Als letzte Woche das unerwartete Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Litauen feststand, hatten viele westliche Medien zunächst kein passendes Foto des Wahlsiegers Rolandas Paksas zur Hand: zu sehr hatte man auf einen Sieg des amtierenden Staatspräsidenten Valdas Adamkus gesetzt. Das ist nur eines unter mehreren Symptomen dafür, daß unter den Auguren des Westens niemand an die Möglichkeit gedacht hatte, der „Außenseiter“ Paksas könne über den im Ausland angesehenen Adamkus einen 55-Prozent-Wahlsieg davontragen. Hatte nicht der Ex-US-Offizier Adamkus, der nach Jahrzehnten des Exils aus den USA in seine von den Sowjets befreite Heimat zurückgekehrt war, genau das, was das arme 3,7-Millionen-Land am dringendsten brauchte: beste Verbindungen zum Westen? Nun aber wählten die Litauer jenen Mann ab, der den Weg in EU und Nato eröffnete, um einem Politiker den Vorzug zu geben, der in Leningrad studiert und sogar den Titel eines sowjetischen Kunstflug-Meisters errungen hatte. Erneut bestätigte sich, daß bei den Wählern (nicht nur in Litauen und im übrigen postkommunistischen Bereich) selbst große außenpolitische Meriten nicht viel zählen. Der gegenüber dem schon 76jährigen Adamkus 30 Jahre jüngere Paksas hatte im Wahlkampf jene „populistischen“ Töne angeschlagen, die das Wählervolk nun einmal lieber hört als erhabene außenpolitische Prinzipien. Paksas wetterte gegen die grassierende Kriminalität und Korruption, forderte die Todesstrafe für Rauschgifthändler und wandte sich an die verarmten Stiefkinder der Privatisierung, an die Bauern in der Provinz, an jene, die nichts vom Modernisierungsglanz mitbekommen. Überdies hatte Paksas, der ab 1997 als Bürgermeister von Vilnius und dann als Ministerpräsident amtierte, die energische Verfechtung litauischer nationaler Interessen auf sein Banner geschrieben. Ende 1999 trat er aus Protest gegen den teilweisen Verkauf einer staatlichen Erdölgesellschaft an ein US-Unternehmen zurück und wechselte von der konservativen Vaterlandsunion zur Liberalen Union -für die er von Oktober 2000 bis Juni 2001 erneut als Premier regierte. All das führte dazu, ihn in westlichen Medien als „litauischen Le Pen“ oder „Schirinowskij“ abzustempeln. Andere wiederum sahen in ihm ein Leichtgewicht: einen Kunstflieger, dessen Spezialität es war, mit seiner Maschine unter Brücken hindurchzufliegen. Was soll’s, hörte man nach Paksas‘ unerwartetem Sieg – er kann und wird sowieso nichts ändern können an den Kopenhagener EU-Beschlüssen. Der Zug der Osterweiterung sei doch längst abgefahren. Doch gleich nach seinem Wahlsieg kündigte er an, er werde als Präsident gegenüber der EU und dem Westen eine härtere Gangart einschlagen. Er wolle unverzüglich nach Brüssel fliegen, um dort „Nachverhandlungen“ über die EU-Beitrittsbedingungen – speziell im Atom- und Agrarbereich – aufzunehmen. Das Erscheinen des „Kunstfliegers“ am baltischen Polithimmel hat darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung. Die postkommunistischen Nationen beginnen zu lernen, daß die großen westlichen Integrationen und Institutionen auch nur mit Wasser kochen. Die Zeit, da man Amerika und den Westen kritiklos bewunderte, ist vorbei. Jetzt weiß man, daß einem der Westen nichts schenken wird – und daß es gilt, die eigene nationale Identität zu behaupten. Um mit Brüssel fertig zu werden, könnten die Erfahrungen eines ehemals sowjetischen Kunstflugmeisters nützlicher sein, als amerikanische Beziehungen. Jetzt muß der Flieger zeigen, was er kann.