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Der lange Marsch zur Macht

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Für die Neokonservativen (Neocons) läuft alles ganz nach Plan: „Der Befreier – Bagdad und darüber hinaus“, titelt aktuell der Weekly Standard. Dazu bringt er ein theatralisches Foto von George W. Bush in olivgrüner Bomberjacke vor dem Hintergrund des Sternenbanners. Jenes „darüber hinaus“ ist bewußt mehrdeutig gehalten. Washington hat eine neue Dominotheorie aufgestellt: Nach der „Befreiung“ des Irak, heißt es, werde der Nahe Osten zum demokratischen Selbstläufer. „Es ist Zeit, die anderen Herren des Terrors zu stürzen“, schreibt Michael Ledeen vom mächtigen American Enterprise Institut (AEI) letzte Woche. Schon im September vorigen Jahres lautete der Titel eines seiner Wall Street Journal -Kommentare „Der Krieg wird nicht in Bagdad enden“. Als nächstes Ziel hat Ledeen den Iran ausgemacht, dann komme Syrien an die Reihe. „Syrien kann nicht gegen eine erfolgreiche demokratische Revolution bestehen, die tyrannische Regime in Kabul, Teheran und im Irak stürzt.“ Auf den Fluren des Pentagons hört man zuweilen ganz ähnliche Argumente, auch wenn Donald Rumsfeld weitergehende Angriffsabsichten bislang dementiert. Für Europäer ist die Geisteslage der US-Neocons nur schwer nachvollziehbar. Seit dem 11. September 2001 umschreibt ihre Mischung aus Paranoia und demokratischem Missionseifer die offizielle Außenpolitik der Regierung Bush. Demokratischer oder „liberaler“ Imperialismus lautet eine in US-Regierungszirkeln vieldiskutierte Strategie. Als vor zwölf Jahren der Entwurf eines geheimen Strategiepapiers von Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Richard Perle zur globalen pax americana durch eine undichte Stelle an die Öffentlichkeit drang, gab es noch einen empörten Aufschrei. Erst die Ereignisse des 11. September erlaubten die Verquickung hegemonialer Gedankenspiele mit defensiver Rhetorik, so daß das Konzept politische Wirkung entfalten konnte. Die meisten haben ihre Wurzeln auf der Linken In Präsident Bushs Vorstellung war der Irak tatsächlich bis an die Zähne mit atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungsmitteln bewaffnet. Die Neocons haben ihn darin zwar öffentlich stets bekräftigt, doch sind sie zu klug, um selbst daran zu glauben. Nicht Bush ist intellektuell Herr der Lage, so scheint es, sondern die Schar seiner neokonservativen Berater. Donald Rumsfeld spielt Verteidigungsminister, doch Paul Wolfowitz ist der eigentliche strategische Kopf im Pentagon. Zu seinem Netzwerk gehören Staatssekretär Douglas Feith, die Nummer Drei des Pentagons, Lewis Libby, der Bürochef Cheneys, der kürzlich zurückgetretene Richard Perle und John R. Bolton, der als Aufpasser für Außenminister Colin Powell fungiert. Erst kürzlich wurde mit Elliott Abrams ein weiterer Günstling Wolfowitz‘ als Chef des Bereichs Mittlerer Osten im National Security Council installiert. Die meisten dieser Verteidigungsexperten haben nie in der Armee gedient. Spannungen mit der republikanisch dominierten Generalität können daher nicht ausbleiben. Im Gegensatz zu den meist pragmatischen Karrieresoldaten und Diplomaten denken die Neocons ideologisch-dogmatisch. Ein Richard Perle mag zwar nebenher Geschäfte machen und sich am Krieg bereichern, Männer wie Irving Kristol oder Norman Podhoretz sind keine Opportunisten, sondern Überzeugungstäter. Die alte Garde der Neocons hat ein Leben lang politisch gekämpft, und ihr Weg an die Macht war lang und verschlungen: „Die meisten neokonservativen Verteidigungsintellektuellen haben ihre Wurzeln auf der Linken, nicht auf der Rechten“, schreibt der Publizist Michael Lind in der aktuellen Ausgabe der britischen New Labour-Zeitschrift New Statesman. „Sie sind das Produkt einer weitgehend jüdisch-amerikanischen trotzkistischen Bewegung der 1930er und 1940er, die sich zwischen den 1950er und 1970er Jahren in einen anti-kommunistischen Liberalismus verwandelte und schließlich in eine Art militaristische und imperialistische Rechte, wie sie in der amerikanischen Kultur und politischen Geschichte noch nie dagewesen ist.