Es scheint immer wahrscheinlicher zu
sein, daß die sozialistisch-linksliberale Regierung selbst keine Ahnung hat, wer in Taszár ausgebildet wird, erklärte der Vizevorsitzende der Verteidigungskommission, István Simicskó (Fidesz) am 15. Januar in Budapest. Ungarns Ministerpräsident Péter Medgyessy reagierte auf den Vorwurf des bürgerlichen Oppositionspolitikers mit der Feststellung, Simicskó habe offenbar seinerseits keine Ahnung davon, daß Ungarn auch Bündnisverpflichtungen habe. Damit war aber die Frage, wer denn nun tatsächlich in dem etwa 60 Kilometer südlich des Plattensees gelegenen 2.300-Einwohner-„Dorf der Zimmermänner“ (Taszár) ausgebildet wird, keineswegs beantwortet. Medgyessy, der in der KP-Ära Offizier der Staatssicherheit gewesen ist (Deckname: D-209), könnte tatsächlich seinem Metier frönen und eine Politik der gezielten Desinformation betreiben, denn die widersprüchlichen Verlautbarungen über den „Fall Taszár“ sind offensichtlich: – 27. November 2002: Regierungssprecher Zoltán Gál erklärt, die US-Regierung habe angefragt, ob sie auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Taszár irakische Dolmetscher ausbilden dürfe. Die ungarische Regierung bittet um Bedenkzeit. – Zwei Tage später spricht der sozialistische Verteidigungsminister Ferenc Juhász von 1.000 Personen, die zur zivilen Verwendung im Irak ausgebildet werden sollen. – 5. Dezember: Juhász erweitert seine Aussage und erklärt, in Taszár sollen 1000 bis 1500 irakische Oppositionelle mit amerikanischer Staatsbürgerschaft ausgebildet werden; die Personen hätten außerdem Kooperationsverträge mit der US-Armee geschlossen. – Am gleichen Tag behauptet Regierungssprecher Gál, es sei ausschließlich von auszubildenden „Dolmetschern“ die Rede. Juhász selbst spricht inzwischen von 2.200 irakischen Oppositionellen. Später erhöht er diese Zahl auf „maximal 4500 Personen“. – 14. Dezember: bekräftigt Kanzleiminister Elemér Kiss, US-Bürger würden zu Dolmetschern ausgebildet werden. – 17. Dezember: Juhász präzisiert, die Auszubildenden würden „militärisch-zivile“ und „militärisch-polizeiliche“ Kenntnisse erhalten, sowie dolmetschen lernen. Die praktische Ausbildung beinhalte „nur den Umgang mit Handfeuerwaffen“ zur eigenen Sicherheit. – 19. Dezember: Zoltán Gál erklärt, nach Taszár kämen in den USA oder Europa lebende Araber, die im Dienste der US-Armee stünden. Zu gleichen Zeit behauptet Pentagon-Sprecher David Lapan, die Auszubildenden seien irakische Oppositionelle, nicht nur aus den Reihen des Irakischen Nationalkongresses; keiner von ihnen sei US-Staatsbürger. – 22. Dezember: Ministerpräsident Medgyessy: „Ich möchte nicht in die Details gehen, aber es handelt sich bei den Auszubildenden nicht um irakische Oppositionelle, sondern um Einheiten der US-Armee, die bei einem Krieg gegen den Irak unterstützende Maßnahmen ergreifen sollen. Es sind Dolmetscher und logistische Einheiten.“ Auf die Frage, warum gerade in Ungarn diese Ausbildung stattfinden soll, antwortet Medgyessy: „Der Vorschlag kam nicht von uns. Ich nehme an, die Amerikaner sehen in Ungarn das, was sie gerade nötig haben: einen korrekten und berechenbaren Partner“. – 16. Januar 2003: US-General David Barno, Kommandeur von Taszár, erklärt auf einer Pressekonferenz, daß die Freiwilligen aus zahlreichen Ländern kämen und die „Mehrheit von ihnen keine militärische Ausbildung“ habe. Wann und wieviele es sein werden, verrät der General nicht. Inzwischen ist die Vorhut der amerikanischen „Dolmetscher“ gelandet. In der Umgebung des Stützpunktes Taszár gilt inzwischen höchste Alarmbereitschaft, was das Mißtrauen von Opposition und Bevölkerung weiter steigert. 200 Elitesoldaten der ungarischen „Honvédség“ bewachen das Außenareal des Lagers, ebenso zwei Hubschrauber vom Typ MI-24D, die ständig in der Luft sind. Die Versorgung des Stützpunktes hat die US-Firma „Kellog Brown & Roots“ übernommen, die wiederum mehrheitlich im Besitz des US-Energieriesen Halliburton ist. Zu den interessanten „Zufällen“ gehört, daß ausgerechnet US-Vizepräsident Dick Cheney fünf Jahre lang Chef von Halliburton gewesen ist; die Firma mußte Mitte der neunziger Jahre eine vier Milliarden Dollar Strafe zahlen, weil sie illegal Ölfördertechnologie an Libyen und Irak verkauft hatte. Diese Zusammenhänge, befürchtet man in der Umgebung des Stützpunktes, könnten dazu führen, daß Taszár Ziel eines terroristischen Angriffs wird. Von offizieller Seite versucht man die Bevölkerung zu beschwichtigen: „Wir glauben nicht, daß was passiert, aber trotzdem müssen wir alles Notwendige für die Sicherheit der Bürger tun“, erklärte am 15. Januar der Bürgermeister der Stadt Kaposvár, Károly Szita. Taszár liegt nur acht Kilometer von Kaposvár entfernt. Eine Blitzumfrage habe ergeben, daß die Menschen keine Angst hätten, aber eine gewisse Anspannung sei schon vorhanden, so Szita abschließend. Und Taszárs Bürgermeister Tibor Mercz fügte hinzu, daß vor allem die städtischen Kindergärten und Schulen besonders geschützt werden. Neuen Anlaß zur Sorge vor einem terroristischen Angriff bilden durchgesickerte Informationen, nach denen die „Dolmetscher“ im Irak für eine Massendesertion in der Saddam-Armee sorgen sollen. Darüber sprach der US-Senator ungarisch-jüdischer Abstammung, Tom Lantos, mit einem amerikanischen TV-Sender. Lantos gilt als Verbindungsmann zwischen dem politischen Establishment in Washington und den linksliberalen Freidemokraten (SZDSZ), die zur Zeit mit den Sozialisten die Ungarische Regierung stellen. Für Ungarns oppositionelle Bürgerliche von der früheren Regierungspartei Fidesz erhöht sich durch den „Geheimnisverrat“ die Gefahr für das Land, zumal erst kürzlich vom Parlament beschlossen wurde, ein Kontingent an militärisch-medizinischem Personal nach Afghanistan zu entsenden. „Dadurch könnte Ungarn ein Hauptziel der Terroristen werden“, erklärte der Ex-Koordinator der Geheimdienste, Ervin Demeter (Fidesz), vergangenen Sonntag.