Schon im Titel seines neuen Buches legt sich Armin Pfahl-Traughber fest: Wer zur „Neuen Rechten“ gehört, ist ein Rechtsextremist – immerhin zugleich ein Intellektueller, kein Nationalsozialist, aber auf jeden Fall eine Bedrohung für die Demokratie. Die Beweisführung erfolgt in zehn Schritten: Nach einigen Definitionen werden die Vertreter der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Zeit und weitere Autoren als neurechte Vorbilder eingeordnet. Es erfolgt eine Verknüpfung mit späteren Theoretikern, zu denen neben Armin Mohler auch aktuelle wie Alain de Benoist, Karlheinz Weißmann und David Engels gezählt werden.
Weiter geht es mit einer Skizzierung von Aktivitäten (Einrichtungen, Publikationsorgane, Verlage), inhaltlichen Positionierungen und eingesetzten Strategien. Sodann wird geschaut, wie die „Neue Rechte“ in das politische Umfeld wirkt. Großen Raum nehmen zudem beobachtbare, oft aber auch nur angenommene Kontakte ein, die im Text zu einem Netzwerk verdichtet werden. In den beiden letzten Kapiteln geht es um eine „demokratie- und extremismustheoretische Einschätzung“ sowie eine ausführliche Bilanz.
So kenntnisreich sich Armin Pfahl-Traughber zu vielen Bereichen des Untersuchungsgegenstandes äußert, am Ende mißlingt sein Versuch, einen Akteur namens „Neue Rechte“ zu etablieren. Die Debatte ist nicht neu, auch der Professor aus Brühl versucht sich seit über zwei Jahrzehnten an ihr. In der Zunft wird darüber gestritten, was dieses Phänomen inhaltlich auszeichnet. Die diskutierte Bandbreite reicht von demokratischen Konservativen bis hin zu Rechtsextremisten. Es obliegt dann dem jeweiligen Forscher, vor dem Hintergrund seiner eigenen Präferenzen eine Verortung vorzunehmen, was der Begriffsklärung im Sinne trennscharfer, weithin akzeptierter Konturen natürlich nicht dienlich ist.
Inhaltliche Lücken mit Unterstellungen gefüllt
Die erste Schwäche dieses Buches ist methodischer Natur. Solange sich die zahlreichen Denker nicht zu einer Struktur zusammenschließen, kann auch kein Akteur entstehen. Es gibt weder eine Adresse noch eine Telefonnummer, über die eine zuständige Person kontaktiert werden könnte. Pfahl-Traughber sieht dies natürlich und versucht, das Defizit durch den Blickwinkel eines „informellen Netzwerk[es]“ zu heilen. Doch genau das ist nicht möglich: Wenn etwas informell ist, sind reale Beziehungen nicht durchgehend aufdeckbar. Ersatzweise muß ein Extremismusforscher dann das machen, was übrigleibt: Inhaltliche Lücken werden mit Unterstellungen gefüllt. Fehlen ihm die Belege, was ziemlich oft vorkommt, müssen weitreichende Spekulationen her, etwa aus der Sicht eines breit gesponnenen Kontaktschuldnetzes.
Hinzu kommen problematische Generalisierungen und fehlerhafte Analogieschlüsse. Zu den zentralen Aussagen des Buches gehört, daß Intellektuelle, die mit den Theoretikern der „Konservativen Revolution“ sympathisieren, Rechtsextremisten innerhalb der „Neuen Rechten“ seien. Das wird in diversen Fällen zutreffen, aber nicht durchgehend. Auch deshalb, weil die „Konservative Revolution“ nicht alle im Sinne des Autors deuten. Hier macht es sich Pfahl-Traughber zu einfach, wenn er schreibt: „Sage mir, auf wen du dich berufst, und ich sage dir, wo du stehst.“ Wer also in Otto von Bismarck einen großen Staatsmann sieht, ist automatisch ein Anhänger der Monarchie?
Die zweite Schwäche ist inhaltlicher Natur. Obwohl der Autor relativiert und strittige Aussagen auch einzuordnen versucht, konnte er nicht der Versuchung widerstehen, das eigene Argument durch Ausblendung gegenläufiger Empirie zu „erhärten“. Beim Ethnopluralismus wird zum Beispiel jene Facette ausgewählt, die eine rechtsextreme Stoßrichtung aufweist. Die Abhandlung von Martin Lichtmesz findet Erwähnung, nicht aber eine seiner zentralen Aussagen: „Man kann nicht jedem Volk ein klar abgegrenztes, in sich homogenes Heimatland geben“. Das paßt so gar nicht in die Argumentation von Pfahl-Traughber.