“ Die bruchlose Wanderung der Bewegung von ganz links nach rechts mutet phantastisch an. Die erste Generation der Neocons stammt überwiegend aus New York. Geboren in den frühen 1920er Jahren besuchten Irving Kristol, der Übervater der Bewegung, Daniel Bell, Seymour Martin Lipset, Nathan Glazer und weitere spätere neokonservative Intellektuelle das staatliche City College. Während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre zog die kostenlose Universität vermehrt Kinder mittelloser ostjüdischer Einwanderer an und entwickelte sich gemeinsam mit dem Brooklyn College und der Columbia University zur Brutstätte der radikalen Linken. Um Max Shachtman, den Begründer der Socialist Workers Party, sammelte sich am City College ein Grüppchen Trotzkisten. „Das war alles total geheim“, erinnert sich Irvings Jugendfreund Earl Raab. „Mein Parteiname war David Perry und seiner William Ferry.“ Auf einer Parteiversammlung lernte Kristol auch seine spätere Ehefrau, die Historikerin Gertrude Himmelfarb, kennen. Nach der Ermordung Trotzkis entfremdete sich die Schar von den orthodoxen Kommunisten und wurde an den Rand der linken Hauptströmung gedrängt. Zwei Jahrzehnte tummelte sich Shachtmans Truppe in verschiedenen Splitterparteien. Schließlich traten mehrere Zellen den Demokraten bei, wo sie sich heftige Gefechte mit der Neuen Linken lieferten. Als George McGovern 1972 demokratischer Präsidentschaftskandidat wurde, sahen sich die Kalten Krieger zunehmend isoliert. Nach vielfachen Häutungen und Wandlungen wechselten Kristol und seine Freunde gegen Ende der 1970er Jahre zu neuen Ufern bei den Republikanern. Stück für Schritt näherten sich die früheren Antikapitalisten dem Kapitalismus an. Lipset entwickelte die paradoxe Theorie einer durch permanente, kapitalistische Revolution von bourgeoisen Zwängen befreite Gesellschaft, Kristol und Bell heuerten beim Magazin Fortune an. Mit dem Regierungsantritt Ronald Reagans kamen die ehemaligen Außenseiter erstmals in die Nähe der Macht. Kristols Sohn William, später Gründer des Weekly Standard, erhielt einen Posten als Chef des Stabes von Vizepräsident Dan Quayle. Seit Mitte der 1990er Jahre halten sie eine Art geistige Monopolstellung bei den Republikanern. Ihre Think Tanks wie das American Enterprise Institute (AEI) oder das Center for Strategic and International Studies (CSIS) arbeiten heute reibungslos mit Regierungsstellen zusammen. Doch die ideologische Herkunft von der Linken schimmert bei vielen Neocons immer noch durch. Anders als die stramm marktwirtschaftliche Mehrheit der traditionellen Republikaner hat sich Kristol in seinem Buch „Neo-Conservatism, The Autobiography of an Idea“ als Anhänger von Roosevelts Interventionsprogramm New Deal zu erkennen gegeben. Die alten Neocons haben keine besonders enge Bindung zum Big Business, ihr Geld stammte aus Stiftungen wie der Bradley oder der Olin Foundation. Ein elitärer Zirkel von Intellektuellen Politisches Hauptfeld der Neocons war stets die Außenpolitik. Daran hat sich auch nach dem Ende des Kalten Kriegs nichts geändert. „Ihre Bewunderung für die Taktiken der israelischen Likud-Partei, einschließlich präventiver Kriegführung, wie Israels Schlag 1981 gegen den irakischen Osirak Nuklearreaktor, ist gemischt mit seltsamen Ausbrüchen ideologischer Begeisterung für ‚Demokratie'“, schreibt Lind im New Statesman. „Sie nennen ihre revolutionäre Ideologie ‚Wilsonianism‘ (nach Präsident Woodrow Wilson), aber es ist in Wahrheit Leo Trotzkis Theorie der „Permanenten Revolution“, vermischt mit der sehr rechten Likud-Spielart des Zionismus“, so Lind, früher Chefredakteur der heute neokonservativen Zeitschrift National Interest. Die Neocons sind stets eine elitärer Zirkel von Intellektuellen geblieben. Sie vertreten keineswegs die Mehrheit der amerikanischen Juden, die weltanschaulich eher links steht, im Jahr 2000 überwiegend für den Demokraten Al Gore oder den Grünen Ralph Nader stimmte und nach Umfragen den Irak-Krieg nicht überdurchschnittlich unterstützt. Doch die Außenpolitik der Neocons erhält Rückendeckung aus den zwei Lagern der amerikanischen Israel-Lobby. Zum einen unterstützen die christlichen Rechten, die mit den Republikanern verflochtene „Christian Coalition“ und protestantische Frömmler, Israel politisch wie finanziell nach Kräften. Und millionenschwere Organisationen wie das American Israel Public Affairs Commitee (AIPAC) oder das Jewish Institute for National Security Affairs (Jinsa) schaffen den institutionellen Rahmen für wichtige personelle Verknüpfungen. Den Neocons steht ein fein abgestuftes, informelles Medienimperium zur Verfügung. Blätter wie Commentary, herausgegeben vom American Jewish Commitee, National Interest oder der Weekly Standard zielen direkt auf die Meinungsbildung in Washington. Die Auflagen sind mit jeweils ein paar zehntausend relativ gering, doch ihr Einfluß – besonders in Fragen der Außenpolitik – gigantisch. Jeden Montag, so erzählt Chefredakteur William Kristol nicht ohne Stolz, holt sich allein das Büro von Dick Cheney dreißig Exemplare des druckfrischen Weekly Standard ab. Jährlich macht das erst 1995 gegründete Blatt rund eine Million Dollar Verlust, die Eigentümer Rupert Murdoch jedoch leicht verschmerzen kann. Murdochs Fernsehimperium Fox News spült eine gefilterte Darstellung der ideologischen Visionen der Neocons in die Wohnzimmer der Amerikaner. Andere Kanäle ordnen sich weitgehend ein. Unter den überregionalen Tageszeitungen sticht die Washington Times als eifriges neokonservatives Sprachrohr hervor. Sie befindet sich im Besitz des Südkoreaners und selbsternannten Messias Sun Myung Moon, dessen Sekte noch weitere Medien kontrolliert. Bekannte Kolumnisten wie William Safire, Charles Krauthammer oder George Will publizieren ihre Texte nicht nur in der Washington Times oder dem Wall Street Journal, sondern gleichzeitig in mehreren hundert weiteren amerikanischen Tageszeitungen. So gelingt es einer zahlenmäßig winzigen Clique, die öffentliche Meinung maßgeblich zu beeinflussen. All die einzelnen neokonservativen Fäden liefen Mitte der neunziger Jahre beim Projekt for the New American Century (MNAC) zusammen, das der jüngere Kristol leitete. In den zwei Amtsperioden von Präsident Bill Clinton blieben die Klagerufe der Neocons bezüglich einer Neuordnung des Mittleren Ostens unbeachtet. Erst bei George W. Bush stießen sie auf offene Ohren. Zur Ironie der Geschichte gehört, daß Amerikas Neocons den jüngeren Bush zunächst ablehnten. Sie sahen ihn als zu schwach an, um ihre außenpolitische Agenda voranzutreiben. Außerdem konnten sie nicht verzeihen, daß der Bush senior Israel in den Osloer Friedensprozeß gedrängt hatte. Doch der von den Neocons favorisierte Senator John McCain scheiterte bei der Vorwahlen kläglich. Verspätet schwenkten die Neocons in Bushs Lager um. Wie konnten die Neokonservativen so diskret wie vollständig das Zentrum der Macht besetzen? In den Wochen und Monaten nach dem knappen Wahlausgang im November 2000 gab es kurze Zeit ein Machtvakuum, in das sie zielsicher hineinstießen. Zwischen dem höchstrichterlichen Tauziehen und dem formellen Amtsantritt der neuen Regierung im Januar 2001 nutzte Dick Cheney die Gunst der Stunde und Bushs Unerfahrenheit, um entscheidende Posten im Pentagon und dem State Departement mit Vertrauensleuten wie Wolfowitz, Feith, Perle, Bolton und Libby zu besetzen. Der Krieg hat gerade erst begonnen Ihr außenpolitisches Konzept markiert eine revolutionäre Wende, weg von der Realpolitik nach Art eines Henry Kissingers. Es geht nicht mehr bloß um Rohstoffe oder geostrategische Interessen, sondern um ideologische Ziele. Um völlige Sicherheit für die USA zu schaffen, müsse der Globus nach amerikanischem Vorbild demokratisiert werden, heißt es in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie. Ledeen, einer der Wortführer der Neokonservativen, kämpft für eine „weltweite demokratische Revolution“. Mit dem Sturz Saddam Husseins ist ein Etappenziel erreicht; der Krieg ist jetzt nicht vorbei, sondern hat gerade erst angefangen. Foto: US-Kriegskabinett in Camp David: Gegenüber von Präsident George W. Bush (4.v.r.) und Sicherheitsberaterin Rice (links neben ihm) sitzen der stellvertretende Generalstabschef Pace, Generalstabschef Myers, Außenminister Powell, Verteidigungsminister Rumsfeld, Vizepräsident Cheney und der Vize-Verteidigungsminister Wolfowitz (v.l.n.r.)

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