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Buchrezension: Der Mensch – auch nur ein mißratenes Tier

Buchrezension: Der Mensch – auch nur ein mißratenes Tier

Buchrezension: Der Mensch – auch nur ein mißratenes Tier

Ein Affe liest ein Konkurrenzmagazin, wie ein Mensch.
Ein Affe liest ein Konkurrenzmagazin, wie ein Mensch.
Ein Affe liest das Playboy-Magazin Foto: picture-alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner-Pressefoto
Buchrezension
 

Der Mensch – auch nur ein mißratenes Tier

Der Philosoph Markus Gabriel denkt über den für die Natur unpassenden Menschen nach. Das ist durchaus lehrreich. Aber sind seine Thesen plausibel?
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Cato, Palmer, Exklusiv

Der Mensch untersucht seit eh und je auch deshalb das Tier, um seine eigene Natur in Abgrenzung dazu herauszustellen. So diente Aristoteles das zoon logikon als Differenz zum nicht-menschlichen zoon logon echon. Das Denkvermögen ist demnach der wesentliche Unterschied zwischen dem „nicht festgestellten Tier“ und dem „festgestellten“.

Die berühmte „zweite Kränkung“, die Darwins bahnbrechende Erkenntnis bewirkt hatte, daß der Mensch mit den heutigen Menschenaffen gemeinsame Vorfahren aufweist, zwang die Vertreter der großen anthropologischen Kontroverse der 1920er und 1930er Jahre (Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen und andere) zu subtileren Kriterien der Unterscheidung: Die Protagonisten bemühten den „Geist“ (Scheler), die Fähigkeit zur Exzentrizität (Plessner), den Charakter des „Mängelwesens“ durch verhältnismäßig geringe Einbettung in eine natürliche Umwelt, aber auch die Prägung des Menschen als „physiologische Frühgeburt“ (Adolf Portmann), um spezifische Besonderheiten des Humanen herauszuarbeiten.

Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung hinterlassen Spuren bis in die Gegenwart. Dennoch gilt: Seit hundert Jahren hat keine vergleichbare Debatte mehr stattgefunden, obwohl (oder weil) die humanwissenschaftlichen Erkenntnisse seither sprunghaft angewachsen sind. Vielleicht gelingt es dem Philosophen Markus Gabriel, eine zeitgemäße Auseinandersetzung zwischen empirischen Forschungen und philosophischer Deutung anzuregen.

Die Biene als Krone der Schöpfung

Bereits vor rund eineinhalb Jahrzehnten machte der 1980 geborene Gabriel als jüngster Philosophieprofessor Deutschlands Schlagzeilen und fällt seither durch große Produktivität und Präsenz in öffentlichen Diskussionen auf. Ein jüngerer Wiedergänger Richard David Prechts, so vermuten manche. Gabriels Schriften sind durchzogen von einem auffallenden Kotau vor zeitgeistigen Strömungen: Klima-Religion, Gender-Mainstreaming sowie undifferenzierte Populismus-Kritik werden selbstredend kaum hinterfragt.

Gabriel formuliert die Hauptthesen klar: Erstens gibt der Mensch die Natur des Tieres notwendigerweise aus seiner eigenen Warte an. Die bekannte Definition als „Krone der Schöpfung“ schließt die Kontingenz erkenntnistheoretischer Mittel ein, die beim Tier unstrittig zu anderen Schlußfolgerungen führen müßte: Demnach wäre bei genauerem Nachdenken die Biene aus ihrer Perspektive die „Krone der Schöpfung“. Als zweite Hauptthese unterstreicht der Autor, daß sich der Mensch in wohlbestimmter Hinsicht eine Tiernatur zuschreibt, die er in aller Regel umgehend wieder von sich weist.

Schließlich ist es evident, daß der Mensch das einzige Tier ist, das er introspektiv auszuleuchten vermag. Diese Erkenntnis des Autors ist inhaltlich angelehnt an die Aussagen eines berühmt gewordenen Aufsatzes: Der Philosoph Thomas Nagel stellte die Frage: „Wie es ist, eine Fledermaus zu sein?“ Dieser Beitrag zeigt die Grenzen auf, sich in das Bewußtsein anderer Wesen einzufühlen, sowohl der eigenen Gattung wie erst recht anderer Gattungen.

"Der Mensch als Tier. Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen" von Markus Gabriel
„Der Mensch als Tier. Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen“ von Markus Gabriel

Der Mensch fügt sich nicht in die Natur

Im zweiten Teil macht sich Gabriel ausführliche Gedanken über Sinn und Unsinn des Lebens. Die Wissenschaft kann bei dieser Suche weder helfen noch den vermeintlich fehlenden Sinn des Lebens belegen. Im letzten Abschnitt ist der Autor unterwegs zu einer Ethik des Nichtwissens. Die Wirklichkeit geht stets über das hinaus, was gewußt wird und gewußt werden kann.

Während über die längsten Zeiträume der Neuzeit der biblische Auftrag an die Menschen, sich die Schöpfung Untertan zu machen, von Descartes philosophisch begründet, Zustimmung gefunden hat, setzt das ökologische Zeitalter neue Akzente: Die Oberhoheit des Menschen über Tiere, Pflanzen und andere Organismen wird nunmehr kritisch beäugt. Demnach ist es der Anthropozentrismus, der das angeblich vorhandene natürliche Gleichgewicht stört. Dazu paßt gut, wenn Gabriel betont, daß sich der Mensch, besonders aufgrund seiner Gehirnausprägung, nicht in die Natur einfügt. Er kann von ethischen Prämissen nicht absehen, ist mithin also kein Raubtier, was manche vielleicht erstaunt, wenn es so eindeutig gesagt wird.

Eine Fülle von Denkimpulsen

Sind diese Thesen aber plausibel? Für das gegenwärtige zivilisatorische Stadium mag man in vielfältiger Hinsicht beipflichten. Doch auch heutige Verhaltensweisen des Menschen sind von seiner langen Vor- und Frühgeschichte bestimmt. Herausragende Ethologen wie Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt haben nicht zuletzt auf die Relevanz des Aggressionspotentials verwiesen, mithin auf die Ungleichzeitigkeit von in langen evolutiven Zeiträumen entwickelten Organen des Menschen und vergleichsweise neuen technischen Instrumenten, die von den Erben des Homo erectus angewendet werden. Diese Diskrepanz ist öfters allzu offensichtlich. Der von Gabriel exponierte Unterschied von Menschen und (anderen) Tieren kann als banal eingestuft werden, weil ja evident ist, daß auch zwischen verschiedenen Gattungen im Tierreich vielfältige Differenzen vorliegen.

Gabriels neueste Publikation gibt eine Fülle von Denkimpulsen und Anstöße für Diskussionen. Ein großer anthropologischer Wurf ist aber nicht zu erkennen. Man wird nicht dadurch zu einem neuen Gehlen, daß man dessen Axiom umkehrt und nunmehr das Tier als Mängelwesen herausstellt. Gleichwohl wird von Gabriel wohl noch viel zu hören und zu lesen sein.

JF 41/23

Ein Affe liest das Playboy-Magazin Foto: picture-alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner-Pressefoto
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