BERLIN. Mehrere Wissenschaftler, Künstler und Publizisten haben sich für ein Ende der sogenannten Cancel-Culture ausgesprochen. „Wir fordern sämtliche Veranstalter, Multiplikatoren oder Plattformbetreiber auf, dem Druck auf sie standzuhalten und nicht die Lautstarken darüber entscheiden zu lassen, ob eine Veranstaltung stattfindet oder nicht“, heißt es in einem „Appell für freie Debattenräume“. Initiiert haben die Petition der Autor und Kolumnist der Neuen Zürcher Zeitung, Milosz Matuschek, und der Schriftsteller und YouTuber Gunnar Kaiser.
„Wir solidarisieren unsmit den Ausgeladenen, Zensierten, Stummgeschalteten oder unsichtbar Gewordenen“, betonen die Initiatoren. Es ginge nicht darum, deren Aussagen zu teilen, sondern sie zu hören, um sich selbst eine Meinung bilden zu können. Außerdem fordert der Appell, das „unselige Phänomen der Kontaktschuld“ zu beenden. Denn ohne dieses wäre „die Absagekultur nicht möglich“. Unter Cancel-Culture versteht man den systematischen Boykott unliebsamer Personen mit dem Ziel ihrer Annullierung aus dem öffentlichen Leben.
„Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit“
Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem die Publizisten Hamed Abdel-Samad, Markus Krall und Götz Aly, die Wissenschaftler Jörg Baberowski, Hartmut Esser und Axel Meyer, die Schriftsteller Monika Maron und Ralf Bönt sowie die Journalisten Frank Lübberding, Alexander Kissler, Philip Plickert und Günter Wallraff.
Hintergrund des Appells sei der sich seit Jahren breitmachende Ungeist, „der das freie Denken und Sprechen in den Würgegriff nimmt und die Grundlage des freien Austauschs von Ideen und Argumenten untergräbt“. Der Meinungskorridor werde verengt und Informationsinseln würden versinken.
„Wir erleben gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit. Nicht die besseren Argumente zählen, sondern zunehmend zur Schau gestellte Haltung und richtige Moral“, heißt es in dem Aufruf. „Stammes- und Herdendenken machen sich breit.“ Inzwischen seien aber nicht nur die Debattenkultur, sondern die demokratischen Prozesse selbst bedroht.
Unterzeichner fordern Ent-Politisierung der Debatte
„Die Grenze des Erträglichen ist längst überschritten.“ Die Unterzeichner fordern eine generelle Ent-Politisierung und Ent-Ideologisierung der öffentlichen Debatte. Gerade in unübersichtlichen Zeiten brauche es „nicht weniger, sondern mehr unkonventionelles Denken“. Zensur und die Unterdrückung von Informationen hätten noch nie den Fortschritt befördert.
Die Petition läuft laut den Angaben der Initiatoren bis zum 25. September. Dann soll die vollständige Liste der Unterzeichner veröffentlicht werden. (ls)