Ein ehemaliger Fraktionschef der Linkspartei möchte den Reichtum in der Welt umverteilen. Ein langjähriger EU-Parlamentsabgeordneter pflichtet ihm bei und ergänzt, Volksabstimmungen hätten auf nationaler Ebene nichts zu suchen. Ein linker Politologe warnt vor einer Radikalisierung von rechts. Nichts Neues also in der deutschen Talkshow-Landschaft?
Doch, denn all diese Themen, die gesamte Debatte, ist ummantelt von den Erfolgen der Alternative für Deutschland (AfD). Das ist auch den talkshowerfahrenen Gästen von Sandra Maischberger anzumerken, die zum Thema „Die Angstmacher: Wie gefährlich sind Deutschlands Populisten?“ geladen hatte.
Sarrazin als Wegbereiter der AfD?
Thilo Sarrazin, der gerade das Buch „Wunschdenken“ veröffentlicht hat, in dem er sich mit gutem und schlechtem Regieren, wirtschaftlichem Erfolg und „kognitiver Kompetenz“ beschäftigt, muß sich auch prompt den Vorwurf gefallen lassen, er habe mit seinen Büchern der AfD den Weg bereitet. Doch der Ex-Bundesbanker distanziert sich mit Verweis auf die „polemischen Reden“ des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke von der Partei und läßt wissen: „Hätten die verantwortlichen Politiker der CDU und SPD meine Analysen ernst genommen und gehandelt, wäre die AfD gar nicht erst gegründet worden.“
Der ehemalige Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, sieht das anders. „Natürlich gibt es da Überschneidungen“, meint er und wettert weiter: „Zäune, Mauern, Schießbefehl!“ Überhaupt seien die Steuerpläne der AfD „asozial“ und ihre Position zum Islam „grundgesetzwidrig“. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, glaubt Gysi, würde das Bundesverfassungsgericht ein Verbot von Minaretten und Moscheen unterbinden. Die Asylkrise: „Schuld des Westens! Die 62 reichsten Menschen der Welt haben genau so viel Geld wie die Hälfte der Menschheit!“
Gysi warnt vor Religionskrieg
Der 68 Jahre alte Jurist warnt sogar vor einem Religionskrieg, falls die AfD weiter erfolgreich sei. „Wenn die AfD den Satz: ‚Der Islam ist nicht Teil der deutschen Tradition und gehört deshalb nicht zu Deutschland‘ in ihr Parteiprogramm am kommenden Sonntag aufnimmt, bin ich in tiefer Sorge. Wir können uns einen Religionskrieg im 21. Jahrhundert wirklich nicht leisten!“, konstatiert Gysi.
Unterstützung in seiner AfD-Kritik erhält er vom Politikwissenschaftler und Publizisten Albrecht von Lucke. Der kritisiert eine „Radikalisierung des Diskurses in diesem Lande, die bis vor kurzem nicht denkbar gewesen wäre“. Nehme die Partei bei ihrem Parteitag an diesem Wochenende den Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ in ihr Programm aus, stelle sie praktisch vier Millionen Menschen „außerhalb der Gesellschaft“. Den AfD-Wählern attestierte er „Undifferenziertheit“. Die Partei sei die parteipolitische Umsetzung von Sarrazins Thesen.
Keine Volksabstimmungen auf nationaler Ebene
Das CDU-Urgestein im Europaparlament und Talkshow-Dauergast, Elmar Brok, schoß sich frühzeitig aus der Debatte: „Ich wäre nicht mehr in der CDU, wenn sie den Thesen von Thilo Sarrazin gefolgt wäre.“ Er sei ein christlicher Demokrat und halte die AfD für ihre überholten Vorstellungen für die eigentliche Altpartei – ein Vorwurf, den die AfD gerne anderen Parteien macht.
Daß die AfD-Vizechefin Beatrix von Storch mit ihrer Vermutung Recht behalten sollte, als sie sagt, viele EU-Abgeordnete hätten den Bezug zum Bürger verloren, macht Brok gegen Ender der Sendung klar. Den AfD-Vorschlag, die Bürger über das „Experiment Euro“ abstimmen zu lassen, hält der Christdemokrat für Quatsch. Keine Volksbefragungen auf nationaler Ebene. Moderatorin Maischberger kontert: „Warum? Die Briten dürfen sogar über den Austritt aus der EU abstimmen.“
Beatrix von Storch weiß, daß sie in der Runde keine Unterstützung zu erwarten hat. Sie hat sich längst damit abgefunden, mit ihrer Meinung allein zu sein. Ein Stück weit hat sie es sich als Außenseiterin in der Runde auch bequem gemacht. Gleich zu Beginn der Sendung stichelt sie: „Ein Steuerfinanzierter“, als Maischberger die Kritik von Kardinal Rainer Maria Woelki anführt, der vor kurzem sagte: „Wer Muslime, so wie die AfD-Parteispitze, verunglimpft, der sollte sich klar machen, daß Gebetshäuser und Moscheen hier genauso durch das Grundgesetz geschützt sind wie unsere Kirchen und Kapellen.“
Die Berliner AfD-Vorsitzende ist auf ihre Rolle vorbereitet: „Der Islam ist nicht Teil der deutschen Tradition und der Identität, und deswegen gehört er nicht zu Deutschland“, nicht sofort ist klar, daß von Storch hier den Unionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) zitiert.
Wer sind die Populisten?
Auch wenn das Thema Islam und Einwanderung die Gesprächsrunde zunächst prägt, fehlt die Euro-Kritik nicht. Die AfD-Vizechefin konstatiert, Deutschland müsse die Eurozone verlassen, wenn es das bankrotte Griechenland schon nicht tue. Sarrazin widerspricht, legt aber sofort hinterher: „Ich sage Ihnen, wenn es so weitergeht, wird die Sache sowieso zerbrechen, weil die Franzosen oder Italiener irgendwann sagen ‚das muten wir uns nicht länger zu‘.“
Die sehr allgemein gestellte Frage, wie gefährlich Deutschlands Populisten sind, konnte in den 75 Minuten freilich nicht beantwortet werden. Auch nicht, wer denn diese Populisten eigentlich sein sollen. Sarrazin, der in seiner ruhigen Art mahnt: „Wir sehen, daß sich Muslime in den letzten 60 Jahren in Europa schlechter integrieren als alle anderen Einwanderergruppen“, und verortet die Ursache dafür „in einer bestimmten Kultur, die erstens Frauen unterdrückt, zweitens bildungsabgewandt ist, drittens wenig wissbegierig ist.“ Oder Gysi? Oder Brok? Oder von Storch? Oder alle?