„Was wollen die Rechtspopulisten?“ Das war die Frage, die sich durch den ganzen gestrigen Themenabend anläßlich der anstehenden EU-Wahl in der ARD zog. In der Dokumentation, die „Das Erste“ zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr ausstrahlte, kamen immerhin sowohl bekennende Befürworter der Europäischen Union, wie auch Kritiker zu Wort. Die Wertung lieferten die Macher des Films dem Zuschauer freilich gleich mit. Wenn auch nicht ganz so sehr mit der Holzhammer-Methode wie sonst.
Dennoch machten sie dem Bürger vor dem Fernseher geschickt klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Der „Scharfmacherei“ von Italiens Innenminister Matteo Salvini wurde eine nette italienische Familie gegenübergestellt, die selbst einen Flüchtling bei sich wohnen läßt, und wütend über die herzlose „Abschottungspolitik“ ihrer Regierung ist.
Kluge Wortbeiträge von Ralf Schuler
In Ungarn zeigen sie als Gegenpart zu einem Winzer, der keine Einwanderung will, eine junge linke Orban-Kritikerin, die bedroht wird, seit sie auf einer Demonstration wüst die Regierung beschimpfte, weil sie nach dem Krebstod ihres Vaters so wütend auf deren Gesundheitspolitik war, die, statt Leben zu retten, lieber Fußballstadien baue.
So zog sich das durch die ganze Sendung und ganz Europa. Von Italien über Ungarn bis nach Frankreich. Von Brüssel bis nach Essen. Österreich war für die Produzenten übrigens so gut wie gar kein Thema. Zu erfolgreich und beliebt ist vielleicht die dortige rechtskonservative Regierung, unter Beteiligung der FPÖ.
So erwartbar manipulativ – wenn auch stellenweise überraschend subtil – die Doku war, so erfreulich ausgewogen und interessant war die anschließende Diskussionsrunde zum Thema bei „hart aber fair“. Dies lag zu großen Teilen an Ralf Schuler. Der Bild-Journalist und Autor des Buches, „Laßt uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur“, bereicherte die Debatte im Fernsehstudio von Frank Plasberg mit seinen klugen Wortbeiträgen sehr.
Palmer widerspricht sich
Seine Kernthese: „Populismus gehört in die Mitte der Gesellschaft und nicht an die Ränder“. Für die Anti-EU-Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung machte der Chefkorrespondent im Parlamentsbüro seiner Zeitung doch tatsächlich auch die EU und ihre politischen Vertreter mitverantwortlich. Wenn die Kunden weglaufen, müsse man darüber nachdenken, ob es vielleicht an dem Produkt liege, findet Schuler. Nahezu jede seiner Aussagen ist auf den Punkt zitierfähig. Sie sind unaufgeregt und doch herzerfrischend, dabei immer pointiert vorgetragen.
Überspitze Formulierungen im Wahlkampf und bei Parteiveranstaltungen, wie sie der AfD immer wieder vorgeworfen werden, sind für Schuler keine Alleinstellungsmerkmale der AfD. Solche Übertreibungen würden zu den demokratischen Gepflogenheiten aller Parteien gehören, wenn es darum gehe, zur eigenen Basis zu sprechen. Ausgerechnet Boris Palmer mochte das bestreiten. Der Grüne meint: Die AfD wolle keine anderen Meinungen als ihre im Land zulassen. So etwas gebe es in seiner Partei nicht. Diese Behauptung mutet aus dem Mund des Tübinger Bürgermeisters merkwürdig an. Hatte er sich in der Vergangenheit doch immer wieder über die mangelnde Toleranz für die Meinung anderer eben gerade auch in seiner eigenen Partei beschwert; und tat das im Übrigen auch im weiteren Verlauf der Sendung wieder.
„Tolerant sind die AfDler“, findet der Europaparlaments-Kandidat Guido Reil, der auch schon in der ARD-Doku zuvor zu sehen war. Denn Toleranz heißt erdulden, und wer sich offen zur AfD bekennt, habe einiges zu erdulden, sagt er. Der Politiker und Bergarbeiter weiß, wovon er redet. Bereits mehrfach wurde sein Wohnhaus in Essen Ziel von Anschlägen.
Echtes Interesse über politische Lager hinweg
Restaurants wollen ihn und seine Parteifreunde nicht als Gäste. Selbst bei der Arbeiterwohlfahrt hat man den ehemaligen Sozialdemokraten rausgeschmissen. Ralf Schuler kommentiert solche Erlebnisse, wie sie viele Vertreter des nichtlinken politischen Spektrums kennen, mit der Aussage, die auch nach der Sendung noch am eindrücklichsten hängen blieb: Als Christ, der in der DDR aufgewachsen sei, habe er große Probleme damit, wenn jemand, auf Grund seiner politischen Haltung, „in seinem Menschsein ausgegrenzt wird“.
Die Fähigkeit, den anderen als Menschen anzunehmen, unabhängig von politischen Differenzen, scheint tatsächlich weitgehend ausgestorben zu sein. Direkt wohltuend wirkte da der respektvolle verbale Schlagabtausch zwischen Reil und der „Weltspiegel“-Moderatorin, Isabel Schayani, die tatsächlich von echtem menschlichem Interesse, auch für die politischen Beweggründe des jeweils anderen, geprägt zu sein schien.
Die Journalistin frage sich und ihn, was bei Reil Untertage vorgefallen sei, daß er so gegen seine ehemaligen moslemischen Kollegen „wettere“. Er fragte, mit Blick auf die persischen Wurzeln Schayanis zurück, wie sie die negative Entwicklung, die die Islamisierung für den Iran gebracht habe, einfach so ausblenden könne.
Kühnert fehlte
Das mag, wenn man es hier nur liest, nach persönlichen Angriffen klingen. Wer die Sendung gesehen hat, hatte aber einen deutlich anderen Eindruck. Die Debatte Reil gegen Schayani, war ein echtes miteinander Diskutieren, das zeigte, wie tragisch es im Grunde ist, daß so etwas heute vielen kaum mehr möglich zu sein scheint.
Eigentlich sollte übrigens auch Kevin Kühnert Teil der Runde sein. Er fiel grippebedingt aus. Was schade war. Waren seine Enteignungsthesen doch das perfekte Beispiel dafür, daß es nicht nur rechten, sondern auch linken Populismus gibt. Fand auch der österreichischer Politik- und Kommunikationswissenschaftler Peter Filzmaier. In aller Deutlichkeit stellte er fest: „Selbstverständlich war das Linkspopulismus.“ Daß er wegen seines Populismus als Mensch ausgegrenzt wird, muß Kühnert aber wohl nicht befürchten. Vielmehr wünschen ihm wohl fast alle, auch die, die er enteignen will, von Herzen: Gute Besserung.