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Karriere einer Ideologie: Globalismus – die Geschichte einer Täuschung

Karriere einer Ideologie: Globalismus – die Geschichte einer Täuschung

Karriere einer Ideologie: Globalismus – die Geschichte einer Täuschung

Symbol des scheiternden Globalismus: Faulendes Aktienpapier
Symbol des scheiternden Globalismus: Faulendes Aktienpapier
Faulendes Aktienpapier Foto: picture-alliance/ dpa | Maximilian Schönherr
Karriere einer Ideologie
 

Globalismus – die Geschichte einer Täuschung

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wächst unsere Welt immer stärker zusammen. Das ist allerdings nicht bloß immer besseren Technologien zuzuschreiben. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wird der Globalismus zu einer Ideologie und einem Heilsversprechen. Der Historiker David Kuchenbuch zeichnet dessen Lockungen und Scheitern in einem Buch nach.
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„Denken in globalen Bezügen“ lautet die weitgefaßte Definition des Begriffs „Globalismus“, die David Kuchenbuch in seiner Monographie „Globalismen – Geschichte und Gegenwart des globalen Bewußtseins“ dem Leser anbietet. Das hört sich harmlos an. Dabei ist Globalismus ein Kampfbegriff. Über Chancen und Risiken der Globalisierung wird heftig gestritten.

Wie unübersichtlich die Fronten sind, zeigte sich im Mai 2021, als der mangels Linientreue abgesetzte Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sich kritisch zum Thema „Globalismus“ äußerte. Seine Wortmeldung wurde in den Medien als „Hundepfeifen-Signal“ abgetan: „Als Code für Verschwörungstheorien wie die von der ‘Neuen Weltordnung’, die ‘die Juden’ seit jeher zu schaffen versuchten“. Dabei hatte Maaßen nur ein Buch des kanadischen Historikers Quinn Slobodian mit dem Titel „Globalisten“ zur Lektüre empfohlen, das die „Widersprüche der neoliberalen Weltanschauung“ anprangert und das ganz in der Tradition linker Globalisierungsproteste steht.

Angesichts der Schieflage unserer Debattenkultur ist die Wortmeldung des Kölner Soziologen Wolfgang Streeck, eines prominenten Vertreters konservativer Globalismus-Kritik, um so bemerkenswerter. Streeck sieht die deutsche Gesellschaft „am Scheideweg zwischen Demokratie und Globalismus“ und plädiert für eine „Rückbesinnung auf die Integrations- und Gestaltungskraft der Nationalstaaten“. Offenbar meinen Maaßen, Slobodian und Streeck nicht unbedingt die gleichen, wenn sie von „Globalisten“ sprechen.

Globalismus und moralische Rettung

Gemeinsam ist ihnen jedoch die Kritik an einem „Globalismus“, der Profiteure und Verlierer der Globalisierung gezielt ausblendet. In den Augen seiner Befürworter dagegen bedeutet „Globalismus“ etwas ganz anderes: nämlich eine Weltsicht aus planetarischer Perspektive, die das „Raumschiff Erde“ als ganzes in den Blick nimmt. Allein „globales Denken“ sei in der Lage, den drohenden Weltuntergang zu verhindern.

Globalismus erscheint als einzige Rettung, als moralisch geboten und alternativlos. Sich eins mit der Welt zu fühlen, löst zudem Begeisterung aus. Nach der Definition des Historikers David Kuchenbuch hat das globale Denken fünf Stadien durchlaufen.

Börsenkrach beendet das Vertrauen in den Markt

Erstens. Den Beginn des ersten verortet er um 1860. Eisenbahn und Telegrafie lösen die Postkutsche ab, Industrieproduktion und Börsenkurse explodieren, von 1800 bis 1913 steigt der Welthandel auf das 43fache. Die Staaten werden zu Konkurrenten auf den Weltmärkten, Deutschland überholt England – beinahe, doch mit dem Ersten Weltkrieg endet die erste Globalisierung abrupt.

Zweitens. Als die britische Marine im August 1914 die deutschen Überseekabel kappt, hat das Symbolkraft. Die Kappung der etablierten Handelswege hält über dreißig Jahre an. Der Versailler Vertrag lähmt ganz Europa, bis 1927 sinkt der Welthandel um zwei Drittel. Nach dem Börsenkrach von 1929 ist das Vertrauen in den freien Markt dahin. Auch die Hunger-Erfahrungen des Weltkriegs lassen Autarkie und Protektionismus geboten erscheinen. Die Deglobalisierung dauert bis 1945, Anti-Globalismus und Antisemitismus befeuern sich dabei gegenseitig.

