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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Vom Nachteil der Historie

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Nietzsche hilft noch immer – erst recht beim Blick auf die Fernseh­ereignisse, die für dieses Jahr ihre Schatten vorauswerfen und beim ZDF in anglophilem Bückling als „Events“ angekündigt werden. Mit Todesverachtung wollen wir sie begrüßen: als Exponenten einer ewigen Wiederkehr. Wenngleich wir keinem „Revisionismus“ das Wort reden wollen, schaut es doch ganz danach aus. Denn, um jenseits von Gut und Böse zu zitieren: „Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.“ Gleiches gilt für die von Millionen gleich-, pardon: eingeschalteten TV-Programme, seien sie öffentlich-rechtlich oder privat – und nicht versichert. Und so brauchen wir beide Hände: eine für die Fernbedienung, die andere, um uns an den Kopf zu fassen. Es sei denn, wir sind spät nachts bei 9Live oder einem anderen Programm und folgen grenzdebilen „Komm, ruf an!“-Sirenen. Doch gleich, ob GEZ-Gebühr oder Hotline – wir zahlen immer drauf, sei es auch „nur“ durch den Konsum „gesendeten Vakuums“. Schuld daran sind nicht einzig ubiquitäre Kochshows, die vor allem eines unter Beweis stellen: Viele Köche verderben den Brei. Vielmehr müssen wir uns nach der Haftentlassung des vorletzten RAF-Terroristen – allen Absichtsbekundungen der Senderverantwortlichen zum Trotz – K-lauernd fragen: Wird Beckmann da mit Klar kommen? Zudem erwartet uns eine zweite K-Frage mit der Bundestagswahl Ende September. Überdies stehen fünf Landtagswahlen an: Hessen, Thüringen, Saarland, Brandenburg und Sachsen. Sollte die NPD in letzterem abermals über die Fünf-Prozent-Hürde gelangen, empfehlen wir dem ZDF prophylaktisch eine neue Rubrik, Titel: „Was Schaust’en?“ Rückblickend müssen wir derweil eingestehen, daß in Hessen Andrea Ypsilanti (SPD) ihr Versprechen doch gehalten und sich mit Hilfe der Linkspartei nicht zur Ministerpräsidentin hat wählen lassen – da soll der SPD noch einer Wortbruch vorwerfen! Eine paneuropäische Entscheidung erwartet uns hingegen mit dem ESC in Moskau – grad so, als wollte das TV-Programm Nietzsche auch darin recht geben, daß Leben ohne Musik ein Irrtum sei. Schließlich handelt es sich beim ESC nicht – wie wegen des neuen Kalten Krieges zu vermuten – um einen Eissportclub, sondern um den Eurovision Song Contest. Wir fragen uns: Wieviel „Input“ wird der Kreml beisteuern, da diesmal wieder eine Jury mitentscheiden soll? Der Bürgermeister Juri Luschkow jedenfalls warnte die homosexuelle Fangemeinde bereits davor, beim ESC öffentlich Flagge zu zeigen. Ein Auftritt etwa der schwulen Boygroup „New Kids on the Cock“ dürfte damit ausgeschlossen sein. Indes wird DAF, die Deutsch-Amerikanische Freundschaft des Duos Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl, nach jahrelanger Pause wieder in Deutschland konzertieren und in ideologieferner Trance „Tanz den Mussolini“ singen. Die Frage ist nur: Tourt DAF mit dem legendären Song-Refrain auch durch die diesjährige Europäische Kulturhauptstadt Linz? Wie gut, daß wir uns da in Deutschland praktisch mit einer Trias von Jahrestagen zu beschäftigen haben – oder auch nicht. Denn seit Nietzsche wissen wir vom Nachteil der Historie für das Leben. Bekanntlich ist unter den Blinden der Einäugige König Daran erinnert fühlen wir uns beim Blick auf die Programmplanung: Da ist zunächst das 20. Jubiläum des Mauerfalls mit folgenden ARD-Dokumentationen: „Schabowskis Zettel“, „Der Mauerfall“, „Damals nach der DDR“ und „Berlin, Prenzlauer Berg – Labor des neuen (Spieß-)Bürgertums“. Darüber hinaus wird des 60. Jahrestags von Grundgesetz und doppelter Staatsgründung 1949 gedacht: Das Erste wird hierzu „60 x Deutschland – Die ARD Jahresschau“ ausstrahlen. An den übrigen Tagen sucht uns „Mein Deutschland“ heim, eine dreiteilige Dokumentation über das Leben im geteilten Nachkriegsdeutschland. Hinzu kommen die Dokumentationen „Meine DDR“, „Bonner Republik“ oder die vierteilige Sendereihe über „Kriegskinder“. Wer über diese spricht, kann den Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht ausklammern. Öffentlich-rechtliche Anteilnahme ist uns für dessen 70. Jahrestag gewiß. Das Heil in der Erinnerung sucht auch das ZDF, welches sich noch immer gern ein Auge zuhält – bekanntlich ist unter Blinden der Einäugige König. Die Mainzer verfilmen nicht nur das Leben von Altkanzler Helmut Kohl, nein, sie produzieren auch ein neues Geschichtsformat – moderiert von Hape Kerpeling. Und wir? Sind dann mal lieber weg, oder wie es Nietzsche ausdrückte: „Warum dürfte die Welt, die uns etwas angeht, nicht eine Fiktion sein?“ Bild: FDJ bei der 1.-Mai-Demonstration 1951 in Halle: „Meine DDR“ (ARD, Mi., 28. Januar, 23 Uhr)

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