Norman Lewis malt die Zukunft der Europäischen Union in düsteren Farben. Meinungsfreiheit sei der neue Wert der EU, behauptet Lewis und erinnert an den holländischen Philosophen Baruch de Spinoza, der schon um 1675 aus Protest gegen die Willkür der Obrigkeit ausführte: „In einem freien Staat kann jeder denken, was er will, und sagen, was er denkt.“
Lewis ist geschäftsführender Direktor von Futures Diagnosis und Gastwissenschaftler des Mathias Corvinus Collegiums (MCC) in Brüssel. Dabei handelt es sich um eine rechtskonservative Bildungseinrichtung und Denkfabrik mit Hauptsitz in Budapest und einer Dependance in Brüssel, die dem rechtskonservativen Spektrum zugerechnet wird und daher quasi unter dem Generalverdacht der politischen Unkorrektheit steht. Lewis hat nun eine beachtete Studie veröffentlicht, die sich mit dem Kampf der EU-Eliten gegen „Haßsprache“ beschäftigt. „Die Frage der Redefreiheit war schon immer ein Streit darüber, wer entscheidet, was in der Gesellschaft gesagt, gehört oder gedacht werden darf“, schreibt Lewis.
Ein Versuch, zu bestimmen, was EU-Bürger online sagen dürfen
Der Schwerpunkt der Europäischen Union zur Eindämmung der sogenannten Haßrede und Desinformation sei die jüngste Form dieses Kampfes. Unter dem Deckmantel der Demokratie verabschiede die EU Gesetze gegen Haßrede und Desinformation, die einen grundlegenden Angriff auf die Redefreiheit und die Demokratie in Europa darstellen. „Ein Paket von Gesetzen, Verordnungen und Vereinbarungen zwischen den EU-Institutionen und Big Tech stellt einen Versuch der EU-Eliten dar, zu bestimmen, was die 448 Millionen Menschen in Europa online sagen dürfen und was nicht“, führt Lewis weiter aus.
Weitere weitreichende Regelungen zur Online-Rede seien geplant. Die EU-Kommission begründet dies mit der Notwendigkeit, die europäische Demokratie vor Haßrede und Fehlinformationen zu schützen und erklärte am 6. Dezember 2023: „Kein Platz für Haß: Ein geeintes Europa gegen den Haß.“ Dies sei ein Aufruf an alle Europäer, sich gegen Haß zu stellen und für Toleranz und Respekt einzutreten, so EU-Kommissonspräsidentin Ursula von der Leyen und der Hohe Vertreter/Vizepräsident Josep Borrell vereint.
Europa wird nicht durch Haßreden bedroht, sondern durch EU-Eliten
Diese Bemühungen der EU die Bekämpfung von „Haß“ in all seinen Formen zu verstärken, sollen durch Maßnahmen in einer Vielzahl von Politikbereichen verstärkt werden. Dazu gehören die Intensivierung der Arbeit zur Bekämpfung von Haßreden im Internet durch eine Aktualisierung des mit den wichtigsten Online-Plattformen vereinbarten Verhaltenskodex, Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Kulturstätten durch eine Aufstockung der Mittel des Fonds für die innere Sicherheit und eine Aufwertung der Rolle der Beauftragten der derzeitigen Koordinatoren für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung des jüdischen Lebens, für die Bekämpfung von antimuslimischem Haß und für die Bekämpfung von Rassismus.
Doch hinter diesen Beschwörungen der Demokratie verberge sich in Wirklichkeit eine zutiefst antidemokratische Haltung gegenüber den europäischen Bürgern, glaubt Lewis. Europa werde nicht durch Haßreden angegriffen, sondern die europäischen Bürger würden durch die haßerfüllte Haltung der EU-Eliten angegriffen. „Die Mächtigen betrachten die europäischen Bürgerinnen und Bürger als Kinder, die leicht zu manipulieren sind und vor schädlichen Reden und Ideen geschützt werden müssen“.
Seine Studie unter dem Namen „Der Angriff der EU auf die Online-Sprache“ soll einen Beitrag gegen die Desinformation darstellen. Das EU-Parlament hatte sich im Januar mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, Haßrede im Internet in der Europäischen Union unter Strafe zu stellen. Das Parlament wollte damit den Druck auf die nationalen Regierungen erhöhen. Bisher gibt es in den Mitgliedsstaaten unterschiedliche Regeln, wie Haß und Hetze im Internet verfolgt werden. Das machte unter anderem eine Strafverfolgung über Landesgrenzen hinweg schwierig.
