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Marc Jongen, ESN Fraktion

Aufmarsch der Ewiggestrigen

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Für Rudolf Schröder muß es am 15. Juni fast wie eine unselige Zeitreise gewesen sein. Als der 55jährige sich auf der zentralen Veranstaltung zum 17. Juni 1953 der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) am Brandenburger Tor kurz umdreht, prangt direkt vor ihm ein FDJ-blaues Transparent, auf dem geschrieben steht: „Lieber sozialistische Experimente als großdeutsche Katastrophen!“ Direkt daneben eine große Fahne der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – jenem Staatsgebilde, dem Schröder zweieinhalb Jahre Zuchthaus zu verdanken hat. Während am Rednerpult Bernd Stichler von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) vor etwa 400 Besuchern spricht, drehen sich immer mehr um, denn weiter hinten sind lautstarke Diskussionen entflammt. Die Veranstaltungsteilnehmer trauen ihren Augen nicht, als sie die Handvoll jungen Linksextremisten mit dem Transparent sehen. Diese verteilen auch ein Flugblatt, auf dem über den 17. Juni 1953 geschrieben steht: „So mußten schließlich (acht Jahre, nachdem sie das deutsche Volk vom Hitlerfaschismus befreit hatten) sowjetische Panzer verhindern, daß der Versuch, auf deutschem Boden den Sozialismus aufzubauen, schon im Keim erstickt wurde. Dies brachte uns 36 Jahre mehr an Erfahrung und die längste Friedensperiode imperialistischer Zeiten.“ Was bleibt, ist ein kleiner Artikel im Boulevardblatt Viele der Menschen auf der Gedenkveranstaltung sind selbst Opfer des SED-Staatsterrors, sie haben Diskriminierung, Schikanen und Gefängnis über sich ergehen lassen müssen. Der Anblick läßt sie allerdings für kurze Zeit vergessen, daß sie das alles bereits seit über dreizehn Jahren hinter sich haben. Sie sehen „rot“ wie Rudolf Schröder und reißen den jungen Linken beherzt das Transparent aus der Hand. Diskussionen, Tumulte, Beschimpfungen – gegen elf Uhr muß die Staatsmacht eingreifen. Mit einem „Knebelgriff“, so Augenzeuge Theo Mittrup vom Bund Stalinistisch Verfolgter (BSV), sei ein besonders aufdringlicher Störer im blauen FDJ-Hemd von Polizeibeamten abgeführt worden. Was bleibt, ist ein kleines Artikelchen im Berliner Boulevardblatt B.Z. mit dem Schlußsatz: „Bei einer Schlägerei nahm die Polizei einen jungen Mann im Blauhemd fest“. Der Berliner Polizeisprecher Matthias Prange bestätigte diesen Vorfall gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Gefahrenabwehrend“, so Prange, sei der junge Mann, der „sich zur Wehr setzte“, vom Versammlungsort entfernt worden. Darüber hinaus sei er noch mit einem Platzverweis belegt worden. Die Darstellung der FDJ-Teilnehmer liest sich freilich anders. „Dann hagelte es Schläge auf uns. Die Polizei schleifte daraufhin einen von uns mit maximaler Gewalt vom Platz“, ist auf deren Internetseite www.fdj.de zu lesen. Und es wird noch besser: „Wir bedauern das, was wir getan haben, nicht. Genau wie in den Tagen um den 17. Juni im Jahre 1953, in denen sich junge Menschen gegen die konterrevolutionären Kräfte, gegen Provokateure und Faschisten stellten, um ihren jungen Staat zu schützen, haben wir uns gegen die herrschende Meinung vom ‚Unrechtsstaat‘ DDR gestellt.“ Doch wer ist eigentlich diese Freie Deutsche Jugend? Hierbei handelt es sich um den kläglich zusammengeschrumpften Rest der einstigen Massenorganisation, welche die DDR-Staatsjugend sammelte. Nach der Wende 1990 verlor sie ihren Einfluß, ihre Macht, ihre zahlreichen Immobilien (Jugendklubs, Jugendherbergen, Vereinsheime) und dadurch auch den übergroßen Teil ihrer Mitglieder. Der Verlust sämtlicher Privilegien ließ den DDR-Überbleibsel FDJ verbittern. Über die Wende heißt es in einer Erklärung: „Für uns ist das ein Schritt zurück ins Mittelalter. Deshalb lehnen wir die BRD ab, die 1990 bei uns eingefallen ist.“ Daß allerdings die jetzigen FDJ-Aktivisten selbst vor 1990 in der DDR-gesteuerten Jugendorganisation aktiv waren, ist schon aufgrund ihres jungen Alters mehr als unwahrscheinlich. Dabei profitierte die FDJ sogar gewissermaßen von der Wiedervereinigung, die das 1951 von der Adenauer-Regierung ausgesprochene Verbot der Organisation in Westdeutschland praktisch unwirksam machte. Bürgermeister Wowereit wurde mit Eiern beworfen Störungen wie die am 15. Juni vor dem Brandenburger Tor wurden medial kaum beachtet, fanden aber statt – auch wenn Polizeisprecher Prange berichtet, es habe „kaum Zwischenfälle gegeben“. Gerade mal zwei Ereignisse im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR schafften den Einzug in die Nachrichtenspalten. Zum einen war es eine Veranstaltung am 17. Juni an einem Mahnmal in Berlin-Reinickendorf, wo sich die Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura (CDU) mit Mitarbeitern der Bezirksbehörde zu einem kleinen Gedenken versammelte. Als der Trompeter das Deutschlandlied anstimmte, hätten etwa fünfzehn „Anhänger der NPD“ sich erdreistet, die erste Strophe zu singen. Nach Polizei-Angaben wurden zwei junge Männer aus dieser Gruppe daraufhin von der Veranstaltung entfernt. Aber auch der Regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit (SPD), wurde Zielscheibe von Störmaßnahmen. Bei einer Gedenkveranstaltung der Gewerkschaften auf der Karl-Marx-Allee bewarf eine Frau den Bürgermeister mit faulen Eiern, ohne ihn allerdings zu treffen. Über das Motiv der Tat konnte die Polizei selbst eine Woche später keine Einzelheiten mitteilen. Senatssprecher Michael Donnermeyer, der seinen Chef Wowereit mit den Worten zitierte, „Ewiggestrige“ hätten „die Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des 17. Juni 1953 gestört“, läßt jedenfalls breiten Raum zu Spekulationen. Denn viele Bewohner der einstigen Stalinallee (jetzt Karl-Marx-Allee) waren treue Gefolgsleute der DDR, die damals mit den modernen Wohneinheiten für ihre Loyalität belohnt wurden. Heute zählen sie durch den Verlust ihrer Privilegien zu den Wende-Verlierern. Für die zahlreichen Opfer des kommunistischen Staatsterrors in der DDR sind solche Vorfälle allerdings keine „Nebensächlichkeiten“, die schnell wieder vergessen sind. Für sie sind es lebendige Zeichen, „immer wachsam“ zu bleiben, wie Rudolf Schröder gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bekräftigte. Foto: FDJ-Störer bei der Veranstaltung der DDR-Opferverbände: „Wir bedauern das, was wir getan haben, nicht!“

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