Ich muß mich mit Ihnen unterhalten über die Sache, die Sie eben angesprochen haben, im Verhältnis zu einem Abgeordneten Ihrer Fraktion, den die Fraktion ausgeschlossen hat. Und über das Verhältnis, wie geht man mit einer Diskussion um, mit einer Äußerung, die in irgendeinem Zusammenhang gefallen ist. Ich will auch nur über das Verfahren reden. Ich bin Jurist. Ich rede nur über das Verfahren, weil ich weiß, daß ohne ein geordnetes Verfahren kein vernünftiges Ergebnis herauskommen kann. Deshalb muß ich sagen: Bevor alle, die in der Sache zu urteilen haben, überhaupt informiert waren, wurde schon außerhalb und dann auch innerhalb der Partei ein Klima der Vorverurteilung herbeigeführt. Und das hat dann dazu geführt, daß man in der Fraktion Sanktionen verhängt hat, und dann hieß es von außen, das sei völlig ungenügend. Von allen Seiten wurde auf die CDU Druck ausgeübt, und das war für den politischen Gegner ein Fressen, das muß man einfach sehen. Das Ergebnis ist bekannt. Die Fraktion hat einen Abgeordneten weniger. Die Parteimitglieder rebellieren. Die Gegner der CDU jubeln, und die Diskussion in der Öffentlichkeit, die läuft ja weiter. So gewinnt man den Eindruck, daß im allgemeinen Getöse nicht nur eine Person und nicht nur ihre Heimatgemeinde, nicht nur die CDU/CSU-Fraktion und auch nicht nur die CDU insgesamt, sondern praktisch jedermann unter Generalverdacht gestellt wird. Das ist eine Sache, die in diesem Volke zu ganz großem, zu ganz großem Rumoren führt. (…) Aber die bitterste Frage und die härteste Frage ist doch die nach der Rechtsförmigkeit dieses Verfahrens. Da muß man doch mal glatt sagen: Der Betroffene selber hatte in der Sache nicht die Chance eines fairen Verfahrens. Der Ankläger, der Richter, der das Urteil gefällt hat, die Vollstreckung, alles lag in einer Hand. Und heute hören wir von Ihnen, Frau Vorsitzende, gleichzeitig auch noch Ihre eigene Verteidigungsrede. Das halte ich für eine gefährliche Situation, über die wir hier an dieser Stelle sprechen müssen. Denn wir müssen ja darüber uns auch im klaren sein, daß das Ergebnis der Fraktionsabstimmung – das mag jetzt gerechtfertigt sein oder nicht -, daß das ja auch eine Disziplinierung der Fraktion bedeutet. Wenn fünfzig Abgeordnete nicht Ihrem Antrag zugestimmt haben, dann werden die ja ihre Gründe gehabt haben. Und ich habe nicht den Eindruck, daß das nur Menschenfreundlichkeit und Mitgefühl war, sondern es war ja wohl auch die Tatsache, daß man in einer geheimen Wahl seine Meinung zum Ausdruck bringen kann. Nach Pressemeldungen, die ich kenne, hat nur der Kollege Geis sich eindeutig in eine Verteidigungsposition für den Abgeordneten begeben. Und man hat und man diskutiert – da bin ich ja nicht alleine, Sie lesen ja auch die FAZ -, man diskutiert die Frage des Artikels 38, nach der Freiheit und Unabhängigkeit der Fraktionsmitglieder.(…) „Ich plädiere für die freie Rede in der Partei“ Die Stimmungslage in der CDU schwankt ja nun erheblich. Es gibt Leute, die sind fassungslos über das Verfahren, so wie es abgelaufen ist. Und ich verrate kein Geheimnis, daß es gerade auch die älteren Mitglieder in der Partei sind, die sagen: Ein derartiges Verfahren sind wir so nicht mehr gewöhnt. Es gibt sehr viel Verärgerung, es gibt Wut, es gibt natürlich auch Zustimmung, aber ich habe noch keinen gesehen, der das Verfahren als in Ordnung angesehen hat. Das Verfahren als solches kann man so nicht akzeptieren. Und deshalb meine ich: Wenn draußen jetzt überall diskutiert wird, dann ist es richtig, daß wir hier darüber gesprochen haben. Frau Vorsitzende, ich bin Ihnen auch dankbar, daß Sie diese Sache in Ihre Rede aufgenommen haben und nicht da gekniffen haben. Aber ich muß auch sagen: Der Artikel 5 des Grundgesetzes, der schützt das Recht auf freie Meinungsäußerung, und er schützt das Recht auf freie Rede gerade dann, wenn der Inhalt anderen nicht paßt. Und er schützt ihn auch dann, wenn er falsch ist. Die Grenzen der freien Meinungsäußerung sind das Strafgesetz, und die andere Grenze ist die Schmähkritik. Ob das im aktuellen Fall überschritten worden ist, das lasse ich alles mal dahingestellt, das muß zu anderer Zeit untersucht werden. Aber was ich nicht dahingestellt sein lasse, das ist der zweite Punkt, weshalb ich mich gemeldet habe, das ist eine Äußerung der Frau Vorsitzenden vom 5. November im ZDF, daß Denkweisen wie die des Abgeordneten nicht geduldet würden. Und ich bin der Meinung, es kann auch nicht stehenbleiben die Erklärung, der Betroffene habe es abgelehnt, seine Meinung zu ändern. Beides läuft darauf hinaus, daß man Meinungen verfolgt. Und ich muß Ihnen sagen, die Gedanken sind frei. Die Gedanken sind frei. Und in diesem Staat hat sich niemand für sein Denken zu rechtfertigen. Wer sich äußert, der muß sich der Kritik stellen, und das hat möglicherweise auch dann für ihn harte Konsequenzen. Aber auch diese Konsequenzen müssen rechtsstaatlich sein. Es ist nicht erlaubt, einen wegen seiner Meinung mit nichtrechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen und auch nicht wegen seiner Äußerungen. Und es wird keiner bei der CDU-Führung, die ja oft nun wirklich sehr dissonant ist, (…) fragen, was er denn denken darf und was nicht. (…) Ich bin der Meinung, daß wir das Thema heute nicht ausdiskutiert bekommen, bin aber wohl der Meinung, daß wir etwas versäumen, wenn wir diese Diskussion auf diesem Parteitag nicht ansprechen und in Zukunft dafür sorgen, daß wir hier zu Verfahren kommen, wo wir auch mit denen, mit denen wir nicht einer Meinung sind, uns in einer vernünftigen Form treffen. Wenn einer jahrelang in der CDU ist und irgend etwas sagt, das nicht in Ordnung ist, dann würde ich meinen, dann spricht zunächst die Vermutung dafür, daß er seine Partei liebt und daß er seiner Partei nicht schaden will. Was im Einzelfall hier gewesen ist, das weiß ich nicht. Aber ich plädiere für die freie Rede weiterhin in dieser Partei. Leo Lennartz , Jahrgang 1932, Rechtsanwalt im nordrhein-westfälischen Euskirchen, war Delegierter zum CDU-Bundesparteitag.