Vor den EU-Wahlen hat sich die Lage für die Redefreiheit verschärft
Ziel des EU-Parlaments war es, Haßrede in den Katalog von EU-Straftaten aufzunehmen. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte zuvor erklärt: „Der Verhaltenskodex, den wir 2016 mit den großen Online-Plattformen vereinbart haben, hat bedeutende Fortschritte gebracht. Doch die digitale Landschaft hat sich weiterentwickelt, und wir stehen vor neuen Herausforderungen und Bedrohungen in den Bereichen Haßreden im Internet und Meinungsfreiheit. Wir machen nun rasche Fortschritte hin zu einem „Verhaltenskodex+.“
Für Norman Lewis ist das allerdings kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in längst vergangene Zeiten. Die Überwachung der Meinungsäußerung sei zum Modus operandi der fragilen technokratischen Oligarchie der EU geworden, die jede offene und unvorhersehbare Debatte fürchte. Letztlich gehe es darum, Debatten in eine bestimmte Richtung zu lenken und zu verhindern, daß Themen wie der „Green Deal“ oder die Massenmigration von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert würden.
„Im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni, bei denen ein starker Anstieg der Unterstützung für nationale Parteien, die gegen eine zentralisierte EU-Kontrolle sind, prognostiziert wird, hat sich die Situation verschärft“, ist sich Lewis sicher. In der Tat wurde die neue Vorgabe im vergangenen Januar in Windeseile durch das Straßburger Parlament gepeitscht. „Erstens geht es bei der Haßrede nicht um gute Manieren oder ein Regierungssystem, das zivilisiertes Verhalten zum Schutz der Bürger hervorhebt. Es ist ein politisch motivierter Kreuzzug zur Institutionalisierung eines EU-Wahrheitsministeriums“, schreibt Lewis.
Der Einsatz der künstlichen Intelligenz verschlimmert die Probleme
Am Ende stehe dessen Ziel, die EU und ihre zentralen Institutionen vor der Meinungsfreiheit zu schützen. Die Entwicklung von Gesetzen gegen Haßreden sei seit der Gründung der EU von antidemokratischen Impulsen angetrieben worden. „Die EU-Elite hat ständig Angst vor den Ansichten und Meinungen der europäischen Bürger. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehen die europäischen Eliten ihre Aufgabe darin, Europa vor den Gefahren einer ungezügelten Demokratie zu schützen“, heißt es weiter. Es herrsche ein Klima der Angst vor der Unberechenbarkeit der freien Meinungsäußerung und der Wahlen.
Dies habe sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt, da in der gesamten EU politische Kräfte auf dem Vormarsch seien, die die europäische Kultur und Geschichte umdeuten wollten. Durch die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz werde sich das Problem in Zukunft noch verschärfen. Lewis spricht von einem Kreuzzug gegen die Meinungsfreiheit: „Der Einsatz von künstlicher Intelligenz, um die Überwachung von Redefreiheit voranzutreiben, stellt eine reale und gegenwärtige Gefahr für die Zukunft der europäischen Demokratie dar.“
Dabei gehen die EU-Institutionen durchaus perfide vor. Schon die Kleinsten sollen indoktriniert werden. Die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland hat das Planspiel „Fakt oder Fake“ ins Leben gerufen und in Zusammenarbeit mit der Agentur planpolitik neue Spiel-Module entwickelt, die einzeln oder aufeinander aufbauend im Unterricht oder bei Veranstaltungen zum Thema Desinformation eingesetzt werden können. Durch die Einbeziehung sogenannter KI-Module können Antworten automatisiert auf „Haßrede“ untersucht und ständig erweitert werden. Die KI könne durch Training toxische und aggressive Inhalte in Kommentaren mit der Zeit immer präziser erkennen, heißt es.
