Man stellt ihn sich am besten als spanischen Karl Lauterbach vor: Julio Blanco (Javier Bardem). Zwar leitet der mondäne Musterchef kein Ministerium, sondern ein mittelständisches Unternehmen, das Industriewaagen herstellt. Zwar ist er rhetorisch weitaus begabter als der deutsche Injektions-Irrwisch. Zwar ist seine Erscheinung weitaus imposanter als die des schmalbrüstigen Sozialdemokraten, doch genau wie der exzentrische Minister ist Blanco rührend um seine Untergebenen besorgt, weiß immer, was das beste für sie ist, und setzt es notfalls auch mit drakonischen Maßnahmen durch. Selbstverständlich geht es dabei nie um ihn selbst, sondern immer um das Gemeinwohl.
Anstrengung, Gleichgewicht, Treue – in großen Buchstaben ziert das Firmenmotto die Haupthalle von Basculas Blanco. „Eine große Familie“ sei das Unternehmen, heißt es sogar in der Zeitung, die der Patriarch stolz präsentiert. Seine Angestellten ergötzt er regelmäßig mit motivierenden Ansprachen. Er ist restlos davon überzeugt, daß die ihn lieben.
Dunkle Schatten auf dem Paradies
Sein Bekenntnis „Wir gehen in dieser Firma enge Bindungen ein“ ist durchaus wörtlich zu verstehen: Von seiner Praktikantin Liliana (Almudena Amor) läßt der Patron sich willig verführen. Als seine Frau ihm eröffnet, daß Liliana die Tochter eines langjährigen Freundes der Familie ist, ändert das natürlich alles.
Dabei kann der Unternehmer Komplikationen gerade überhaupt nicht gebrauchen. Seine Firma soll nämlich beim Regionalwettbewerb „Excellencia provincial“ als Sieger vom Platz gehen, und soeben ist ihm die freudige Nachricht ins Haus geflattert, daß sie unter die letzten drei gekommen ist.
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Daß ausgerechnet jetzt dunkle Schatten aufs Firmenparadies fallen, paßt dem perfekten Paternalisten gar nicht. Neben der Zwickmühle, in die ihn die Affäre mit Liliana gebracht hat, gibt es weitere Baustellen: die Eheprobleme seines Produktionsleiters Miralles (Manolo Solo), dessen Unkonzentriertheit sich auf die Firmenbilanz auszuwirken droht, und die Protestaktion des entlassenen Mitarbeiters José (Oscar de la Fuente).
Die Fassade bröckelt
Vergeblich hatte der sich gegen seine Kündigung gestemmt. Nun hat er seinem Ex-Patron den Kampf angesagt: In „Ende Gelände“-Manier eröffnet der Entlassungsleugner ein Ein-Mann-Protestlager direkt gegenüber vom Firmeneingang und traktiert Blanco Morgen für Morgen mit penetranten Parolen. Alle Versuche des Patriarchen, sich den Störenfried vom Hals zu schaffen, scheitern. Megaphon-Durchsagen und Spruchbänder („Du wirst in der Hölle schmoren.“) werden immer aggressiver. Was tun?
Regisseur Fernando León de Aranoa nutzt die verschiedenen Handlungsstränge – Liliana, Miralles, Firmendissident José –, um die Risse in der Fassade des Vorzeigeunternehmens und seines Vorzeigechefs von Szene zu Szene größer werden zu lassen. Gleichzeitig hält er so das Spannungsniveau hoch. Zum intelligenten Leitmotiv wird die Waage. Als materialisiertes Firmenlogo ist eine neben dem Schlagbaum vor dem Werksgelände befestigt. Sie dient Blanco als Symbol der eigenen Gerechtigkeit. Wenn in ihr eine Grasmücke ihre Exkremente ausscheidet und so das Gleichgewicht zerstört, wankt die ganze Firmenphilosophie.
Mit großer Lust an der Satire und einem glänzend aufgelegten Hauptdarsteller, der die mit spanischen Filmpreisen überhäufte Komödie dominiert wie ein Elefant den sprichwörtlichen Porzellanladen, seziert de Aranoa die hypermoralische Musterexistenz des vermeintlichen Philanthropen und freut sich sichtlich über alles, was durch sein naives Selbstbild und das daraus resultierende ungelenke Verhalten zu Bruch geht. Und der Zuschauer freut sich mit.
Filmstart: 28. Juli