Als es jüngst hieß, Influencer Andrew Tate sei in Rumänien wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Menschenhandel festgenommen worden, konnten viele Deutschen mit dem Namen wohl nur wenig anfangen. Dabei ist der ehemalige Kickboxer mit britischen und US-amerikanischen Wurzeln längst mehr als ein Internetstar – er ist der Prophet von Massen an jungen Männern
Mehr als 4,3 Millionen Menschen folgen Tate auf Twitter. Doch bekannt gemacht haben den 1,90 Meter großen Hünen nicht Tweets, sondern seine anmaßenden, provokant-vulgären Ansagen zu gesellschaftlichen Themen, die durch seine Anhänger auf TikTok viral Verbreitung finden. Dort ist der Kanal des 36jährigen längst gelöscht. Zu oft hatte er mit Giftpfeilen in die woke Blase gestochen und so den Zorn aller Zartbesaiteten auf sich gezogen.
Er ist einer, der seine Kritik an politischen Zuständen mit Beleidigungen statt mit Argumenten untermauert. Dennoch: Tate ist zwar plump, aber nicht hohl. So rechnet er regelmäßig mit linksliberal geprägten Massenmedien, dem aus dem Ruder gelaufenen Kampf gegen vermeintliche Diskriminierung und aufgeweichten Geschlechterrollen ab. Frauen glaubt er, durch und durch studiert zu haben. Seine Urteile sind in der Regel schonungslos machohaft.
Männer sollen keine Schwäche zeigen
Chauvinist, Frauenfeind, „Haßfluencer“ haben ihn seine Gegner getauft. Und ganz ehrlich? Teilweise zu Recht. Gnade oder Mitgefühl darf man von Tate nicht erwarten. Die erwartet er allerdings auch nicht. Der Schuh paßt ihm. Wer mit ihm befreundet sein will, darf nach den Aussagen des ehemaligen Profisportlers kein „verdammtes Weichei“ sein. Und als verweichlicht gilt für ihn so ziemlich alles, das nicht einer überkompensierten, schon geradezu grotesk-klischeehaften Vorstellung von Männlichkeit entspricht.
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So erklärte Tate, der in seinen Videos meistens lässig unbekümmert eine Sonnenbrille trägt, seinen Zuschauern einst, wie seine Reaktion darauf aussähe, wenn ein Freund einen Herzinfarkt erleiden würde: „Steh verdammt nochmal auf. Was zum Teufel ist falsch mit dir? Hab‘ keinen Herzinfarkt in meiner Nähe, du kleines Weichei.“ Von Frauen erwartet er „absolute Loyalität“, von Männern ungehemmte Zügellosigkeit. In Tates Augen geht eine Partnerin, die auf eine WhatsApp-Nachricht eines Mannes antwortet, bereits fremd. Sex mit einer anderen Frau sei für vergebene Männer hingegen „Training“ und moralisch unbedenklich.
Nach eigenen Angaben ist er konvertierter Moslem. Daß sein ungesittetes Leben nach den Regeln des Islams durch und durch „haram“ ist, scheint ihn nicht weiter zu beeindrucken. Statt Beiträge über andächtige Gebete findet sich bei seinen Tweets hier und da ein kleines „Inshallah“. Die Ernsthaftigkeit hinter seinem Glauben ist wenig überzeugend. Es ist Lifestyle.
Tate ist neureicher Luxus-Proll
Tate wichtigstes Prinzip: keine Schwäche zeigen. Er bezeichnet sich als „Hustler“, also jemand, der unablässig und bis zur Erschöpfung ackert. Ein gleichnamiges Programm (Hustler’s University) verspricht für knapp 50 US-Dollar pro Monat finanzielles Know-how zu vermitteln, um Online das große Geld zu machen. Nach eigenen Angaben verfügt Tate über ein Vermögen von rund 100 Millionen Dollar.
