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Mahnmal auf Zeit

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Steht denn die Berliner Mauer noch? Ja, sie steht – wieder. Nagelneu, frisch gestrichen, weiß getüncht. Und hinter 120 Metern Betonmauer drängen sich 1.065 Kreuze. Drei Meter hoch, schwarz, aus Holz – auf Zeit. Der bedrückende Wald aus Kreuzen und die neu aufgestellten Mauersegmente sind Teil des neuesten und zugleich umstrittensten Mauer-Denkmals in Berlin. Rechtzeitig zum 15. Jahrestag ist es von einer privaten Initiative am ehemaligen Checkpoint Charlie errichtet worden. Die dichtgedrängten Holzkreuze auf dem 8.000 Quadratmeter großen Grundstück erinnern an das Stelenfeld des im Bau befindlichen Holocaust-Mahnmals. „Wir wollen ganz bewußt Parallelen ziehen“, sagt Initiatorin Alexandra Hildebrandt, die Witwe des Anfang des Jahres verstorbenen Gründers des Mauer-Museums am Checkpoint Charlie, Rainer Hildebrandt. Schließlich seien die Opfer von Mauer und Teilung auf die Opfer des Holocaust gefolgt. Bis 1990 befand sich an dieser Stelle der wohl prominenteste Grenzübergang der Welt: Checkpoint Charlie. Hier wechselten die Angehörigen der alliierten Besatzungstruppen zwischen dem Ost- und dem Westteil der geteilten Stadt. Hier prallten zwei Systeme aufeinander, begegneten sich zwei Welten. Hier schien es einen Tag lang so als stünde der Dritte Weltkrieg bevor, als sich am Tag des Mauerbaus amerikanische und sowjetische Panzer nur Meter voneinander entfernt gegenüberstanden. Und hier starben Menschen. Burkhard Niering etwa. Der 23jährige wurde 1974 am Checkpoint Charlie erschossen. Für ihn und die 1.064 anderen Opfer von Mauer und Schießbefehl, deren Namen bekannt sind, steht jeweils ein schwarzes Kreuz. Die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ hat die Namen der Toten in mühevoller Recherche zusammengetragen. Auch 15 Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Arbeit an der Liste noch nicht beendet. Erst im Sommer mußten 57 weitere, bislang unbekannte Opfer hinzugefügt werden. Bei der Einweihung des Mahnmals am vergangenen Sonntag war die 80jährige Mutter von Burkhard Niering anwesend – ebenso der Sohn des früheren sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruschtschow, Sergej Chruschtschow, der eigens aus den USA angereist war. Nicht erst seit der Teilnahme des Chruschtschow-Sohnes ist das Interesse der Berliner Zeitungen an dem Mahnmal groß. Allerdings stößt das provozierende Mahnmal in der Presse wie auch bei den Berliner Politikern auf wenig Gegenliebe. Die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) etwa hat sich bereits mehrmals deutlich gegen das Mahnmal ausgesprochen. „Dieser Ort darf nicht zum Rummelplatz werden“, wurde sie in der Welt zitiert. Den Kritikern kommt der Begriff „Mahnmal“ für Hildebrandts Projekt nur schwer über die Lippen. Sie reden und schreiben daher lieber von einer Ausstellung, einer Installation oder einem „Kunstevent“. Derlei Umdeutungen weist Hildebrandt entschieden zurück: „Was hat das Gedenken an die Opfer der Mauer und der Teilung mit Kunst zu tun?“ Sie widerspricht den Vorhaltungen, die Mauersegmente seien nicht authentisch. „Natürlich sind sie echt“, kontert sie. Auch für die anderen Vorwürfe – etwa, daß das Ehrenmal nicht exakt an der Stelle stehe, an der die Mauer verlief – hat sie kein Verständnis. Über derlei kleinliche Vorhaltungen könnte Hildebrandt hinwegsehen. Doch einige Kritiker greifen sie persönlich an und unterstellen ihr, sie wolle lediglich mehr Besucher in ihr Mauer-Museum locken. Von Kommerzialisierung ist die Rede. Auch das böse Wort vom Disneyland ist gefallen. Der Streit um das private Mahnmal verwundert nicht, wenn man sich vor Augen hält, daß es auch anderthalb Jahrzehnte nach dem Fall der Betonbarriere, die als Sinnbild für den Kalten Krieg eines der bedeutendsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts war, kein offizielles Denkmal an zentraler Stelle gibt. Mit der bestehenden Dokumentationsstelle an der abgelegenen Bernauer Straße (JF 34/04) ist kaum einer in Berlin zufrieden. „Wir wollen mit dem Mahnmal Aufmerksamkeit wecken“, sagt Hildebrandt. Ziel sei, endlich eine angemessene Gedenkstätte zu schaffen. Sie fordert daher Gespräche, die den Weg zu einem dauerhaften Mauer-Denkmal am Checkpoint weisen sollen. Auf die rot-rote Stadtregierung setzt sie dabei nicht: „Vom Senat kommen nur Drohungen.“ Hildebrandt hofft vielmehr, sich mit der Berliner Volksbank zu einigen, der das Grundstück gehört. Bislang ist das Gelände nur gepachtet. Bleibt es dabei, muß das Denkmal zum Jahreswechsel abgerissen werden. Trotz aller Anfeindungen – Hildebrandt scheint mit ihrem Mahnmal auf dem richtigen Weg zu sein. Nach einem Bericht des Tagesspiegels will der Senat nun ein eigenes Konzept für einen dauerhaften Erinnerungsort erarbeiten – am Checkpoint Charlie.

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