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Rückkehr der ikonischen Zeitschrift: Die neue „Weltbühne“: Zwischen den Stühlen

Rückkehr der ikonischen Zeitschrift: Die neue „Weltbühne“: Zwischen den Stühlen

Rückkehr der ikonischen Zeitschrift: Die neue „Weltbühne“: Zwischen den Stühlen

Die „Weltbühne“ ist wieder da uns begeistert wie schockiert gleichermaßen. Foto: JF
Die „Weltbühne“ ist wieder da uns begeistert wie schockiert gleichermaßen. Foto: JF
Die „Weltbühne“ ist wieder da uns begeistert wie schockiert gleichermaßen. Foto: JF
Rückkehr der ikonischen Zeitschrift
 

Die neue „Weltbühne“: Zwischen den Stühlen

Der Verleger Holger Friedrich präsentiert eine Neuauflage der historischen „Weltbühne“. Die Beiträge brillieren und sorgen gleichermaßen für Empörung – wo die Zeitschrift hinwill, bleibt offen.
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Mit rebellischem Gestus kündigt sich die Neuauflage der Weltbühne an. In einer Zeit, die Pazifisten verlache, Rüstung als Investition verschleiere und Diplomatie als Appeasement schmähe, brauche es ein Blatt, das widerspreche, mahnen die beiden Herausgeber Thomas Fasbender und Bezhad Karim Khani in der ersten Nummer. Parole: „Die Weltbühne, die neue wie die alte, hält dagegen: Sie kämpft mit der Freiheit gegen den Krieg.“

Die neue „Weltbühne“, mit Beiträgen von Thomas Fasbender, Jean-Pascale Zorn u.a., 30 Seiten, Klammerheftung, 11 Euro.
Die neue „Weltbühne“, mit Beiträgen von Thomas Fasbender, Jean-Pascale Zorn u.a., 30 Seiten, Klammerheftung, 11 Euro.

Die beiden – Fasbender als Journalist, Khani als Romancier – wollen gegen den Strich denken. Auf einem Foto daneben sieht man sie am Bahnhof Berlin-Ostkreuz neben dem Verleger Holger Friedrich, der die finanziellen Lasten hinter dem Vorhaben stemmt.

Selfmademan will zur dpa

Mit der wirtschaftlichen Sanierung der 2019 übernommenen Berliner Zeitung hat sich der ostdeutsche Selfmademan bereits einen Namen gemacht. Die Zahlen für das Geschäftsjahr 2024 zeigten, daß es nach fünf Jahren gelungen sei, eine „ostdeutsche Ikone vor der Bedeutungslosigkeit zu bewahren“, bilanzierte Friedrich jüngst dem Medienmagazin Kress zufolge. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, feiert die erste nach Kriegsende gegründete deutsche Tageszeitung dieses Jahr doch ihren Achtzigsten.

Jetzt hat der Unternehmer ein neues Ziel. Er will sein Blatt zum Gesellschafter der dpa machen, um „ostdeutsche Perspektiven auch in die breitere Medienöffentlichkeit einbringen zu können“. Man sei mit dem Anliegen bereits bei der Presseagentur vorstellig geworden.

Mit der „Berliner Zeitung“ und der „Weltbühne“ die Debatte drehen

Kein Zweifel, daß Friedrich, der sich durchaus als Machtmensch versteht, den so gewonnenen Einfluß zu nutzen wüßte. Ein Mantra, daß der gelernte Schlosser seit Jahren öffentlich wiederholt, ist die Meinungsfreiheit. Unter Friedrich ist die Berliner Zeitung vielstimmiger geworden.

Die Redakteure haben Station bei der marxistischen Jungen Welt, aber auch bei der JUNGEN FREIHEIT gemacht – wie Fasbender, der dem Ressort Geopolitik am Alexanderplatz vorsteht. Der Umschwung läßt sich vor allem an der Arbeit der Onlineredaktion ablesen, die in Sachen Migration, AfD oder auch Corona immer wieder kritisch nachfaßt.

Packendes Für und Wider: Daniel-Pascale Zorn und Thomas Fasbender

Dieser heterodoxe Sound findet sich auch bei der Weltbühne wieder. Während der Philosoph Daniel-Pascal Zorn vor revolutionären Weltbildern warnt, sehnt sich Fasbender auf der gegenüberliegenden Heftseite „Revoluzzergedanken“ herbei. „Wer aber Geschichte als dialektischen Prozeß begreift, als Kette von Widersprüchen, muß doch erkennen, daß Zerstörung die Kehrseite der Befreiung ist“, so der Rußlandkenner, der gelegentlich auch im konservativen Magazin Cato veröffentlicht. Die starken Texte von Zorn und Fasbender stützen die erste Nummer ab.

Ihr Für und Wider liest sich unterhaltsam, erinnert an einen Zeitgenossen der alten Weltbühne, an Die Tat. Eine Zeit lang reichten sich dort unter Hans Zehrer, der in der Bundesrepublik zur Welt ging, rechte und linke Positionen die Hand – artikuliert von Größen wie Ernst Jünger.

