BERLIN. Einen Tag nach der Absetzung von Bild-Chef Julian Reichelt wächst auch die Kritik am Vorstandsvorsitzenden der Axel-Springer-Verlagsgruppe, Mathias Döpfner. Es sei eine „Schande für die deutschen Zeitungsverlage“, daß Döpfner ihr oberster Repräsentant sei, schrieb der Medienjournalist Stefan Niggemeier auf Twitter. Döpfner ist auch Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Er vermisse eine kritische Auseinandersetzung mit Döpfners Vorgehen, beklagte Niggemeier.
Es ist eine Schande für die deutschen Zeitungsverlage, dass jemand wie #Döpfner ihr oberster Repräsentant ist. Und das nicht erst seit dem DDR-Obrigkeitsstaats-Zitat. (1/6) https://t.co/cPb91omrGP
— Stefan Niggemeier (@niggi) October 19, 2021
Auch der Gründer und Chefredakteur des Branchendienstes DWDL, Thomas Lückerath, mahnte auf Twitter, nach Reichelts Abgang beliebe noch ein weiteres Thema: Mathias Döpfner. Der gefeuerte Bild-Chef sei „eigentlich nur die Randfigur in diesem international beachteten Drama namens ‘Reichelts Werk und Döpfners Beitrag’, schrieb Lückerath in einem Kommentar. Es gehe „um das Bild eines Medienhauses und seines Vorstandsvorsitzenden, der so einen wie Reichelt gewähren ließ“.
Reichelt war am Montag abend vom Springer-Verlag mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden worden. Ihm folgt der bisherige Chefredakteur der Welt am Sonntag, Johannes Boie, nach.
Privates und Berufliches nicht klar getrennt
Grund für die Entscheidung waren unter anderem Presserecherchen und ein Artikel in der New York Times, in dem Reichelt Verfehlungen als Vorgesetzter vorgeworfen wurden. „Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, daß Julian Reichelt auch nach Abschluß des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat“, hieß es in einer Mitteilung des Verlags zu Reichelts Absetzung.
Laut dem Spiegel soll Reichelt Beziehungen, auch sexueller Art, zu ihm unterstellten Mitarbeiterinnen unterhalten haben. Zwar seien diese Beziehungen einvernehmlich gewesen, Reichelt habe seine Liebespartnerinnen aber beruflich protegiert. Der Spiegel faßt die Vorwürfe wie folgt zusammen: „Machtmißbrauch, Vermischung von beruflichen und privaten Beziehungen zu Mitarbeiterinnen, die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen.“
Schon im Frühjahr hatte es entsprechende Berichte über Reichelt gegeben, die der Bild-Chef aber stets bestritt. Für die Dauer eines internen Untersuchungsverfahrens wurde Reichelt zur Klärung der Vorwürfe befristet von seinen Aufgaben freigestellt, kehrte jedoch Ende März nach Abschluß der Ermittlungen auf seinen Posten zurück und widmete sich fortan vor allem auch der Verwirklichung des neuen Springer Prestige-Projekts, dem Fernsehsender „Bild TV“. Allerdings machte er sich dabei offenbar erneut als Vorgesetzter angreifbar, wie die Springer-Mitteilung vom gestrigen Montag nahelegt („Privates und Berufliches nicht klar getrennt“).
Kritik an Corona-Maßnahmen
Auch deshalb nun wächst die Kritik an Döpfner. Zum einen wird ihm vorgehalten, Reichelt nicht schon nach den Vorwürfen im Frühjahr abberufen, sondern ihn sogar noch gestützt zu haben. Intern soll Döpfner Reichelts journalistische Arbeit als „extrem wichtig“ für das Land gewürdigt haben.
In diesem Zusammenhang berichtet der Spiegel auch über eine private Nachricht, die Döpfner an den Schriftsteller Benjamin Stuckrad-Barre geschickt haben soll und in der er laut dem Magazin schrieb: Reichelt sei „halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR Obrigkeits-Staat aufbegehrt“.
Die meisten anderen Journalisten, wird Döpfner indirekt wiedergegeben, seien zu Propaganda-Assistenten geworden. In der Tat war zu beobachten, daß die Bild-Zeitung nach Reichelts Rückkehr einen zunehmend kritischeren Kurs bei der Beurteilung der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen einschlug.
So schrieb er im August in einem Kommentar: „Wenn der Rechtsstaat zu glauben beginnt, er könne gönnerhaft mit Grundrechten umspringen, sie gewähren oder entziehen, wie es gerade zur Politik der Regierung paßt, öffnet er allen die Tore, die ihn abschaffen wollen.“
Das Gesundheitssystem sei in der Corona-Krise nie überlastet gewesen und werde es wegen der Impfung nun noch viel weniger sein, als daß sich Grundrechtseinschränkungen wie Demonstrationsverbote rechtfertigen ließen. „Was unsere freiheitliche Gesellschaft ausmacht, ist der feine Unterschied zwischen verbieten und erlauben. In der freien Gesellschaft ist erlaubt, was nicht verboten ist.“ (krk)