Ich bin ehrlich erstaunt, warum jetzt so viel Wind gemacht wurde, als ob man das zum ersten Mal gehört hätte. Vielleicht meinen manche, der Zeitpunkt sei für sie günstig, um mich anzugreifen. Ich war immer an der Seite der Schwachen, der Kämpfenden für die Rechte der Völker, darunter auch des israelischen Volkes. Ich habe seine Leiden besungen, so gut ich konnte … Genau deshalb bin ich aber absolut gegen die Politik Scharons. Das habe ich wiederholt unterstrichen, ebenso wie ich die Rolle bekannter amerikanisch-jüdischer Politiker, Intellektueller und Theoretiker verurteilt habe, die jetzt die aggressive Politik von Bush entwerfen. Nur absichtlich kann das israelische Volk, das ich ehre, was ich tatkräftig bewiesen habe, mit diesen negativen Phänomenen durcheinandergeworfen werden. Diese Phänomene schwärzen das Bild Israels; sie spielen eine echte ‚antisemitische‘ Rolle, sie sind an der Seite des Bösen, in den Wurzeln des Übels … Persönlich bin ich glücklich, weil ich weiß, daß es viele Israelis in der Welt und in Israel gibt, die meine Meinung teilen.“ Der Angriff auf Theodorakis wurde in den Medien in unterschiedlicher Schärfe zurückgewiesen. Und vor dem Hintergrund seiner kommunistischen Vergangenheit meinten viele: „Was nun! Wer bringt mich dazu, Theodorakis zu verteidigen!“ Der griechische Presseminister Christos Protopapas erklärte zu Theodorakis: „Die Regierung teilt diese Meinung nicht und ist mit dieser Aussage nicht einverstanden“, ansonsten ehre sie den Komponisten aber sehr. Öffentliche Kritik von US-Botschafter Thomas Miller an Theodorakis wies der Pasok-Politiker sogar mit scharfen Worten zurück: Es gehöre nicht zu Millers Pflichten, Kritik an Erklärungen griechischer Bürger zu üben, insbesondere dann, wenn diese nicht das Land betreffen, das er in Griechenland vertrete.
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