Er ist der ultimative Luxus-Proll: Sonnenbrillen, Rolex, teure Autos, Zigarren. Ein Neureicher, der zwar keine Klasse hat, dafür aber eine Vorliebe für Dekadenz. Und er sendet eine zuckersüße Verheißung an alle orientierungslosen jungen Männer, die nicht so richtig wissen, wohin mit sich: Frauen, Geld, Anerkennung – Das alles könnt ihr auch haben. Damit füllt Tate eine Leerstelle, die der Kampf gegen „toxische Männlichkeit“ und vermeintlich reaktionäre Rollenbilder hinterlassen hat. In seiner Welt darf jeder domestizierte Weichling die mühsam antrainerte politische Korrektheit abstreifen und in seinem Wesen ganz und gar archaisch sein.
Das kommt an. Der glatzköpfige Ex-Kickboxer beeinflußt Massen von Männern, alleinstehend wie vergeben, die der Misere ihrer Mittelmäßigkeit entfliehen wollen. Was so verheißungsvoll scheint, lindert in Wahrheit die Symptome, bekämpft aber nicht die Ursache.
Hedonismus soll Abhilfe schaffen
Die schnelle Abhilfe heißt Hedonismus und gibt ein befristetes Gefühl von Macht und Kontrolle. Langfristig kann ein Mensch sein Bedürfnis nach emotionaler Nähe freilich genauso wenig verstecken wie gelegentliche Schwäche. Zwar spricht sich Tate immer wieder dafür aus, Beziehungen einzugehen und Familien zu gründen, doch der Lebensstil, den er vermittelt, will einfach nicht zu dieser Weisheit passen.
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Was der Sohn des internationalen Schachmeisters Emory Tate heranzüchtet, ist eine Schar an Männern, die ihre innere Unsicherheit mit Arroganz und Selbstgefälligkeit überspielen. In den sozialen Medien berichteten zuletzt immer wieder Frauen von Verhaltensänderungen bei ihrem Partner und geben die Videos des Unternehmers als Grund an. Plötzlich würden sie empathielos behandelt, es gebe vermehrt Streit, ihr Freund wirke unnahbar und kalt, heißt es in den Berichten.
Tate hat ein falsches Männlichkeitskonzept
Promiskuität, Luxus-Karossen und Überheblichkeit machen noch lange keinen Mann. Es geht vielmehr um ein Wertekonzept, das sich zu großen Teilen an der Evolution und in Vergessenheit geratenen Tugenden orientiert. Dazu gehört, eine Familie versorgen und beschützen zu können, echte Stärke durch emotionale Reife sowie ein persönliches Konzept von Ehre.
Wegen der Vorwürfe gegen ihn hatte die Polizei Tate schon lange gesucht. Fündig wurde sie schließlich in Rumänien, wo er mehrere Casinos betreibt. Laut Berichten führte womöglich ausgerechnet ein Schlagabtausch zwischen „Fridays for Future“-Initiatorin Greta Thunberg und dem „Hustler“ zu dessen Festnahme.
I’m sure ‘pizza box identification’ has been used in a detective show somewhere to solve a crime.
What a bizarre twist and what a spectacular own goal from Andrew Tate 😳#CSIRomania #GretasGonnaGetYa pic.twitter.com/fDrpfW8Lbd— Dan Walker (@mrdanwalker) December 30, 2022
Er hatte die Schwedin mit mehreren Tweets provoziert. In einem Beitrag teilte er einen Pizzakarton und kündigte an, diesen nicht zu recyceln. Blöd nur, daß der Pizzakarton, der auch noch mit einem QR-Code versehen war, Aufschluß über den Imbiss und damit seinen Aufenthaltsort gab. Wenn der Tweet am Ende wirklich zu seiner Festnahme geführt haben sollte, wäre Tate ausgerechnet seine von ihm so zelebrierte Arroganz zum Verhängnis geworden. Eine Ironie des Schicksals.