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Autobiographie: Werner Herzog – Ein Hochseiltänzer

Autobiographie: Werner Herzog – Ein Hochseiltänzer

Autobiographie: Werner Herzog – Ein Hochseiltänzer

Der Regisseur Werner Herzog: Er arbeitete unter anderem mit Klaus Kinski zusammen
Der Regisseur Werner Herzog: Er arbeitete unter anderem mit Klaus Kinski zusammen
Der Regisseur Werner Herzog: Er arbeitete unter anderem mit Klaus Kinski zusammen Foto: picture alliance / HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com
Autobiographie
 

Werner Herzog – Ein Hochseiltänzer

In seiner Autobiographie „Jeder für sich und Gott gegen alle“ läßt der deutsche Regisseur Werner Herzog seine Leser an einem abenteuerlichen Leben teilhaben. Seine Memoiren sind ein Stück Zeitgeschichte.
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Auf dieser Welt gibt es zwei Geschöpfe mit neun Leben. Das eine sind die Katzen, das andere Werner Herzog. Seine Biographie derart augenzwinkernd auf den Punkt zu bringen, das dürfte dem 1942 als Werner Stipetic zur Welt gekommenen Filmkünstler gefallen.

Herzog entkam den Weltkriegsbomben, die München in Trümmer legten, einem gewaltigen Strudel, als er den Urubamba durchschwamm, und einer aufgebrachten Hetzmasse von Journalisten, als ihm Menschenrechtsverletzungen beim Dreh des Dschungeldramas „Fitzcarraldo“ (1982) vorgeworfen wurden. Er überlebte eine schwere Gelbsucht, einen aggressiven mexikanischen Rodeo-Stier, den Speerwurf eines sowjetischen Mittelgewichtsboxmeisters auf seinen Rücken, einen Fußmarsch von München nach Paris mitten im Winter, einen selbstverschuldeten Skiunfall am Montblanc, zwei Blizzard-Nächte auf dem Cerro Torre in Patagonien und den Tritt in eine Gletscherspalte bei Dreharbeiten mit Reinhold Messner im Karakorum.

Er kollidierte bei einem Fußballfreundschaftsspiel Regisseure gegen Schauspieler 1973 in Cannes mit voller Wucht mit Maximilian Schell. Er wurde bei verbotenen Filmaufnahmen von nordkoreanischen Soldaten erwischt. Er übernachtete am Rio Pacaás Novos schutzlos im Gebiet kriegerischer Urwaldindianer. Klaus Kinski wollte ihn umbringen und er ihn – beides gleich lebensgefährlich.

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Einen Tanz auf dem Hochseil nennt er selbst das Leben, das der Filmemacher, der heute mit seiner dritten Ehefrau Lena in Kalifornien lebt, in seinen anekdotengesättigten Memoiren Revue passieren läßt. In Hollywood genießt der Kosmopolit den Status einer lebenden Legende, während sich seine Bekanntheit in Deutschland jenseits cineastisch engagierter Kreise in Grenzen hält. Immer wieder wird der Regisseur in seiner Wahlheimat am Pazifik für exzentrische Gastauftritte als Schauspieler angefragt.

Er spielte den Bösewicht Zec im ersten „Jack Reacher“-Film (2012) mit Tom Cruise, lieh der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ gleich mehrfach seine Stimme (ohne vorher eine Folge davon gesehen zu haben) und war wiederholt für die Regisseure Harmony Korine und Zak Penn im Einsatz. Im Kapitel „Schurken“ kann man sich einen Überblick verschaffen. Es verdankt seinen Titel der Art von Rolle, für die Herzog vorzugsweise besetzt wurde. „Wir haben ein Gästezimmer, wir können dir Schutz anbieten“, schrieb eine Freundin an seine Frau Lena, nachdem sie deren Mann als Zec in „Jack Reacher“ gesehen hatte. Selbst beworben für eine dieser Rollen hat der Exilbayer sich übrigens nie.

Seinen Text hat er bewußt digressiv angelegt. Er verfährt also nicht streng chronologisch, sondern eher assoziativ. Die Erinnerung an seinen Freund Bruce Chatwin etwa führt ihn zu der Bergtour mit Reinhold Messner, weil ein Rucksack von Chatwin während des Schneesturms wichtig wurde. Trotzdem erfährt der Leser so nach und nach, wo sich der Filmemacher im Laufe seines Lebens alles herumgetrieben hat, erfährt beispielsweise von seiner kinderreichen Gastfamilie in Fox Chapel bei Pittsburgh. Dort hatte er sich als Student in dem Glauben, das klinge doch nach einem interessanten Ort, an der finanzschwachen Duquesne-Universität eingeschrieben, anstatt, wie es in den USA gang und gäbe ist bei Leuten, die arrivieren wollen, eine der Elite-Unis Stanford, Harvard oder Berkeley anzusteuern.

