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In kurzer Hose abstimmen: Kleiderordnung: Das Gespür für Qualität geht verloren

In kurzer Hose abstimmen: Kleiderordnung: Das Gespür für Qualität geht verloren

In kurzer Hose abstimmen: Kleiderordnung: Das Gespür für Qualität geht verloren

Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer im Deutschen Bundestag. Alle Politiker sind dazu angehalten, die Würde des Hohen Hauses zu achten, auch ohne konkrete Kleiderordnung.
Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer im Deutschen Bundestag. Alle Politiker sind dazu angehalten, die Würde des Hohen Hauses zu achten, auch ohne konkrete Kleiderordnung.
Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer im Deutschen Bundestag. Alle Politiker sind dazu angehalten, die Würde des Hohen Hauses zu achten Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
In kurzer Hose abstimmen
 

Kleiderordnung: Das Gespür für Qualität geht verloren

Auch im Politikbetrieb gibt es eine Kleiderordnung – oder eben keine, leider. Von den Vereinigten Staaten bis nach Deutschland weichen die formellen und unausgesprochenen Regeln auf, wie sich Volksvertreter den Bürgern und Medien gegenüber optisch präsentieren.
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„Spaß an Mode“ bescheinigt der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock selbst die FAZ. Beim Amtseid hellblaues Kleid mit schwingendem Plisseerock, in Brüssel knallroter Mantel, Hosenanzug im dunklen Lila beim Gespräch mit Rußlands Außenminister. Ansonsten statt Ton in Ton Muster und Blumen, flache Lederschuhe, Stiefel mit hohen Absätzen.

„Farbenfrohe Outfits und feminine Schnitte prägen ihre Looks und spiegeln die feministischen Bestrebungen um Gleichberechtigung der Grünen wider“, lobt Designer Thomas Rath auf Bunte.de. „Damenbekleidung ruft immer wieder oberflächliche Debatten hervor, ob BH oder nicht, Schuhwerk, Ausschnitt, Hosen, Röcke – unsere europäische Zivilgesellschaft kommt damit klar“, findet FDP-Politikerin Karoline Preisler.

Dabei übersieht sie, daß in Frankreich noch immer das vor mehr als 200 Jahren verabschiedete Gesetz gilt, das Frauen das Tragen von Hosen verbietet, wenn sie nicht „ein Fahrrad oder Pferd“ mit sich führen. Als zwei Parlamentarierinnen dieses Aufheben lassen wollten, wurde das abgelehnt, weil man zu viele Debatten fürchtete.

US-Senatoren dürfen künftig in kurzen Hosen abstimmen

Im US-Bundesstaat Missouri wurde Anfang des Jahres die Kleiderordnung für weibliche Abgeordnete verschärft. Diese müssen künftig ihre Arme bedecken. Bisher sahen die Regeln lediglich vor, daß Frauen Kleider, Röcke oder Hosen, kombiniert mit einem Pullover oder Blazer sowie mit Abendschuhen oder Stiefeln tragen sollten.

Lockerer wird die Kleiderordnung dagegen im Kongreß gesehen. Dort hat John Fetterman, demokratischer Senator aus Pennsylvania, gerade durchgesetzt, daß die „Sergeant-at-Arms“, also die offizielle Kleiderpolizei des Senats, den Kongreßabgeordneten nicht länger vorschreiben darf, was sie zu tragen haben. Senatoren dürfen künftig – genauso wie es Fetterman bereits praktiziert – auch in kurzen Hosen und kurzärmeligem Hemd oder Kapuzenpulli abstimmen. In Deutschland undenkbar? Von wegen. Bereits 1949 erschienen die 17 Abgeordneten der Bayernpartei in Lederhosen im Bundestag.

Es waren allerdings die Grünen, die mit ihrem Einzug in den Bundestag die geltenden Regeln des guten Geschmacks außer Kraft setzten. Hatte in den 1950er Jahren Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU) noch darauf bestanden, daß Abgeordnete Hosenträger durch Gürtel ersetzen sollten und Lenelotte von Bothmer (SPD) 1970 Anstoß erregt, weil sie im Hosenanzug erschien, sah sich 1983 Bundeskanzler Helmut Kohl plötzlich einem langhaarigen Studienrat im Strickpullover im Bundestag in Bonn gegenüber: dem Grünen-Abgeordneten Walter Schwenninger aus Tübingen. Das Foto wurde legendär. Latzhosen, Wollpullover, Turnschuhe hielten Einzug neben Strickutensilien.

Bundestag verzichtet auf konkrete Kleiderordnung

Im Bundestag gibt es bis heute keine konkrete Kleiderordnung, die Abgeordneten sind lediglich dazu angehalten, die Würde des Hauses zu achten. Doch offenbar gibt es eine Kleiderpolizei nach US-Vorbild. Darauf verweist die Grünen-Abgeordnete Emilia Fester auf Instagram: „Trotzdem gibt es aber natürlich eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, wie sich Abgeordnete im Parlament zu kleiden haben und einen Sitzungsdienst, der subtil darauf hinweist, wenn Schultern oder Zehen mal frei sind.“

Selbst über die Krawattenpflicht für Schriftführer sei schon gestritten worden, erinnert die Politikerin. Abgeordnete, die diese abgelehnt hatten, durften „deshalb ihr Amt nicht antreten“. 2011 war das. Daß letztlich mit Agnes Alpers eine Linke mit leuchtend roter Männerkrawatte neben dem Präsidenten saß, ließ man durchgehen.

Ein Jahr später empörte sich Publizist Peter Hanke: „Schlabber-Shirts, neonfarbener Kopfschmuck, Dreiviertelhosen – nicht etwa am Ballermann, sondern Abgeordnete eines deutschen Landesparlaments traten in diesem Aufzug ans Rednerpult.“ Die „Würde des Hohen Hauses“ sollte nicht in den Niederungen schlechten Geschmacks versinken.

„Verwahrlost wahrgenommenes Erscheinungsbild“

Im Bremer Landtag sorgte 2018 die Grünen-Abgeordnete Kai-Lena Wargalla für Aufregung, als sie sich mit nackten Füßen und Sommerkleid während der Sitzung fotografierte. Drei Jahre später stellte der LKR-Abgeordnete Peter Beck einen Antrag auf eine verbindliche Kleiderordnung für die Bürgerschaft, da er von Bürgern auf das „sehr laxe und in Teilen durchaus bereits als verwahrlost wahrgenommene Erscheinungsbild“ einiger Volksvertreter angesprochen worden sei.

Längst treten nicht nur grüne Bundesminister sondern selbst konservative Politiker mitunter ohne Krawatte vor die Kameras. Auf verlorenem Posten steht die Deutsche-Knigge-Gesellschaft. Deren Vorstandsvorsitzender Clemens Graf von Hoyos forderte Anfang des Jahres vergeblich die Abgeordneten auf, sich wieder besser zu kleiden.

Die Ansicht, weißes Hemd und Jackett würden ausreichen, um den „Respekt vor den Bürgern“ auszudrücken, wird allmählich mehrheitsfähig. Wenn Graf von Hoyos konstatiert, im Bundestag sei „an unterschiedlichsten Stellen das Gespür für Qualität und Wertigkeit verlorengegangen“, dann dürfte der Bundesbürger allerdings nicht zuerst an die Kleidung der Abgeordneten denken.

JF 48/23

Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer im Deutschen Bundestag. Alle Politiker sind dazu angehalten, die Würde des Hohen Hauses zu achten Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
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