Dinge werden teilweise falsch dargestellt
Teilweise werden die Dinge sogar falsch dargestellt – ob nun bewußt oder aus Unkenntnis. Das Reconquista-Konzept der Identitären Bewegung ist im Kern nicht erkannt worden. Auch fordert diese Gruppierung in ihrer offiziellen Darstellung nirgendwo eine komplett homogene Gesellschaft. Widersprüche blendet der Autor selbstbewußt aus, Urteil fällt auf Urteil. Dies zeigt sich desgleichen bei seinen Ausführungen zu Karlheinz Weißmann. Dessen Buch „Rückruf in die Geschichte“ (1992) wird ohne Begründung als „nationalistisch“ eingestuft. Wer der Meinung ist, einen Theoretiker durchschaut zu haben, scheint nicht mehr in die Details gehen zu müssen. An solchen Stellen wird deutlich, daß der Verdacht den archimedischen Punkt im analytischen Zugang Pfahl-Traughbers bildet. Belege werden dabei oft zweitrangig.
Gerahmt wird das alles von einem sehr linkslastigen Weltbild. So behauptet der Autor ernsthaft, daß es „keinen grundlegenden Gegensatz zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus“ gebe. Seine „Rechtsruck“-These schließt nahtlos an die Sicht des Verfassungsschutzes an. Deshalb spricht er folgerichtig von einem „angeblich linksliberalen Mainstream“. Umfragen zu diesem Thema werden großzügig ignoriert.
Das dritte Defizit liegt in der mangelnden Bereitschaft, die eigenen Ergebnisse ernst zu nehmen. Pfahl-Traughber geht von einem informellen Netzwerk aus. Er weist darauf hin, daß dieses kein einheitliches Programm habe, keine „verbindliche Weltanschauung“. Zwischendurch schreibt er sogar, daß es sich „bei der Bezeichnung ‚Neue Rechte‘ um ein Konstrukt handelt“. Auch die Charakterisierung „fluides Phänomen“ findet sich. Dennoch ist seinen Ausführungen die Annahme eines Akteurs zu entnehmen – die „Neue Rechte“. Das überzeugt so wenig wie die auf dem Cover angekündigte Einschätzung eines „Gefahrenpotentials“, die durchgehend im Bereich des Hypothetischen bleibt. Was der Autor unter „Neuer Rechter“ versteht, ist letztlich nicht mehr als ein Baiser: viel Luft, wenig Substanz.
Die Verzahnung von Wissenschaft und Praxis ist pikant
Beim Inlandsnachrichtendienst wird man sich dennoch über die Abhandlung gefreut haben. Armin Pfahl-Traughber ist an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung der Abteilung Verfassungsschutz am Fachbereich Nachrichtendienste zugeordnet. Zuvor war er nach eigenen Angaben von 1994 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz – dies in der Abteilung II für Rechtsextremismus. Als Herausgeber des Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung kooperiert er nicht nur mit den Kollegen seines Fachgebiets. Ein Auszug des Jahresberichts 2018 der Hochschule weist auf weitere Mitstreiter hin: „Es finden sich auch Aufsätze, die … von ehemaligen und gegenwärtigen Mitarbeitern der Verfassungsschutzbehörden stammen.“
Eine solche Verzahnung von Wissenschaft und Praxis, von Präsident Thomas Haldenwang öffentlich gewünscht, ist pikant: Wer liefert am Ende wem die Stichworte? Bestätigen sich der Professor und die Verfassungsschützer gegenseitig? Entsteht dabei ein einheitliches Lagebild, das sich an politischen Vorgaben orientiert? Im Juni 2021 hat die Behörde erstmals auf Bundesebene die Denkfigur der „Neuen Rechten“ – bezeichnet als „informelles Netzwerk“! – in ihren Jahresbericht eingebaut, um die Verdachtsberichterstattung weiter auf das politische Vorfeld auszudehnen. Neue politische Vorgaben führen zu neuen Sichtweisen. Der Verfassungsschutz Sachsens hatte den Terminus einst noch deutlich kritisiert. Im Jahresbericht 2000 heißt es: „Wegen der Unschärfe eignet sich der Begriff nicht für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden.“
Mit seiner neuen Publikation legitimiert Pfahl-Traughber nun vollumfänglich das Vorgehen Haldenwangs. Daß es dabei eine konkrete Zusammenarbeit gegeben hat, läßt sich nicht beweisen. Aber es gibt einige tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Einschätzung. Und den Verdacht, daß ein Professor bereit ist, science to please vorzulegen.
————————-
Prof. Dr. Martin Wagener ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Politik und Sicherheitspolitik an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin.