Keine Runden, keine Gewichtsklassen, kein Zeitlimit, keine Pausen, keine Punktrichter; außer Beißen und in die Augen greifen, ist alles erlaubt. Die erste Ultimate Fighting Championship (UFC) startet am 12. November 1993 in Denver, Colorado (USA). „Ladys and Gentlemen: there are no rules!“, begrüßt der Kommentator das Publikum in der McNichols Sports Arena. Gesucht wird der „Ultimate Champion“. Boxen, Jiu-Jitsu, Karate, Kick-Boxen, Judo, Savate, Shootfighting, Taekwondo, Sumoringen. Wer kann seine Sportart siegreich vertreten?
Ungleiche Kampfstile, ungleiche Gegner: In der ersten Runde stellt sich ein im Vergleich schmächtiger Kickboxer einem deutlich schwereren Sumoringer entgegen. Nach ein paar Schlägen verliert der Sumoringer das Gewicht, fällt zu Boden und während er versucht, wieder aufzustehen, tritt sein Gegner ihm gnadenlos gegen den Kopf. Ein sogenannter „Soccer-Kick“, der technisch gesehen wie ein Elfmeter im Fußball funktioniert. Zähne fliegen ins Publikum, Blut läuft dem Sumoringer übers Gesicht, der Kampf ist vorbei, die Zuschauer sind begeistert.
Szenen wie diese machen den Reiz des neuen Events aus: der Wettkampf der Kampfstile und eine zuvor nicht dagewesene Darstellung von Gewalt im drahtumzäunten Käfig und im Fernsehen. Neben einer vollen Arena schauen fast 90.000 Menschen der UFC-Premiere über den Bezahlsender Semaphore Entertainment Group zu.
UFC geht einen langen Weg
Was vor 30 Jahren in Denver als absurd brutales Spektakel im achteckigen Käfig, dem Oktagon, beginnt, legt den Grundstein für den Sport Mixed Martial Arts (MMA) und entwickelt sich in den kommenden drei Jahrzehnten zu einer der umsatzstärksten und beliebtesten Kampfsportveranstaltungen weltweit. Doch bis dahin hat die UFC einen langen Weg zu gehen, der einerseits von der Etablierung der MMA als seriöser Sportart und andererseits vom Bemühen um die Vermarktung des Events bestimmt ist.
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MMA soll verschiedene Kampfkünste miteinander kombinieren, doch gleich zu Anfang entbrennt eine bis heute andauernde Diskussion: Ist das noch Kunst oder kann das weg? Das Mantra der Anfangsjahre „Es gibt keine Regeln“ mit den entsprechend ausgesendeten Bildern wird der UFC und dem Sport zunächst zum Verhängnis. Die Reaktionen seitens Politik und Medien in den USA sind vernichtend. Senator John McCain bezeichnet die Kämpfe als „menschlichen Hahnenkampf“. Alle wichtigen Sender nehmen die Veranstaltungen aus ihrem Programm, 36 US-Bundesstaaten verbieten die UFC. Die Zeit von 1997 bis 2001 nennen Fans die „dark days“, die dunklen Tage.
Die Idee eines Turniers der Kampfkünste hatten Anfang der 1990er Jahre der Werbeprofi Art Davie und der Kampfsportler Rorion Gracie, aus dessen Familie die Gründer von Brazilian-Jiu-Jitsu (BJJ) bekannt sind. Wenn Davies Motivation womöglich im geschäftlichen Erfolg lag, war es der Gracie-Familie vor allem ein Anliegen, ihre Sportart bekannt zu machen und zu beweisen. Rorions Bruder Royce kämpfte denn auch als BJJ-Schwarzgurt in der ersten UFC Kampfnacht und entschied das Turnier trotz scheinbar physisch überlegener Gegner für sich.
UFC-Erfolgsgeschichte beginnt mit Kauf durch Dana White
BJJ mischt Techniken von Judo und Jiu-Jitsu und legt den Fokus auf den Bodenkampf. Reine Standkämpfer wie Boxer oder Kickboxer waren den Ringtechniken, den Hebel- und Würgegriffen Gracies am Boden chancenlos ausgeliefert. Von den ersten vier UFC-Turnieren, an denen Royce Gracie teilnahm, ging er aus dreien als Sieger hervor. Die Wirksamkeit des BJJ war bewiesen, für Standkämpfer gab es Nachholbedarf.
When Royce Gracie became the first champ in UFC HISTORY! 🏆
Flashback to UFC 1 in 1993 for #UFC30Years
[ B2YB @UFCStrike ] pic.twitter.com/guhuSJUS4R
— UFC (@ufc) June 25, 2023
Die UFC schreibt auf ihrer Webseite von einer „langen und reichen Tradition“ der MMA, die ihre Ursprünge in der antiken olympischen Sportart Pankration hätten, bei denen gerungen und geboxt wurde. Eine wirkliche Tradition einer solchen Sportart im Sinne einer fortlaufenden Praxis ist aber nicht bekannt. Als direkter Vorläufer der MMA können brasilianische „Vale Tudo“-Veranstaltungen („alles zählt“) seit Anfang des 20. Jahrhunderts gelten. Für die Professionalisierung und schließlich Kommerzialisierung des Sports kann aber die UFC unter Präsident Dana White hauptverantwortlich zeichnen. 2001 kauft der Box-Promoter White die UFC zusammen mit den Brüdern Frank und Lorenzo Fertitta für zwei Millionen US-Dollar und die Erfolgsgeschichte der beginnt.
Wichtige Schritte hierzu sind das Einführen eines Regelwerks, das im Laufe der Jahre stets erweitert wird und die erste Veranstaltung in Zusammenarbeit mit amerikanischen Sportbehörden Ende 2000 ermöglicht. Nach und nach führt die UFC Gewichtsklassen (neun), zeitlich begrenzte Runden (fünf Minuten), Pausen (eine Minute) und Punkterichter ein. Ein Ärzteteam steht immer neben dem Käfig bereit. Zum Schutz der Kämpfer werden außerdem leichte Handschuhe mit Knöchelpolstern und offenen Fingern zum Greifen verpflichtend. Auch die Verbotsliste wird länger: keine „Soccer-Kicks“, keine Schläge oder Tritte gegen den Hinterkopf, keine Tiefschläge, kein Greifen kleiner Gelenke wie der Fingergelenke, Kratzen, Beißen und in die Augen fassen, sind tabu.
UFC ist ein Milliarden-Dollar-Geschäft
Die „Unified Rules“ und die Übernahme der UFC durch White und die Fertitta-Brüder markieren das Ende der „dark days“. Die Geschäftsmänner kommen auf die Idee einer Reality-Show, in der Kämpfer miteinander leben und schließlich gegeneinander antreten sollen, um am Ende einen UFC-Vertrag zu gewinnen. Die Sendung mit dem Namen „The Ultimate Fighter“ läuft auf SpikeTV und wird zum Erfolg. Nach und nach erarbeiten sich White und die Fertitta-Brüder Verträge mit dem amerikanischen Sender Fox, dem Streamingdienst ESPN und stellen ab 2013 den UFC-Fight-Paß bereit, der Fans eine eigene Plattform zum Ansehen der Kämpfe bietet.
Andere MMA-Veranstalter, wie der japanische Pride FC, die amerikanischen World Extreme Cagefighting (WEC) und Strikeforce, wurden nacheinander von der UFC aufgekauft, wodurch sie sich als inzwischen unbestrittener Marktführer etablierte. 2016 verkaufen die Fertitta-Brüder ihre Anteile an eine Talentagentur und zwei Hedgefonds für sagenhafte vier Milliarden Euro. White bleibt UFC-Präsident.
Die größten Zuschauererfolge erfährt die UFC 2018 mit dem Kampf Conor McGregor gegen Khabib Nurmagomedov. 2,4 Millionen Menschen kaufen zu dem Zeitpunkt einen Einmal-Zugang („pay-per-view“) für einen Stream. Laut der Neuen Zürcher Zeitung verbucht die UFC dadurch 180 Millionen Dollar Einnahmen. 2020 betrug der Jahresumsatz demnach 890 Millionen Dollar, 2022 waren es 1,4 Milliarden Dollar. Ganz im Gegensatz dazu ist immer wieder die Kritik zu vernehmen, daß außer den Zugpferden der Organisation die Kämpfer verhältnismäßig schlecht bezahlt werden. Das Durchschnittsgehalt eines Kämpfers soll nach erfolgtem Käfigkampf etwa 40.000 US-Dollar betragen.
Trump ist langjähriger Unterstützer
30 Jahre UFC beschreiben nicht nur die Erfolgsgeschichte eines Unternehmens und die Popularisierung eines Sports, sondern auch die Schaffung neuer Sport-Mythen und Ikonen. Mit Jon Jones, Anderson Silva, George St. Pierre, Khabib Nurmagomedov, natürlich Conor McGregor oder Ronda Rousey bei den Frauen – um nur ein paar Namen zu nennen – hat die UFC es gekonnt, eigene Geschichten zu erzählen. Skandale um die Kämpfer als auch um den Präsidenten White bleiben dabei stete Begleiter. Anfang dieses Jahres kam White in die Schlagzeilen, als er eine Ohrfeige seiner Frau auf gleiche Weise beantwortete.
Immer wieder ist das Oktagon auch Bühne religiöser oder weltanschaulicher Auseinandersetzungen. So rief beispielsweise Khamzat Chimaev nach einem Kampf laut „I kill everyone, Allahu Akbar“ durch die Halle. Ein steter Fan und Unterstützer ist übrigens der ehemalige US-Präsident Donald Trump, der der UFC selbst in den „dark days“ einen Käfig und eine Halle bereitstellte.
Die Skandale rund um die UFC sowie der gepflegte rohe Ton aller Beteiligten können kaum überraschen. Trotz aller Regeln bleibt MMA ein brutaler Sport. Die UFC ist vor allem auf Entertainment ausgelegt. Sollte der angekündigte Kampf zwischen Tesla-Chef Elon Musk und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg tatsächlich irgendwann einmal stattfinden und dazu noch – wie von White vorgeschlagen – im Kollosseum in Rom, ist das Klischee der Gladiatorenkämpfe unter dem Motto „Panem et Circensis“ endgültig erfüllt.