Bill Gates meldet sich mit einem neuen Buch zurück. Nachdem er im vergangenen Jahr sein Werk zur Bekämpfung des Klimawandels veröffentlicht hatte, widmet er sich nun einem nicht weniger brisanten Thema: dem künftigen Umgang mit Pandemien. Ausgerechnet der Milliardär, der seit dem Ausbruch des Coronavirus häufig zur Zielscheibe von vermeintlichen Verschwörungstheorien wurde, legt nun einen genauen Fahrplan zum besseren Umgang mit vergleichbaren Krankheitswellen vor.
Die medizinischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, die sich aus der Corona-Krise ergeben haben, sind auch Gates nicht entgangen. Sein Bezug zur Medizin ist nicht neu: „Ansteckende Krankheiten – sowohl solche, die sich zu Pandemien ausweiten können, als auch solche, bei denen das nicht der Fall ist – sind für mich eine Obsession“, schreibt er in der Einführung des Buches. Die „Bill und Melinda Gates Stiftung“, eine der größten privaten Stiftung der Welt, engagiert sich bereits seit langer Zeit im Bereich der Gesundheitsversorgung, vor allem in Entwicklungsländern. Bekannt ist sie unter anderem für ihren Kampf gegen Polio (Kinderlähmung), Aids oder Malaria. Nicht selten stellt die Stiftung hohe Millionensummen für Impfprogramme bereit. Gates ist also kein Neuling im Gesundheitswesen.
Gates wünscht sich jederzeit einsatzbereite Truppe
Vielleicht sind auch gerade deshalb keine revolutionären Ansätze im Buch des viertreichsten Mannes der Welt zu erkennen. Seine Thesen finden sich bereits seit längerer Zeit in den Diskursen wieder, die sich mit der Aufarbeitung der Pandemiebekämpfung beschäftigen. So ist jedes Kapitel Teil einer Gebrauchsanweisung mit zusammenwirkenden Maßnahmen: Gates wünscht sich für kommende Viren eine genaue Beobachtung der Variantenentwicklung, eine umfangreiche Datenerfassung und die anschließende Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten wie Paxlovid, die in Pillenform verabreicht werden können. Neben der Teststrategie müsse man auch die Impfstoffherstellung vorantreiben, um benachteiligte Staaten gleichwertig zu versorgen. In der Umsetzung glaubt er fest an den Markt: „Als einer der Gründer eines erfolgreichen Technologieunternehmens glaube ich fest an die Macht der Privatwirtschaft, Innovationen voranzutreiben.“
Sein Buch ist keine harte Kost, die sich lediglich an ein medizinisches Fachpublikum richtet. Immer wieder unterfüttert der Milliardär seine Forderungen mit lockeren Geschichten und Beispielen aus der Vergangenheit. Zur Prävention von Unglücken führt er beispielhaft die weltweit erste Feuerwehr im alten Rom heran, die „Cohortes Vigilum“, die von Kaiser Augustus ins Leben gerufen wurde. Eine ständige Truppe, die im Ernstfall jederzeit eingreifen kann, wünscht sich Gates auch in der Pandemiebekämpfung der Zukunft.
Präventionsteam ohne demokratische Legitimation
Gates übergeordnetes Ziel ist die Zusammenstellung eines staatenübergreifenden, weltweit agierenden Präventionsteams namens GERM. Die Abkürzung steht für Global Epidemic Response and Mobilization. Wo genau die Aufgaben der Eingreiftruppe liegen sollen, faßt Gates in zwei Sätzen zusammen: „Sie soll auf potenzielle Ausbrüche achten, Alarm schlagen, wenn sie auftreten, bei ihrer Eindämmung unterstützend tätig werden, Datensysteme für den Austausch von Fallzahlen und anderen Informationen einrichten, politische Empfehlungen und Schulungen standardisieren, prüfen, wie schnell weltweit neue Tools eingerichtet werden können und Übungen organisieren, um Schwachstellen im System aufzuspüren. Und sie müßte weltweit die vielen Fachleute und Strukturen koordinieren, die diese Arbeit auf nationaler Ebene leisten“. Die Einsatztruppe, die aus rund 3.000 Vollzeitbeschäftigten bestehen und eine Milliarde Dollar jährlich kosten soll, verfügt nach Gates Willen über enorme Macht. Im Buch nennt er zwar die nötigen Qualifikationen, die es braucht, um zum Team gehören, von einer demokratischen Legitimation der GERM-Einrichtung ist trotz ihres wahrscheinlich immensen Einflusses auf das gesellschaftliche Zusammenleben allerdings keine Rede.
Auch wenn ein solches Team nach den Plänen des Microsoft-Gründers lediglich lokale Verantwortliche unterstützen soll, anstatt Handlungen aufzuzwängen, würden wohl nicht wenige Staaten ihre politischen Entscheidungen an entsprechenden Empfehlungen ausrichten. Verwaltet würde GERM von der Weltgesundheitsorganisation WHO, „da nur sie ihm weltweite Glaubwürdigkeit verleihen kann“, heißt es in dem Buch. Gates‘ Stiftung ist eine der größten Geldgeber der WHO. In den letzten 22 Jahren stellten der Milliardär und seine Ex-Frau ihr insgesamt 2,5 Milliarden Dollar zur Verfügung.
Von 2018 bis 2019 lag der Anteil der Stiftung am Gesamtbudget der WHO mit rund 531 Millionen US-Dollar bei satten 10,2 Prozent. Nur die Vereinigten Staaten zahlten mit 893 Millionen noch mehr. Daß private Geldgeber wie Gates mittlerweile einen Großteil des Budgets stellen, sorgt immer wieder für Kritik. Viele werfen ihm vor, auf diese Weise Einfluß auf die Agenda der WHO zu nehmen.
Buch läßt Skepsis der Bevölkerung außen vor
Der Pandemiefahrplan des Unternehmers hat außerdem einen weiteren Schwachpunkt: Er vernachlässigt die menschliche Komponente. Ein bereits vorbereiteter Impfstoff und dazugehörige Impfstrategien verfehlen ihre Wirkung, wenn die Bevölkerung nicht überzeugt ist. So wurde 77,6 Prozent der Deutschen laut Statista mindestens eine Impfdosis verabreicht, dennoch wehrte sich eine große Minderheit in der Bevölkerung beständig gegen die Spritze.
Auch die Folgen eingeleiteter Maßnahmen, wie die soziale Verarmung in Folge der staatlich angeordneten Kontaktregeln oder ein Anstieg an depressiven Jugendlichen während der Pandemie, spielen in den Ausführungen des Tech-Gründers nur eine untergeordnete Rolle. Aus medizinischer Sicht klingen die meisten Vorschläge schlüssig, ohne die nötige Rücksicht auf Bevölkerung wird die Umsetzung allerdings schwierig.