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Wirtschaftskriege: Sanktionen: Zwei Drittel sind Mißerfolge

Wirtschaftskriege: Sanktionen: Zwei Drittel sind Mißerfolge

Wirtschaftskriege: Sanktionen: Zwei Drittel sind Mißerfolge

Gasflammen eines Kochfelds: Sanktionen gehen meistens nach hinten los Foto: picture alliance / Panama Pictures | Dwi Anoraganingrum
Wirtschaftskriege
 

Sanktionen: Zwei Drittel sind Mißerfolge

Die Ökonomin Agathe Demarais analysiert, inwieweit Wirtschaftssanktionen wirken. Die Bilanz ist ernüchternd. Mehrheitlich scheitern sie, gegenüber Diktaturen sind sie besonders wirkungslos. Die Kollateralschäden werden meistens unterschätzt.
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Agathe Demarais hatte früher für das französische Finanzministerium in Moskau und Beirut gearbeitet und ist jetzt bei der „Economist Intelligence Unit“ in London. In ihrem Buch konnte sie zwar noch den russischen Angriff auf die Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen des Westens gegen Rußland erwähnen, aber das Manuskript war schon vorher weitgehend abgeschlossen. Trotzdem bleibt es gerade jetzt im Wirtschaftskrieg zwischen Rußland und dem Westen lesenswert.

Sanktionen werden gern von größeren gegen kleinere Staaten und Volkswirtschaften eingesetzt. Sie erlauben es, schnell und zu scheinbar niedrigen Kosten das Handeln anderer Staaten zu mißbilligen und die Kosten global tätigen Unternehmen und Banken, auch im Ausland, aufzubürden. Die häufigsten Objekte US-amerikanischer Sanktionen sind Kuba, Nordkorea, Iran, Venezuela und Rußland. Nach Demarais wirken Sanktionen manchmal (wie in Libyen gegen Gaddafi), aber meistens nicht.

Gegen Diktaturen besonders wirkungslos

Nur 13 Prozent aller US-Sanktionen können als Erfolg gelten, zwei Drittel sind Mißerfolge. Gegen Diktaturen wirken sie besonders selten. Manchmal nützen die Sanktionen gegen ein feindseliges Land (wie die gegen Iran oder Venezuela) einem anderen feindseligen Land, in diesem Falle Rußland und seiner Ölindustrie. Sanktionen können enormen menschlichen Schaden anrichten, etwa den Tod von vielleicht einer halben Million Kindern im Irak.

Ziel der Sanktionen gegen Kuba seit 1960 war ein Regimewechsel, der bis heute nicht stattgefunden hat. Stattdessen hat sich Kuba zuerst der Sowjetunion und heute China zugewandt. Dabei hätte es ein ideales Ziel gewesen sein müssen, weil Kuba vorher etwa 70 Prozent seiner Im- und Exporte mit den USA abwickelte. Ähnlich ist es mit Nordkorea seit dem Ausscheiden aus dem Atomwaffensperrvertrag. Die US-Sanktionen haben zwar zur Unterernährung der nordkoreanischen Bevölkerung, auch der Kinder, beigetragen, aber das Regime sitzt fest im Sattel und baut seine Atomstreitkräfte aus.

Meisterschaft im Umgehen von Sanktionen

Beim Umgehen von Sanktionen hat es eine Art Meisterschaft entwickelt, besonders die Frachtschiffahrt ist schwer zu überwachen. Die Sanktionen gegen den Iran und seine vielleicht militärisch nutzbaren Nuklearprogramme zeigen, daß man auch in der Lage sein muß, Sanktionen glaubwürdig zu beenden. Nachdem der Iran Einschränkungen seiner Nuklearprogramme vertraglich zugestanden hatte und die Europäer (im Gegensatz zu den USA) ihre Sanktionen weitgehend aufgehoben hatten, trauten sich europäische Unternehmen nicht auf den iranischen Markt, weil sie Vergeltung der Amerikaner befürchteten. Warum soll man nachgeben, wenn das nichts bringt?

US-amerikanische Sanktionen haben zwei unangenehme Eigenschaften: Sie tendieren zur Extraterritorialität, als ob amerikanisches Recht Weltgeltung hätte, und sie betreffen auch nichtamerikanische Lieferanten an die Zielländer der Sanktionen, etwa wenn diese auch amerikanische  Technologien verwenden oder amerikanische Banken oder der Dollar bei der Bezahlung eingesetzt werden.

Kaum Strafen für amerikanische Firmen

Europäische oder sogar chinesische Unternehmen stehen dann vor der Frage, ob sie den Zugang zum US-amerikanischen Markt oder dem des Objekts der Sanktionen verlieren wollen, fast immer einem kleinen oder gar winzigen Markt. Bei der Bestrafung von Sanktionsverletzern neigen die amerikanischen Behörden dazu, ausländische Unternehmen viel härter als amerikanische zu bestrafen. Die Geldstrafen sind im Mittel fast siebzig Mal so hoch. Außerdem können nur amerikanische Unternehmen bei den Behörden Ausnahmegenehmigungen beantragen.

Seit der Annexion der Krim und der Unterstützung von Rebellen in der Ostukraine 2014 ist Rußland ins Visier geraten. Öl und Gas machen ungefähr ein Drittel der russischen Wirtschaftsleistung, die Hälfte der Staatseinnahmen und zwei Drittel der Exporte aus. Aber Rußland hatte damals über Öl- und Gasexporte zu einem Drittel der europäischen Energieversorgung beigetragen. Die Sanktionen begannen mit Exportverboten für Technologien zwecks Ölförderung und Kreditaufnahmeverboten auf dem Kapitalmarkt. Ob es im westlichen Interesse war, Rußland auf den chinesischen Kapitalmarkt abzudrängen, kann man bezweifeln. Die Exportverbote für Ölförderungstechnologien dagegen lassen kein Ausweichen zu.  Washingtons Sanktionen gegen Rußland haben vor dem 24. Februar 2022 auch die Beziehungen zu den europäischen Alliierten, vor allem zu Deutschland mit dem Northstream-2-Projekt, stark belastet.

Am Ende könnte Amerika der Verlierer sein

Im letzten Teil des Buches nehmen die beschreibenden Anteile der Analyse ab und die Zukunftsprojektionen zu. Es geht dann darum, wie sich Staaten gegen den US-amerikanischren Einsatz von Sanktionen schützen können: den Einsatz des Dollars beim Handel einschränken, Devisenreserven in Gold, Euro oder Renminbi statt in Dollar halten; Alternativen zu Swift für den internationalen Zahlungsverkehr aufbauen; wo es möglich ist, US-Technologie vermeiden. Demarais betont, daß nicht nur Chinesen oder Russen, sondern auch Europäer ein Interesse daran haben, den Sanktionsmißbrauch der Amerikaner zu begrenzen.

Am längsten werden die USA wohl mit Exportkontrollen bei Hochtechnologien Erfolg haben, wo sie wie bei Halbleitern die Lieferketten dominieren. Ob sie auf Dauer ihre Spitzenposition in der Halbleiter-Industrie halten können, ist allerdings unklar. China setzt sehr viel mehr Geld für Subventionen als die USA ein. China dominiert die seltenen Erden, die dort gebraucht werden. Die Sanktionen gegen China in diesem Bereich werden amerikanischen Unternehmen, deren Profiten und deren Fähigkeit zur Forschungsfinanzierung schaden. Denkbar ist, daß die Rückwirkungen der Sanktionen gegen China auf lange Sicht die USA härter treffen als China.

Kosten werden oft unterschätzt

Demarais ist ein gut lesbares Buch zu einem enorm wichtigen Thema gelungen. Zwar betont sie immer wieder, daß die Sanktionen viele nicht beabsichtigte Folgen haben, daß die Kosten oft unterschätzt und der Nutzen überschätzt wird, aber sie verzichtet weitgehend auf eine explizite Einbettung in die großen geopolitischen Fragen unserer Zeit: Schon vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine, aber auch heute muß man fragen: Nutzt es den USA oder dem Westen, wenn Rußland mit Sanktionen in die Abhängigkeit von China getrieben wird?

Nützt es den Amerikanern wirklich, wenn die Energiesanktionen gegen Rußland die europäischen Volkswirtschaften und vor allem die deutsche Wirtschaft nachhaltig schwächen? Oder wie schwach darf Europa werden, ohne für die USA seinen Wert als Verbündeter zu verlieren? Außerdem stellt sich die Frage, ob die USA jetzt nicht voreilig die Hoffnung auf Frieden durch Freihandel begraben? Weil die Ukraine und Rußland seit Jahren immer weniger Handel miteinander treiben, beweist der Krieg zwischen beiden Ländern in keiner Weise die Unwirksamkeit des Handels als friedensförderndes Instrument.

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Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft.

Agathe Demarais: Backfire. How Sanctions Reshape the World Against U.S. Interests. Columbia University Press, New York 2022, gebunden, 292 Seiten, 30 US-Dollar.

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