Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart: Das deutsche Bürgertum bleibt ein politisches Phantom

Empfang im Salon 1890: Das deutsche Bürgertum bildete kein politisches Bewußtsein heraus, weder im wilhelminischen Deutschland noch später Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images

Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Das deutsche Bürgertum bleibt ein politisches Phantom

Deutsche Intellektuelle haben es analysiert, bewertet und an seine Träger appelliert. Doch das deutsche Bürgertum blieb stets politisch unmündig, unfähig. Mittlerweile gibt es sich selbst bürgerfeindlich und schwachsinnig. Ein Großaufsatz von Thorsten Hinz.

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Diogenes sagt:

24. August 2024 um 12:32 Uhr

Das Bürgertum eines jeden Volkes kann nicht freiheitlicher und nicht mündiger sein als das Volk, dessen Teil es ist, ein freiheitlich gesinntes und mündiges Volk ist.
Eliten, das sind die Erfolgreichen, sei es aus sich heraus oder als Folge der obwaltenden gesellschaftlichen und persönlichen Bedingungen. Sie sind aber Kollektive. und als Kollektive nicht „besser“ als das Groß-Kollektiv, aus dem heraus sie existieren, das Volk.

Nur Individuen können bezüglich freiheitlichem Geist und Mündigkeit „besser“ sein als das Volk insgesamt. Das Deutsche Volk ist leider obrigkeits-affin. Andere Völker sind aber auch nicht besser.

Und da sehe ich auch die in Deutschland seit 1968, und beschleunigt nach 1989, stattfindende Unterwerfung der freiheitlich Gesinnten unter die Anhänger der Linken Weltanschauung als ein den ganzen „Westen“ betreffendes Phänomen. In Deutschland besteht freilich ein zusätzliches Spezifikum, die Nazi-Keule.

Unterwerfung. Wie kann ein freiheitliches Individuum sich freiwillig unterwerfen? Eine Schönwetter-Gesinnung?

“ … es fehlten ihm die bürgerlichen Barrikadenkämpfer“, so ist es.
Zu Breschnews Zeiten wehte der Geist der Freiheit im „Westen“. Breschnew ist tot.
Mephisto sagt:

24. August 2024 um 10:53 Uhr

Polemisch zusammengefasst: seit 45 reduzierte sich das westdeutsche Bürgertum darauf zu konsumieren und dafür einen Kotau nach dem anderen zu celebrieren. Die AfD Gründer hatten das richtige Händchen, bei Gründung die Eurokrise in den Vordergrund zu rücken, da obige nun Angst hatten, nicht mehr so konsumieren zu können und zogen sich verängstigt zurück, als Gauland die Partei nationalkonservativ ausrichtete. Dieses Bürgertum zeigt Haltung statt Rückgrat.Beispiel für die Ar……rei die Firma Miele.
Thomas B. sagt:

24. August 2024 um 10:03 Uhr

Das Bürgertum lebt von der Einbildung, zu einer gehobenen Schicht zu gehören. Womöglich eine Reaktion auf die Erkenntnis, im Grunde genommen, vollkommen unbedeutend zu sein. Der Minderwertigkeitskomplex erzeugt hier Seelenschmerz.
1. Diogenes sagt:
  
  24. August 2024 um 21:34 Uhr
  
  Bürgertum und Besserverdienende war noch nie das Selbe.
Martin W. sagt:

24. August 2024 um 7:44 Uhr

Auswanderung in die Schweiz, dort gibt es ein Bürgertum und das Abschleifen der individuellen Freiheit läuft langsamer, obgleich es natürlich auch passiert.
jodibel sagt:

24. August 2024 um 6:34 Uhr

Gratulation, Herr Hinz, welch ein großartiger Aufsatz.
Ich räume ein, daß ich manche Passagen zweimal lesen mußte, um zu begreifen, was inhaltlich gemeint ist. Der „Citoyen“ ist mir tatsächlich noch kaum begegnet, aber dank „google“ …

Engelsberger sagt:
23. August 2024 um 21:12 Uhr

„„Die nationale Würdelosigkeit der Deutschen hat ihre tiefste Wurzel im Christentum, das im wesentlichen Bußfertigkeit und Servilität an die erste Stelle seiner Moralskala setzt.“
Dietrich Schuler (*2. Februar 1927 in Stuttgart; +3. November 2011) war ein deutscher Pädagoge, Schriftsteller und Religionsphilosoph.““

Herr Engelsberger,

Sie publizieren hier eine Aussage von Dietrich Schuler.

a) was bitteschön ist denn ein Religionsphilosoph ? Ist das etwas selbsternanntes, etwas zugeschriebenes oder etwa eine auf dem grünen Misthaufen entwucherte Bezeichnung ?
b) die nationale Würdelosigkeit der Deutschen hat ihre tiefste Wurzel im Christentum, das im wesentlichen Bußfertigkeit und Servilität an die erste Stelle seiner Moralskala setzt.“

So ein Blödsinn. Dieser Logik folgend müßten weder Italien, Spanien, Argentinien, Brasilien u.a. würdelos sein. Das ist nicht erkennbar.

wertloses Zitat
1. Thomas B. sagt:
  
  24. August 2024 um 10:05 Uhr
  
  Klasse, jetzt kommen Sie in den Himmel!
  1. Diogenes sagt:
    
    24. August 2024 um 21:42 Uhr
    
    Das Christentum ist aber nicht nur Bußfertigkeit und Servilität. Es ist auch Apostelgeschichte 5, 29.
    
    Das Christentum der CDU ist jedoch tatsächlich Servilität. Die CDU gehorcht Gott weniger als den Grünen.
Engelsberger sagt:

23. August 2024 um 21:12 Uhr

Wilhelm Röpke schrieb in seinem Werk, “ Die Deutsche Frage“ ,Seite 167, 3. Auflage, Erlenbach-Zürich 1948, über den Bauernaufstand von 1525:
“ Es war vielleicht die einzige echte Revolution in Deutschland, die sich außerdem auf die legitimsten Grundsätze stütze – die erste und zugleich die letzte. Zum letzten Mal hat damals der Deutsche aufbegehrt, bevor er endgültig in das Joch des unbedingten Gehorsams gegen die Obrigkeit und gegen seine Herren gespannt wurde. Aus dem aufrechten Bürger und Bauern der mittelalterlichen Stadt wird die rührend-lächerliche Figur des „Spießbürgers“ wie sie uns Goethe im „Osterspaziergang“ des „Fausts“ mit freundlicher Ironie schildert, während Markgraf Ludwig von Baden in einem Brief … drastisch sagt:
„Forchtsam und kleinmütig zu sein, ist unter den Bürgern eine durchgehende Krankheit.“

„Die nationale Würdelosigkeit der Deutschen hat ihre tiefste Wurzel im Christentum, das im wesentlichen Bußfertigkeit und Servilität an die erste Stelle seiner Moralskala setzt.“
Dietrich Schuler (*2. Februar 1927 in Stuttgart; +3. November 2011) war ein deutscher Pädagoge, Schriftsteller und Religionsphilosoph.
1. Gottfried Hermann Spieth sagt:
  
  24. August 2024 um 8:31 Uhr
  
  Es ist eine deformierte Form des Christentums, die das deutsche Bürgertum ehrlos und würdelos gemacht hat. Das Christentum in seiner antiken Reinkultur oder auch noch in seiner mittelalterlichen Kraft und Renaissance-Form ist erhaben und groß, geprägt von der Lehre der glanzvollen Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Leider hat die Reformation mit ihrer übertriebenen Betonung von Sünde und Gnade und mehr noch der Pietismus mit seiner fast schon krankhaften Ver-Demütigung und Verzwergung des Menschen ganze Arbeit geleistet mit der Herabwürdigung des Menschen, mit der Abtötung jedes gesunden Lebenswillens. Und das Resultat dieses Prozesses? Das ist dann das kleinlich formatierte, operettenhaft ausstaffierte, durch Gouvernanten und pharisäische Oberlehrer vollendes deformierte deutsche Bürgertum.
  1. Ulrich_Motte sagt:
    
    24. August 2024 um 11:39 Uhr
    
    Gottfried Hermann Spieth: Die Reformation prägte aber die westlichen Länder viel geschlossener als Deutschland. Warum ist das dortige Bürgertum dann um so kräftiger als das deutsche? Das halte ich für schwach, weil es sich nicht genug reformierte…
    Das Bürgerztum ist übrigens in zentralen katholischen Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien, Portugal schwächer als in Deutschland. Dort sind hersschende Mächte stärker als in Deutschland rechte und linke antibürgerliche Extremisten…
    1. Gottfried Hermann Spieth sagt:
      
      24. August 2024 um 12:37 Uhr
      
      Da haben Sie recht, lieber Kollege Motte. Aber vermutlich war der entscheidende Faktor in den westlichen Ländern die überaus dynamische Entwicklung der gewinnorientierten Kapitalwirtschaft, in Verbindung mit einem raumgreifenden Engagement über Kontinente und Ozeane hinweg? Ob diese unwahrscheinlichen Energien allein mit dem Calvinismus erklärt werden können, wie noch Max Weber meinte? Oder hat sich hier einfach „nur“ das natürliche Instinktverhalten, ungebremst durch obrigkeitliche oder klerikale Bevormundung, durchgesetzt? Wobei der genetische Faktor mit entscheidend sein dürfte, denn es handelt sich im Wesentlichen um germanische Stämme und Völker, die England und später die USA besiedelten.
  2. Mephisto sagt:
    
    24. August 2024 um 16:45 Uhr
    
    Gottgläubig reicht und steht uns näher. Dieses Kirchenchristentum brachte uns viel Unglück, der dreißig Jährige Krieg war eines davon. Von Anfang an verlängerter Arm der Mächtigen. Asiatische Völker haben ohne Calvinisten ganz andere Leistungen gebracht und sind im Gegensatz zu uns degeneriert.
2. Kopfhörer sagt:
  