Ausgabe der „Tat“ von 1932. Seine publizistische links-rechts-Synthese begründete Hans Zehrer einmal so: „Während sich also die Ebene der alten Positionen mehr und mehr zersetzt und sich dem Chaos nähert, wächst außerhalb dieses Prozesses eine neue Position heran.“
Ausgabe der „Tat“ von 1932. Seine publizistische links-rechts-Synthese begründete Hans Zehrer einmal so: „Während sich also die Ebene der alten Positionen mehr und mehr zersetzt und sich dem Chaos nähert, wächst außerhalb dieses Prozesses eine neue Position heran.“

Mehr Kunst!

Insofern ist es schade, daß Khani seinen Namensbeitrag „Der Anarchosaurier“ fast gänzlich verbraucht, Fasbenders Mitherausgeberchaft zu rechtfertigen: „Auf Instagram erhalte ich die Absage einer Autorin, die ich für die erste Ausgabe angefragt habe. Daß er da mitmischt, könne sie nicht so ganz einordnen. Ist das nicht ein Rechter?“ Der mehrfach preisgekrönte Autor hätte derartige Ausfälle ignorieren können. Stattdessen eine Prosaminiatur – das wäre ein Ereignis.

Zumal die Weltbühne, 1905 mit dem auf Schiller anspielenden Namen Schaubühne gegründet, sich zunächst als Kunstzeitschrift verstand und erst nach der Revolution, durch Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky geprägt, politischer wurde. Weltbühne ohne Kunst, das geht also nicht. Dieses Erbe hält Sam Zamrik mit seinen Versen „Fiktionsbescheinigung“ wach.

„Mehr Kunst!“ lautet daher die Devise. Die wiederaufgelegte Zeitschrift hätte sich dabei auf ein weiteres Weimarer Periodikum berufen können: Die Aktion. Das linksavantgardistische Blatt wurde von Künstlern wie Egon Schiele und George Grosz teils spektakulär aufgebrezelt. „Mehr Kunst!“ aber auch aus handwerklicher Sicht, denn das Papier der neuen Weltbühne wirkt alt, der Satz atmet nicht und die Seiten werden lieblos mit einer Heftklammer zusammengehalten. Höhepunkt ist ein grober Schnitzer am Anfang von Daniel-Pascal Zorns Beitrag „Zu stoßen, was fällt“, der falsch mit dem Satz beginnt: „Der der Westen geht unter.“

Ausgabe der „Aktion“ von 1914 mit einer Covergestaltung von Egon Schiele im Andenken an den Dichter und Anarcho-Reaktionären Charles Peguy, der kurz vor der ersten Marneschlacht im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Foto: Wikimedia
Ausgabe der „Aktion“ von 1914 mit einer Covergestaltung von Egon Schiele im Andenken an den Dichter und Anarcho-Reaktionären Charles Peguy, der kurz vor der ersten Marneschlacht im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Foto: Wikimedia

Kinderkrankheiten eines alten Blattes

Auch inhaltlich machen sich Mißstände bemerkbar. Etwa wenn Anne Waak ihren feministischen Beitrag „Biologie ist eine Bitch“ mit den Worten einleitet: „Menschliches Sperma ist eine der gefährlichsten Substanzen, denen sich eine Frau aussetzen kann.“ Wer hier nicht lachen muß, hat einfach keinen Humor. Leider meint es die Beiträgerin ernst.

Aber auch die Doppelbödigkeit, mit der Deborah Feldman den Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Philipp Peyman Engel dazu einlädt, die „Instrumentalisierung und Ausbeutung jüdischer Identität“ aufzuarbeiten, stößt bitter auf. Die Bestsellerautorin („Unorthodox“) hatte das Jüdischsein des Journalisten mit Verweis auf einen anonymen Angehörigen in Zweifel gezogen.

„Ein trauriges Schauspiel“

Vor allem dieser Artikel hatte für Empörung gesorgt. „Ein trauriges Schauspiel“, titelte beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das habe nichts mit Journalismus zu tun. Die taz wiederum zog Dokumente heran, die die jüdische Identität des Angegriffenen belegen sollen.

In einer Pressemitteilung machte auch der Zentralrat der Juden in Deutschland klar: „Wir stehen 100 Prozent zu Philipp Peyman Engel.“ Die Weltbühne wäre ohne den Beitrag besser gefahren, hätte ihn aber lege artis wenigstens umfassend redigieren müssen.

Wer zwischen den Stühlen sitzt, kann nicht kippeln

So bleibt der Eindruck einer Zeitschrift, die zwischen den Stühlen sitzt. Einmal als „Stachel im Fleisch eines verspießerten Zeitgeistes“, wie sich der Verleger Friedrich die Weltbühne wünscht. Andererseits aber auch als unfertiges Blatt, das mit Höhen und Tiefen kämpft. Und mit Unentschiedenheit: Außer dem zur Floskel verkommenen Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ läßt sich das Heft nämlich auf keinen Nenner bringen.

Zumal auch dieser Satz erst 1931 in der Weltbühne erschien. Vorher, zwischen 1914 und 1918, bemühte sich die Revue trotz aller Kritik um Konformität – und schaltete Werbung für Kriegsanleihen. Nicht zuletzt der Herausgeber der Aktion Franz Pfemfert nahm an diesem Lavieren Anstoß. Auch „Revoluzzergedanken“ brauchen eine Linie. Wer zwischen den Stühlen sitzt, kann nicht kippeln – und ist am Ende viel weniger rebellisch als gedacht.

Lesen Sie mehr in der JF-Ausgabe 23/25.

Die „Weltbühne“ ist wieder da uns begeistert wie schockiert gleichermaßen. Foto: JF
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