Die Art, wie man sich in Deutschland mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzt, ist ein Trauerspiel. Am Anfang hatten angesehene Historiker wie Gerhard Ritter, Hans Rothfels oder Ludwig Dehio sich dieser Aufgabe angenommen. Seit den sechziger Jahren, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Studentenbewegung, schlug die seriöse Geschichtswissenschaft in Geschichtspolitik um.
Zu denjenigen, die sich mit dem Kollektivschuldvorwurf nicht abfinden wollen, gehörte der heute emeritierte Ordinarius der Politikwissenschaft, Konrad Löw. In einer großen Forschungsleistung hat er nun Hunderte von Stimmen von Zeitzeugen zwischen 1933 und 1938 zusammengetragen und ausgewertet. Darunter auch von vielen verfolgten Juden.
Alltagserfahrungen
Es sind Erfahrungen und Urteile in Einkaufsläden, am Arbeitsplatz und bei Zwangsarbeitseinsätzen, in den Schulen, von Lehrern und Schülern, die das Bild einer angeblichen Mehrheit sittlich versagender Deutscher zurechtrücken. Löw hat sie in dem Band „Deutsche Schuld 1933 bis 1945?“ (München 2011) publiziert. Klaus von Dohnanyi, der frühere Hamburger Regierende Bürgermeister und Sohn eines Widerstandskämpfers gegen Hitler, schrieb das Vorwort und Alfred Grosser, jüdischer Politikwissenschaftler, der Deutschland 1933 verlassen mußte, das Nachwort.
Beide unterstreichen, wie notwendig diese Gegenstimmen sind angesichts der Vorwürfe, eine Mehrheit der Deutschen habe das antijüdische Vernichtungsprogramm der NS-Machthaber gekannt, es hingenommen oder unterstützt.
Löw wurde ausgegrenzt
Der vorliegende Band, „Adenauer hatte recht: Warum verfinstert sich das Bild der unter Hitler lebenden Deutschen?“, berichtet von Löws Forschungen und den Erfahrungen, die er zwischen 2002 und 2012 machte. Sie begannen, als die Bundeszentrale für politische Bildung eine mit Löw vereinbarte Publikation nach Erscheinen zurückzog. Der Vorwurf: Der Autor versuche eine Relativierung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen.
Löw erhob Verfassungsbeschwerde, die auf dem Weg durch die Instanzen schließlich beim Bundesverfassungsgericht ankam, das sie 2010 als „offensichtlich begründet“ annahm und feststellte, daß die Bundeszentrale als amtliche Behörde in ihrem Vorgehen gegen Löw gegen ihre Pflicht ausgewogener Information verstoßen und dadurch das Recht des Klägers auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gravierend verletzt hatte.
Sieg vor dem Verfassungsgericht
Löws Erfolg konnte als ein Erfolg des deutschen Rechtsstaats verbucht werden, was viele Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung und die Welt nicht hinderte, in der Folgezeit ihre Angriffe gegen Löw und nun auch gegen das höchste deutsche Gericht mit oft maßlosen Behauptungen und Methoden fortzusetzen. Ihnen ging es doch darum, das offiziöse Geschichtsbild in der Bundesrepublik mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und Löw in die Rolle des stigmatisierten Außenseiters zu drängen.
Der vorliegende Bericht zeigt die Methoden dieser Geschichtspolitik, der es um die Durchsetzung des Monopols auf das einzig wahre und richtige Geschichtsverständnis geht und die abweichende Urteile und Meinungen rasch als „revisionistisch“, wenn nicht gleich als „demokratiefeindlich“ verurteilt.
Adenauer als Vorbild
Kaum einer von Löws Gegnern war bereit, die von ihm genannten Urteile der Zeitzeugen unvoreingenommen zu prüfen. Es bestätigte sich der Vorwurf Martin Walsers, daß es hier um Einschüchterung, Drohroutine, Ritual und Pflichtübung geht. Ihre Anwälte zeigten meist dieselben negativen Verhaltensweisen, Opportunismus und Mitläuferturn im Strom der Mehrheit, die sie im Nationalsozialismus so vehement verurteilen.
Der Autor zitiert als sein Fazit die Regierungserklärung Konrad Adenauers, der 1953 unter dem Beifall aller Fraktionen des Bundestages mit Ausnahme der Kommunisten und der extremen Rechten erklärt hatte: „Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und sich an ihnen nicht beteiligt.“
Appell an die Historiker
Das Nachwort des Bandes schrieb Alfred de Zayas, amerikanischer Historiker und Völkerrechtler. Es ist lesenswert, weil hier ein ausländischer Wissenschaftler die Geschichtspolitik in Deutschland mit Deutlichkeit beurteilt. De Zayas konstatiert, daß dieser deutschen Debatte das Streben nach Objektivität fehlt und sie von einer „ideologischen Axiomatik“ in einer Atmosphäre öffentlicher Intoleranz geprägt wird. Hier finde kein „zivilisierter Diskurs“ statt im Sinne des Bemühens um ein ausgewogenes geschichtliches Urteil. De Zayas sieht im Fall Konrad Löw einen Appell an die deutsche Historikerzunft, die Standards kritischer Wissenschaft zu verteidigen.
Konrad Löw: Adenauer hatte recht. Warum verfinstert sich das Bild der unter Hitler lebenden Deutschen?, Verlag Inspiration Un Limited, London/Berlin, 2013, 203 Seiten.