Drittens. In den US-Laboratorien der geistigen Kriegführung arbeiten führende Soziologen der Ostküste an einer „neuen Weltordnung“. Der vormalige US-Präsentschaftskandidat Wendell Willkie reist mit der Idee einer „One World“ um die Welt. Doch trotz großer Begeisterung erweisen sich die hochfliegenden Pläne als undurchführbar und werden gar als „Global-Quatsch“ („globaloney“) verspottet. Die USA setzen auf „Globalismus aus einem Land“, die Welt soll den American Way of Life annehmen. Globalisierung bedeutet fortan Amerikanisierung. Die American Globalization trifft aber auch auf Kritik. Über „Sprachensterben oder McDonaldisierung“ hinaus wird die „amerikanische Bereicherung“ als „fatale Nivellierung der schwächeren Kulturen “ (Lévi-Strauss) wahrgenommen.

Von Vietnam bis zu den Chicago-Boys

Viertens. Nach den „Golden Sixties“ geht das Nachkriegswirtschaftswunder etwa 1970 zu Ende. Wirtschaftskrise und Wertewandel gehen Hand in Hand, Protestbewegungen vernetzen sich weltweit zum „Globalen 68“. Der Vietnamkrieg, der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums 1972 und die Öl-Krise 1973 schüren Zukunftsängste und Globalisierungs-Skepsis. Probleme der „Dritten Welt“ rücken in den Fokus, und der industrielle Abstieg des Nordens führt zum Aufstieg eines links-grünen Aussteiger-Milieus, das sich vor allem in der Solidarität mit den Fernsten im Süden einig weiß.

Fünftens. Mit 1989 beginnt nach Kuchenbuch die fünfte und letzte Phase der Globalisierung. Mit dem Ende des kommunistischen Wirtschaftsmodells avancieren die berüchtigten zehn Punkte des Washington Consensus von 1989 zu Leitprinzipien weltweiter Deregulierung und Privatisierung. Den Weg dazu ebnen die „Chicago Boys“ der US-Denkfabriken und die Vertreter von Weltbank und IWF, die die US-Interessen an „freiem Handel“ weltweit durchsetzen.

Rumpelstilzchen tanzt über die Weltbühne

Die Entfesselung des Shareholder-Value-Kapitalismus setzt ungeahnte Kräfte frei. In der Lehman-Krise von 2008 steht das Weltfinanzsystem kurz vor dem Kollaps. Die hilflosen Proteste von „Attac“ und „Occupy Wallstreet“ werden zwar registriert, aber das Interesse der Weltöffentlichkeit wird durch einen alles übertönenden Klima-Alarmismus gefesselt, der sich als Kern globalen Denkens präsentiert.

Unter seinem grünen Mäntelchen tanzt heute der Globalismus wie Rumpelstilzchen über die Weltbühne, kaum jemand scheint sein Geheimnis zu kennen. Daß insbesondere die Jugend in der westlichen Welt sich durch den „Grünen Globalismus“ und den Zauber einer Greta Thunberg in den Bann ziehen läßt, ist sicher auch dem Internet geschuldet, dem seit den 90er Jahren eine zunehmende Bedeutung bei der globalen Massensteuerung zukommt.

Für den Soziologen Pierre Bourdieu „lenkt der Prozeßbegriff ‘Globalisierung’ von den Akteuren globaler wirtschaftlicher Integration ab“. Sein Kollege Ulrich Beck prangert Globalismus gar als ideologische Globalisierungs-Rhetorik an, die die Interessen der Profiteure an einer Unterwerfung aller Gesellschaftsbereiche unter die Logik des Marktes verschleiere.

Die „One World“ als quasi-religiöses Heilsversprechen

Die Entwicklung des globalen Denkens ist damit auch die Geschichte einer Täuschung. Die Einsicht in die Notwendigkeit globalen Handelns wird von apokalyptischen Endzeitvisionen begleitet, denen die weltbürgerliche Vision einer „One World“ als quasi-religiöses Heilsversprechen gegenübersteht.

Das erinnert stark an die kommunistische Verheißung. Kommunismus und Globalismus sind strukturverwandt. Wer ist ihr Träger? Kuchenbuch kommt am Ende zu dem Schluß, daß es „schließlich die Medien waren, die die Globalismen plausibilisierten und ihre Verbreitung (…) und Moralisierung möglich machten.“ Der vorherrschende Globalismus „im grünen Tarnanzug“ ist ein mediales Produkt. Daß er ein globaler Irrweg sein und als solcher auch fatal enden könnte, ist ein Gedanke, der am Ende des Buches naheliegt.

JF 49/23

Faulendes Aktienpapier Foto: picture-alliance/ dpa | Maximilian Schönherr
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