  24. August 2024 um 10:20 Uhr
  
  „Forchtsam und kleinmütig zu sein, ist unter den Bürgern eine durchgehende Krankheit.“
  
  Da mag der Markgraf auf „Solcherlei“ verächtlich runter sehen. Doch seinesgleichen haben seit den Bauernkriegen alles ausgerottet oder vertrieben das nicht „Forchtsam“ genug war.
Gottfried Hermann Spieth sagt:

23. August 2024 um 20:21 Uhr

Im südwestdeutschen Wertkonservatismus sind die von Thorsten Hinz beschriebenen Phänomene besonders krass. Zu allen bürgerlichen Dekadenzerscheinungen kommt hier noch ein religiöser Puritanismus, Pietismus und Philosemitismus dazu, der die Sache wirklich unerträglich macht – weil auf dieser Schiene dann eine Rechtfertigung des Status Quo mit dem ganz großen theologischen Vorschlaghammer stattfindet: Der Allmächtige höchstselbst habe uns Deutschen das westliche Schicksal aufoktroyiert als Heilmittel von deutschnationalen Verfehlungen, die geradezu im okkult-satanischen Bereich angesiedelt waren. Also das evangelikale Amerika als der Exorzist, der uns von den trüben Traditionsquellen der preussisch-militaristischen oder österreichisch-päpstlichen Verführung erlöst habe. Durch eine geschickte PR Strategie fand z.B. Frau Dr. Merkel oder auch zuvor schon Helmut Kohl jederzeit ein offenes Ohr und vor allem eine offene Bühne, um ihre Form von Zivilreligion dem schwäbisch oder badisch biederen Handwerksmeister,
dem Mittelständler, Volksschul- u Gymnasiallehrer oder auch der Pfarrerschaft beider Konfessionen und den noch einflussreicheren freikirchlichen Predigern brühwarm zu präsentieren.
1. infaustumveritas sagt:
  
  24. August 2024 um 8:08 Uhr
  
  „Der Allmächtige höchstselbst“ – warum läßt der Allmächtige die Krone seiner Schöpfung bezüglich des Fliegens im Unklaren? Ein kleiner Hinweis nur, denn schon kleinste Lebewesen können fliegen, nur der Mensch, der sich so viel auf seine Denkfähigkeit einbildet, stolpert schwerfällig in seiner Welt herum. Bedenkt er sich darüber nicht? Er denkt zwar dahingehend, wie er fliegen könnte – aber nicht, was er dafür tun müßte. So wie die Flügel des Ikarus, sind Irdische Hilfsmittel nur eine schwache Lösung und keine Erfüllung des Wunsches, der die Menschheit seit jeher anzutreiben scheint. Warum also wird das Fliegen nur in Leiblicher Form gedacht und nicht in Geistiger? Das ist eine Frage, der auf den Grund zu gehen ist und deren Beantwortung bei den Mitmenschen durchaus zweierlei auslösen kann: Bedenksamkeit einerseits oder Gelächter andererseits. Aber war es Simon Magus nicht auch gelungen, sich in die Luft zu erheben? Dabei hätte er für eine kurze Zeit seinen Körper verlassen und sich den Beobachtern, u.a. Kaiser Nero, so zeigen müssen, wie der auferstandene Christus seinen Jüngern erschienen war. Sie sehen sicher die Diskrepanz zwischen leiblicher und geistiger Welt.
  1. Gottfried Hermann Spieth sagt:
    
    24. August 2024 um 11:33 Uhr
    
    Lieber Faustus in Veritas, geht es Ihnen um spirituelle Selbstvergewisserung, also die „Freiheit des Geistes“? Mein Einwurf oben war gedacht als Brandverstärker des Aufsatzes von Thorsten Hinz. Nie und nimmer wollte ich Gott den Herrn selbst in Zweifel ziehen oder seine unfassbar große Autorität in Frage stellen. Ich wollte aufmerksam machen auf die zivilreligiöse Verführung, die im amerikanischen Gewand daherkommt. Das Seltsame ist: Diese Evangelisten sind oftmals begnadete Redner vor dem Herrn. Ich bin selbst im Alter von 14 Jahren durch eine Evangelisation im klassisch-würdevollen Stil von Billy Graham zum lebendigen Glauben an unseren Heiland gekommen. Darauf lass ich nichs kommen.Was ich dann später als Student und Erwachsener jedoch bitter durchbustabieren musste, war die komplette Unvereinbarkeit von Deutschtum und Evangelikalismus. Das ist wie Feuer und Wasser. Du kannst nicht evangelikal und zugleich deutschnational sein. Entweder musst du Christsein oder Deutsch-Sein neu definieren, oder beides. Als Ausweg erscheint die Rückbindung an die alte Kirche und das Mittelalter. Römisches Christsein und Deutschsein war damals eine Einheit. Und so sollte es wieder werden.

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