Auch in den USA ist Werner Herzog der Heimat verbunden geblieben

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Seine vier Herzdamen und seine beiden Brüder Tilbert und Lucki werden gewürdigt, ohne die seine Filmkarriere kaum das Anfangsstadium hätte überschreiten können. Die Brüder kümmerten sich um Finanzen und die logistisch-organisatorische Basisarbeit. Der einzige aus seiner Familie, dem er so gut wie nichts zu verdanken hat, ist sein Vater, ein Taugenichts, wie er im Buche steht, der durch Abwesenheit glänzte. „Die Generation meiner Eltern verließ mit der Ideologie der Nationalsozialisten die Kontinuität der europäischen Kultur“, schreibt der heute Achtzigjährige rückblickend.

Er reagierte darauf trotzig: mit einer „Bekehrung zum Katholizismus“. Die war auch nötig: Als Gymnasiast gehörte er einer Diebesbande an. Deutschland beschreibt er als heimatlos „in seinem eigenen Gebiet“. Er selbst, der gebürtige Münchner, ist seiner Heimat auch im fernen Kalifornien innig verbunden geblieben und „verabscheute“ Günter Grass „von ganzem Herzen“ dafür, daß er sich gegen die deutsche Wiedervereinigung stellte.

Achtzigster Geburtstag, Filmdokumentation (JF 44/22) und eigenes Buch: 2022 war zweifellos ein Herzog-Jahr. Soll man das als eine Art Schlußpunkt unter sein künstlerisches Schaffen verstehen? Das weist der Katholik, der bei schwierigen Dreharbeiten immer den Nachdruck einer Luther-Bibel von 1545 bei sich trägt, weit von sich. Jede Menge Projekte seien angedacht, vieles noch unerledigt. Ideen und Inspiration scheinen ihm nie auszugehen.

Mit der Regenbogen-Ideologie konnte er nie viel anfangen

Natürlich sind Werner Herzogs Memoiren auch ein Stück Zeitgeschichte. Insbesondere in den Kindheitserinnerungen, den Bubengeschichten aus der schweren Zeit nach dem Krieg, wird sich mancher Zeitgenosse wiederfinden. Eine Wiedergutmachung für die NS-Verirrungen sieht der Autor in der Nachkriegsgeneration nicht: „Ich halte das 20. Jahrhundert in seiner Gesamtheit für einen Fehler.“ Mit der Regenbogen-Ideologie konnte er nie viel anfangen. Als David Bowie sich für die Hauptrolle in „Cobra Verde“ (1987) ins Gespräch brachte, winkte Herzog ab: „Zu androgyn.“ Dann doch lieber Kinski. Kunstkino war nie sein Ding. Er hielt seine Art, Filme zu machen, immer für „heimlichen Mainstream“.

Es war jedoch nie das Banale, sondern immer das Besondere, das ihn anzog: „Selten in meinen Filmen sind mir Momente gelungen, wie, kann ich im nachhinein nicht sagen, in denen mir etwas Außerordentliches wie durch eine Gnade Gottes in den Schoß fiel, bei denen eine rätselhafte, unergründbare Schönheit und Wahrheit für Momente wie von innen illuminiert sind.“ So poetisch drückt sich der Regisseur in seinem Buch nicht immer aus.

Sein Stil als Autor ist nüchterner, als man es angesichts seiner teilweise schrill-exzentrischen Filmkunst vermuten würde. Nicht immer vermögen Werner Herzogs Schilderungen – auch Reiseaufzeichnungen von früher gehören dazu – zu fesseln, und mitunter wird man das Gefühl nicht los, Herzog habe seine Erinnerungen vor allem für sich selbst zu Papier gebracht (den Anstoß gab seine Frau Lena). Aber das war bei seinen Filmen, die nie auf den schnellen Erfolg beim großen Publikum schielten, bekanntlich nicht anders. Der Autodidakt, der nie eine Filmschule besucht hat, verließ sich auch beim Schreiben hauptsächlich auf sich selbst.

JF 05/23

Der Regisseur Werner Herzog: Er arbeitete unter anderem mit Klaus Kinski zusammen Foto: picture alliance / HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com
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