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Buchrezension: Über Deutschland und den Meuchelpuffer

Buchrezension: Über Deutschland und den Meuchelpuffer

Buchrezension: Über Deutschland und den Meuchelpuffer

Ziemlich Deutsch: Handkäs, Apfelwein und Brot – Frankfurter Küche
Ziemlich Deutsch: Handkäs, Apfelwein und Brot – Frankfurter Küche
Handkäs, Apfelwein und Brot – Frankfurter Küche Foto: picture alliance / Frank May | Frank May
Buchrezension
 

Über Deutschland und den Meuchelpuffer

Asfa-Wossen Asserate hat ein wunderbares Buch über Deutschland geschrieben. Vom Dackel über Hölderlin bis zu der eigentümlichen Stimmung, die den Deutschen nach zwei Gläsern Bier überkommt, forscht der gebürtige Äthopier der Kultur eines Landes nach, das er lieben gelernt hat.
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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Rechtzeitig zur Weihnachtsgeschenk-Saison ist ein prächtiges Buch in der „Anderen Bibliothek“ erschienen, ein Vademecum mit dem Titel „Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle“. Es enthält ein besonders in diesen Tagen unfaßbar freundliches und gutgelauntes Alphabet dieser merkwürdigen Deutschen, von „Abendbrot“ über „Kehrwoche“ und „Waldeslust“ bis „Zapfenstreich“, und natürlich konnte es nur von einem Ausländer geschrieben werden, der längst Deutscher geworden ist, der sich hier tatsächlich assimiliert hat, wie man so schön sagt, nämlich von dem äthiopischen Prinzen, dem Großneffen des Kaisers Haile Selassie, Asfa-Wossen Asserate, der mit einem deutschen Kindermädchen aufwuchs und 1968 ins stürmisch revolutionäre Tübingen kam, um dort zu studieren, und sich so in Deutschland verliebte, daß er blieb.

Natürlich kennt Asserate den Hölderlinturm in Tübingen, in dem der Dichter die letzten vierzig Jahre, ja seine zweite Lebenshälfte verbrachte. Und er kennt die Liebesgeschichte zwischen ihm und Suzette Gontard, die sich in Brad Driburg im Gräflichen Park zugetragen hat.

In Asserates Buch, dieser Liebeserklärung an Deutschland, steht die Driburger Hölderlin-Episode unter dem Stichwort „Ebbelwoi“, das eigentlich der Stadt Frankfurt gilt, überhaupt besteht dieses Alphabet in seinem Buch eher aus Stichworten, die die allerwunderbarsten Abschweifungen nehmen und vieles vor Augen führen, was an diesem Land erstaunlich ist und liebenswert ist, wenn man gewillt ist, es zu sehen und zur Kenntnis zu nehmen.

Asfa-Wossen Asserate: Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle, 288 Seiten, Die Andere Bibliothek, Jetzt im JF-Buchladen bestellen
Asfa-Wossen Asserate: Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle, 288 Seiten, Die Andere Bibliothek, Jetzt im JF-Buchladen bestellen

Ein in Stücke gehauenes Land

Unter „Automobil“ etwa schreibt Asserate sehr richtig: „Es ist der Inbegriff deutschen Erfindergeistes und deutscher Ingenieurskunst. Es steht für deutsche Tugenden wie Ausdauer, Erfindungsreichtum, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit“. Ja, Asserates Buch ist auch eine große Beschwörung eines Deutschland, das gerade in Stücke gehauen wird von einer Handvoll von Ideologen und Stümpern in Regierungsverantwortung.

Er verkneift sich in seinen Ausführungen zum Auto jede Leitartikelei über das Klima und die verpönten fossilen Sünden, das denkt man sich einfach dazu. Beim „Biedermeier“, den die Romantiker als „Philister“ beschimpften, zitiert der den wundervollen Romantiker Brentano, der von ihm sagt, daß „der Philister ein steifstelliger, steifleiniger Kerl ist, der nicht weiß, daß er gestorben ist und sich ganz unnötigerweise noch auf Erden aufhält“ –wer denkt da nicht an den grünen Bolschewisten Jürgen Trittin.

Gemütlichkeit als ungezwungene Atmosphäre des In-sich-Ruhens

Ein warmes Lob spendet unser Prinz Asserate der deutschen „Gemütlichkeit“. Sie, so schreibt er, meint eine „liebenswürdige, ungezwungene Atmosphäre des In-sich-Ruhens und Aufgehobenseins“. Und er zitiert den englischen Diplomaten Harold Nicolson, „Sie mildert die Tendenz der Deutschen zum Argwohn, Neid oder Zorn. Sie wirkt auf sie abkühlend wie ein feuchter Umschlag und zugleich tröstend, wenn sie unter geistiger Einsamkeit oder dem Zweifel an sich selber leiden“.

Und der sehr gemütliche und immens gebildete und kluge Asserate meint diese Stimmung „die sich durch ein, zwei Glas Bier fast unweigerlich einzustellen scheint – dazu bedarf es tatsächlich nicht menschlicher Gesellschaft“. Und dann, Stichwort „Vereinsmeier“, rückt Asserate heraus mit einer Information in eigener Sache: „Seit dem Jahr 1977 bin ich Ehrengrenadier des altehrwürdigen Historischen Grenadiercorps 1810 e.V. von Villingen-Schwenningen, das vor über 200 Jahren als städtische Bürgerwehr ins Leben gerufen wurde.

Meinen Fahneneid legte ich damals zusammen mit dem späteren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel ab. Die Urkunde meiner Ernennung hat bis heute einen Ehrenplatz in meiner Wohnung.“ 

Der „Meuchelpuffer“ schaffte es nicht

Also aufgepaßt, liebe Messerstecher, Prinz Asserate weiß sehr wohl mit dem Meuchelpuffer umzugehen. Mit was? Dem Meuchelpuffer? Unter diesem Stichwort wird der Kampf um die deutsche Sprache geschildert, den Martin Luther so genial aufnahm. Deutsch war nicht selbstverständlich. Asserate zitiert Kaiser Karl V. mit dem Spruch: „Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu den Männern und Deutsch zu meinem Pferd.“ Doch dann betrat Luther die Szene und schaute, wie er sagte, dem „Volk aufs Maul“. Und er erfand in seiner Bibel-Übersetzung Worte wie Trübsal, Lockvogel, Machtwort.

Daß sich später Vereine gegen die Invasion fremdsprachiger Ausdrücke bilden sollten, hatte nichts mit dem hessischen Ebbelwoi zu tun. Sie wollten die deutsche Sprache freihalten von Latinisierungen oder Gräzisierungen, von Französisierungen und Anglizismen. Ein Kampf der längst aufgegeben wurde mit all unseren „Meeting Points“ und „Call Centern“. Aber schon damals konnten manche Sachen einfach nicht eingedeutscht werden. Der „Meuchelpuffer“ zum Beispiel schaffte es einfach nicht, die doch eher gebräuchliche „Pistole“ zu ersetzen.

Unter dem Stichwort „Realpolitik“ erinnert Asserate an den langdienenden Hans-Dietrich Genscher und bescheinigt ihm all das, was heute fehlt: Wahrheit, Genauigkeit, Ruhe, Geduld, gute Laune, Bescheidenheit und Ergebenheit. „Unbeirrt glaubte er an die Macht der Diplomatie: Kein Konflikt, mochte er noch so explosiv sein, der nicht durch beharrliche Diplomatie in einen Ausgleich der Interessen überführt werden könnte.“ Unserer Trampolinspringerin sei Asserates „Vademecum“ deshalb dringend angeraten.

JF 52/23-1/24

Handkäs, Apfelwein und Brot – Frankfurter Küche Foto: picture alliance / Frank May | Frank May
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