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60 Jahre deutsch-französische Freundschaft: Elysée-Vertrag: Jubel sieht anders aus

60 Jahre deutsch-französische Freundschaft: Elysée-Vertrag: Jubel sieht anders aus

60 Jahre deutsch-französische Freundschaft: Elysée-Vertrag: Jubel sieht anders aus

Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen sich am 60. Jahrestag des Elysee-Vertrags in Paris
Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen sich am 60. Jahrestag des Elysee-Vertrags in Paris
Der französische Präsident Emmanuel Macron, links, und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz treffen sich am 60. Jahrestag des Elysee-Vertrags, dem 22. Januar 2023, im Elysee-Palast in Paris.Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Benoit Tessier
60 Jahre deutsch-französische Freundschaft
 

Elysée-Vertrag: Jubel sieht anders aus

Vor 60 Jahren schloßen die ehemaligen Erbfeinde Deutschland und Frankreich den Elysée-Vertrag, den Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrag. Doch dieser Tage ist von Jubel keine Spur zu sehen. Haben die beiden Nationen ihre Chance vertan? Ein Kommentar von Karlheiz-Weißmann
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Vor sechzig Jahren wurde der Elysée-Vertrag, auch Deutsch-Französischer Freundschaftsvertrag, abgeschlossen. Doch von Jubel keine Spur. Die Stimmung ist verhalten, der deutsch-französische „Motor“ Europas stottert, nirgends eine „Achse“ Berlin-Paris.

Die Ursachen dafür sind vielfältig und haben mit der weltpolitischen Lage, den Nöten der Regierungen hier, der Regierungen dort, aber auch mit der deutschen Neigung zu tun, das Abkommen von 1963 in einem sentimentalen Licht zu betrachten. Das gilt, obwohl es von Seiten  Adenauers wie von Seiten De Gaulles in erster Linie das Ergebnis eines Kalküls war, und die Liebesbeziehung immer etwas Einseitiges hatte.

Zwischen Liebe und Nationalhaß

Das heißt, die Deutschen liebten Frankreich, die Franzosen waren von Deutschland fallweise fasziniert, mehr aber nicht. Dabei ging es stets um das, was am Nachbarn jenseits des Rheins unbegreiflich, wenn nicht unheimlich, war: Reformation, Romantik, Revolutionsmangel, Tüchtigkeit, Hitler, Ernst Jünger usw. Und es gab stets eine Neigung, die Faszination in Verachtung umschlagen zu lassen, wegen des Mangels an Savoir-vivre, an Clarté, an Eleganz und Klassizität und der Neigung zum Saumagen. Der Grund dafür war (und ist) ein französisches Überlegenheitsgefühl, das schon im Mittelalter entstand, genauso wie der kulturelle Minderwertigkeitskomplex der Deutschen.

Auch der konnte sich in sein Gegenteil verkehren, aber das blieb die Ausnahme. Der pflichtgemäße „Nationalhaß“ auf alles Welsche, den Arndt und Jahn und andere predigten, hat sich niemals festgesetzt, nicht einmal nach den Befreiungskriegen oder dem Versailler Vertrag. Was es gab, war wohlbegründetes Mißtrauen gegenüber einer Nation, die regelmäßig ihrem gewalttätigen „Drang nach Osten“ folgte.

Wer auch nur einen kurzen Blick in einen Geschichtsatlas wirft, sieht, wie sich die deutsch-französische Grenze über Jahrhunderte immer weiter zu Gunsten Frankreichs, immer weiter zu Ungunsten Deutschlands verschoben hat. Nicht zu vergessen, daß in den Regionen, die Paris nicht auf Dauer halten konnte, bis heute die Spuren französischer Aggression zu sehen sind; die Ruinen des Heidelberger Schlosses gehen jedenfalls nicht auf alliierte Bombardements zurück, sondern auf die Terrorkriegsführung des „Sonnenkönigs“ Ludwigs XIV. und seines Mordbrenners Mélac!

Käse, Camus und der Elysée-Vertrag als ehrlicher Neuanfang

Doch sei dem, wie dem sei. Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Kapitel abgeschlossen. Was die Franzosen nur zögernd akzeptierten, schon weil sich der boche für jeden – von den Kommunisten bis zu den Nationalisten – vorzüglich als Feindbild eignete (und eignet), während die Deutschen ganz ehrlich an einen Neuanfang glaubten.

Also gingen sie nach 1945 in Vorleistung, zahlten in das europäische Projekt, schwiegen über die konsequente Assimilierung des Elsaß, schluckten die Verzerrungen der Schulbuchempfehlungen, betrieben eifrig – und viel eifriger als die Gegenseite – Städtepartnerschaften und Austauschprogramme und die Förderung des Sprachunterrichts. Unterstützt wurde das durch die intellektuellen Deutschen der fünfziger Jahre, die sich für Camus und den schwarzen Rollkragen der Existentialisten begeisterten.

Ihnen folgten die der sechziger, deren Enthusiasmus Sartre und dem Roten Mai galt. In den siebziger Jahren kamen Französischlehrer in den Dienst, die sich schon äußerlich – mit Moustache, Baskenmütze und Gauloises – dem umschwärmten Vorbild anzugleichen suchten, die jeden Sommer in ihrer „Ente“ nach Frankreich fuhren, und Käse- und Weinsorten kannten, von denen der Durchschnittsbundesrepubliklaner noch nie gehört hatte.

Etwas für die eigene Sprache tun …

Trotz ihrer in der Regel linken Gesinnung drillten sie unerbittlich Vokabeln und die Verwendung des Passé composé. Das hat lange vorgehalten. Aber jetzt ist es vorbei. Was mit dem Abbau des Leistungsprinzips an den Mittel- und Oberschulen zu tun hat, mit der Propaganda für das Spanische, das „einfacher“ ist, einem Erlahmen des pädagogischen Eifers überhaupt, dem netzgestützten Siegeszug des Englischen und generell dem Schwinden der Neugier auf das, was wirklich anders ist als das eigene.

Von französischer Seite war dem kaum etwas entgegenzusetzen. Mitterrands Prinzip – „Man kann auch dadurch etwas für die eigene Sprache tun, daß man keine andere spricht“ – dürfte nach wie vor für erhebliche Teile der Gebildeten des Landes gelten. Man sieht wohl eifersüchtig darauf, im deutsch-französischen Vorzeigeprojekt ARTE die Zügel in der Hand zu behalten, akzeptiert aber im Zweifel das „Franglais“ und lieber den rapiden Verfall der Bildungsstandards, als daß man daranginge, den Deutschunterricht an den Schulen zu fördern.

Das alles bedeutet lange nicht die Wiederkehr der „Erbfeindschaft“. Aber jenseits der diplomatischen Routine und der rituellen Klage, daß Europa kein echtes Gewicht auf der internationalen Bühne habe, weil Berlin und Paris nur ihre nationalen Egoismen pflegen, sollte man nicht allzu viel erwarten. Letztlich haben zwei große europäische Völker in den vergangenen Dezennien eine Chance vergeben, sich anzunähern und aus dem Kontinent etwas zu machen. Vielleicht die letzte, bevor diese Völker selbst aus der Geschichte verschwinden.

Der französische Präsident Emmanuel Macron, links, und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz treffen sich am 60. Jahrestag des Elysee-Vertrags, dem 22. Januar 2023, im Elysee-Palast in Paris.Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Benoit Tessier
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