Brüssel untergräbt die Demokratie in der Europäischen Union
Lewis fordert daher seine Leser auf, den Spieß umzudrehen. Während der anstehenden Wahlkämpfe sollte es das Ziel sein, jeden Versuch „von Brüssel und seinen Big-Tech-Verbündeten zu entlarven“, die Meinungsfreiheit einzuschränken. So könne die Brüsseler Elite selbst der Verbreitung von „Desinformation“ oder „Fake News“ beschuldigt werden. Die wahre Bedrohung bei den anstehenden EU-Wahlen und der Zukunft der europäischen Demokratie sei der Kreuzzug der EU gegen vermeintliche Haßreden und Desinformation. „Die beste Verteidigung der Demokratie ist immer die Redefreiheit. Im Gegensatz zu denjenigen, die sich weniger Rede oder kontrollierte Rede wünschen, treten wir für mehr Rede und freiere Rede ein“, schreibt Lewis. Mehr Redefreiheit sei die einzige langfristige Grundlage für den Schutz der Demokratie in Europa.
In seiner Studie widmet sich Lewis ausführlich den Ausführungen des Vizepräsidenten der EU-Kommission Josep Borrell, der vor einigen Monaten alle erdenklichen Maßnahmen ankündigte, um Haß in all seinen Formen zu bekämpfen und die Maßnahmen in den Bereichen Sicherheit, Digitales, Bildung, Kultur und Sport zu verstärken. „Dies schließt die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für den Schutz von Stätten der Religionsausübung ein und wird durch die Benennung von Beauftragten unterstützt, die ein ausdrückliches Mandat erhalten, um das Potential der EU-Politik zur Bekämpfung von Haß zu maximieren“, erklärte er damals. Die Frage, was in den Köpfen der Europäer vorgeht, sei es, die Borrell und seine Kommissionskollegen nachts wach halte, kommentiert Lewis zynisch.
Die Ankündigung von Věra Jourová, einer weiteren EU-Vizepräsidentin, eine „Demokratietour“ durch Europa zu starten, sei Teil dieses Narrativs. Lewis schreibt durchaus provokativ, daß es nicht die russischen Desinformationsstrategien seien, die die größte Gefahr für die EU darstellen würden: „Es ist die selbsternannte lenkende Hand des großen Brüssel und seiner Experten, die glauben zu wissen, was das Beste für Europa ist, und die bereit sind, die Demokratie selbst zu untergraben, indem sie die Meinungsäußerung kriminalisieren“, so Lewis.
„Wir brauchen eine öffentliche Kampagne, die Brüssel zur Rechenschaft zieht“
Anschaulich zeigt er, welche Mißbrauchsmöglichkeiten bestünden, gerade durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Wohl jeder normale Bürger sei damit einverstanden, daß Daten ausgewertet werden können, um Kindesmißbrauch zu verhindern. Doch der Zugriff auf Whats-App-Verläufe oder Instagram-Kanäle würde am Ende dazu dienen, um Meinungsäußerungen zu kontrollieren. Dagegen müsse man sich wehren. „Alle Akteure, angefangen bei der EU-Kommission, sind nicht gewählt und daher den Bürgern gegenüber nicht rechenschaftspflichtig“, schreibt Lewis, der im Zentrum der EU-Institutionen ein Wahrheitsministerium ausgemacht hat, das darüber entscheidet, was gesagt werden dürfe.
„Das ist das Betriebssystem der EU.“ Und das Letzte, was man in Brüssel wirklich wolle, sei Medienpluralismus. Daher würden alternative Medienformate auf das Erbittertste bekämpft. Lewis schließt mit einer Forderung: „Was wir jetzt brauchen, ist eine robuste und öffentliche Verteidigung der freien Meinungsäußerung für alle, unabhängig davon, ob Brüssel sie als „rechtsextrem“, „Putins Propagandisten“ oder was auch immer beschimpft.“ Die Menschen in Europa müßten die Freiheit haben, alle Argumente zu hören und sich selbst ein Urteil zu bilden. Dem böswilligen und haßerfüllten Vorurteil der EU-Eliten, die Bürger seien zu unwissend, dumm und anfällig für die Manipulation durch Demagogen, müsse energisch entgegengetreten werden.
„Wir brauchen eine öffentliche Kampagne, die die Brüsseler Technokraten zur Rechenschaft zieht“, so Lewis unter Hinweis auf die Brüsseler Erklärung zur freien Meinungsäußerung des MCC von Ende April, einer Kampagne zur Unterstützung der Redefreiheit in der EU, die jeder unterschreiben und unterstützen kann.