Anzeige
Anzeige

Julian Reichelt: Vorlaut zu sein, reicht nicht

Julian Reichelt: Vorlaut zu sein, reicht nicht

Julian Reichelt: Vorlaut zu sein, reicht nicht

Beurlaubter Chefredakteur Julian Reichelt
Beurlaubter Chefredakteur Julian Reichelt
Beurlaubter Chefredakteur Julian Reichelt Foto: picture alliance / Jörg Carstensen/dpa | Jörg Carstensen
Julian Reichelt
 

Vorlaut zu sein, reicht nicht

Julian Reichelt, Chefredakteur der Bild-Zeitung, ist in das Visier der internen Ermittler des Axel-Springer-Verlags geraten. Obwohl die genauen Vorwürfe nicht bekannt sind, machen sich andere Chefredakteure über ihn lustig. Wer ist dieser Mann, der so viel Kritik auf sich zieht?
Anzeige

Julian Reichelt, Chefredakteur der Bild-Zeitung, ist in das Visier der internen Ermittler des Axel-Springer-Verlags geraten. Deren Aufgabe ist es, die Verlagsrichtlinien durchzusetzen: keine Korruption, kein Mobbing, keine sexuellen Nötigungen und das ohne Ansehen der Person. Welche Vorwürfe genau es sind, die gegen Reichelt im Raum stehen, ist nicht bekannt.

Reichelt bestreitet sie und Springer-Chef Matthias Döpfner bat in einer internen Mail an alle Mitarbeiter um Fairneß und nicht um eine Vorverurteilung. Die Häme in den Medien ist unübersehbar. Selbst Chefredakteure anderer Zeitungen greifen zur Feder und machen sich über den Bild-Chef lustig. Es liegt nicht nur an Deutschlands auflagenstärksten Boulevardzeitung – es liegt eben auch an der Person.

Reichelt ist 40 Jahre alt, geboren in Hamburg. Ein echtes Springergewächs. Als 20jähriger wirkte er noch schmalbrüstig, die Füße selbst im Winter unbestrumpft, dafür aber vorlaut. Ein Wesenszug vieler aufstrebender journalistischer Eleven. Die Ansicht, ein loses Mundwerk („Da sieht man wo unsere Steuergelder bleiben, ihr Büro ist ja größer als das meines Chefredakteurs.“), reiche, um dem Vize-Leiter einer Verkehrspolizeiinspektion den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben, ist eben ein Trugschluß.

Diese Art der Charmeoffensive, die als Drohung empfunden werden könnte, führt eben nicht zum Durchstechen von Informationen, sondern zu Dissonanzen zwischen Polizei und Redaktion. Was ein Boulevardblatt, dessen Themenvielfalt eben nicht nur, wie weiland die Band „Die Ärzte“ behauptete, aus Angst, Haß, Titten und dem Wetterbericht besteht, mit der Zeit monothematisch erscheinen lassen kann.

Auch in der Axel-Springer-Straße wird scharf geschossen

Nach seinem Volontariat ging Reichelt ins Ausland, an die Front. Warum wird einer wie er Kriegsberichterstatter? Reichelt beschreibt seine Motivation folgendermaßen: „Es ist ein kleiner, verschworener Club von Reportern, die aus Kriegsgebieten berichten. Wir kennen uns, wir haben uns alle schon gegenseitig übermüdet, verdreckt, mit zerriebenen Nerven erlebt. Wir alle glauben daran, daß die Geschichte größer ist als das Risiko.“ Da schwingt Heldenverehrung, Manneszucht, Pflichtgefühl, das Sterben für eine Idee mit.

Reichelt wechselte anschließend an die Spitze der Bild. Und nicht nur das: Er häufte Ämter an wie andere Orden an ihre breite Brust. Doch auch in der Axel-Springer-Straße wird scharf geschossen – schon immer. Die Bild brachte begnadete Blattmacher wie Peter Boenisch, Günter Prinz, Hans-Hermann Tiedje oder Claus Larass hervor. Unbedingte Sympathieträger waren sie nicht. In dieser Tradition steht Julian Reichelt.

Was ihn von seinen Vorvätern unterscheidet: Zum einen der enorme Auflagenverlust des Blattes. Auch wenn Print heute kaum noch eine Rolle spielt, wirken sich die Zahlen eben auch auf die Motivation der Mitarbeiter aus. Zum anderen wirkt Reichelt nicht authentisch. Es sei eben nicht ausreichend, Angst zu verbreiten, es sei nicht ausreichend, willfährige Menschen zu fördern und andere Meinungen, so schildern das mehrere Mitarbeiter gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, nicht gelten zu lassen.

Seine Chancen stehen nicht gut

Die Fluktuation sei hoch. Die Mitarbeiter aber brauchen Verläßlichkeit. Wie auch die Leser. Und genau das scheint Reichelt nicht vermitteln zu können. Dem Blatt fehle ein roter Faden in der Themenbearbeitung. Je öfter Reichelt seinen Schwur auf die Bild erneuert, umso hohler und inhaltsleerer erscheint der, er wird zur Phrase.

Wird Reichelt die Schlacht überstehen? Seine Chancen stehen nicht gut. Mag es früher über dem Bild-Chef nur noch den lieben Gott gegeben haben, steht heute ein amerikanischer Investor dazwischen. Da helfen auch keine Stars and Stripes im Büro des Chefredakteurs. Und dann? In einer Bild-Videokonferenz in der vergangenen Woche soll er, nachdem die ersten Gerüchte im Spiegel veröffentlicht worden waren, gesagt haben, alles, was er in seinem Leben getan habe, habe er immer für diesen Laden getan und für die Leute hier.

Am Sonnabend meldete die Axel Springer SE: „Julian Reichelt, Vorsitzender der Bild-Chefredaktionen und Sprecher der Bild-Geschäftsführung, weist die Vorwürfe zurück. Um eine ungestörte Aufklärung sicherzustellen und die Arbeit der Redaktion nicht weiter zu belasten, hat er den Vorstand darum gebeten, bis zur Klärung der Vorwürfe befristet von seinen Funktionen freigestellt zu werden. Die Freistellung ist inzwischen erfolgt.“

Reichelt mag sich über die Bild definieren, die Bild aber niemals über Reichelt.

Beurlaubter Chefredakteur Julian Reichelt Foto: picture alliance / Jörg Carstensen/dpa | Jörg Carstensen
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag