Anzeige
Anzeige

Humorvolles Universalgenie: Loriot zum 100. Geburtstag: „Die Ente bleibt draußen!“

Humorvolles Universalgenie: Loriot zum 100. Geburtstag: „Die Ente bleibt draußen!“

Humorvolles Universalgenie: Loriot zum 100. Geburtstag: „Die Ente bleibt draußen!“

"Loriot" alias Vicco von Bülow und die Deutschen halten sich bis heute die Treue Foto: picture-alliance / dpa | Jahnke
"Loriot" alias Vicco von Bülow und die Deutschen halten sich bis heute die Treue Foto: picture-alliance / dpa | Jahnke
„Loriot“ alias Vicco von Bülow und die Deutschen halten sich bis heute die Treue Foto: picture-alliance / dpa | Jahnke
Humorvolles Universalgenie
 

Loriot zum 100. Geburtstag: „Die Ente bleibt draußen!“

Die anhaltende Popularität des Werks von Loriot beweist auch an dessen 100. Geburtstag, daß Vicco von Bülow ein Universalgenie von überzeitlicher Größe war. Der Blick auf sein Schaffen ist wie ein Blick in ein untergegangenes Reich. Eine Würdigung.
Anzeige

Jodeldiplome, Atomkraftwerke unterm Weihnachtsbaum, Hunde, die sprechen können, Bilder, die schief und Nudeln, die in Gesichtern hängen, Kosakenzipfel, die Auslöser heftiger Verwerfungen sind, Männer, die dieselbe Badewanne teilen, ohne daß der geringste Hauch von Homoerotik durchs Bad weht, und die sich wegen eines Quietscheentchens entzweien: das ist die Welt von Loriot alias Vicco von Bülow (1923–2011).

Über welche deutschen Künstler wird in hundert Jahren noch geredet werden? Über Heinrich Böll und Günter Grass, Martin Walser und Siegfried Lenz, die berühmten Schriftsteller des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die Diskurse ihres Zeitalters bestimmten? Über Schauspieler wie Götz George und Armin Mueller-Stahl, über Regisseure wie Wim Wenders und Tom Tykwer?

Loriots Sprüche stehen heute im Duden

Allein die Beobachtung, daß Vicco von Bülow, dessen Geburtstag sich am 12. November zum hundertsten Mal jährt, sich allen oben aufgezählten Kunstkategorien zuordnen läßt, weist ihn als Universalgenie aus. Und noch etwas ist da, das ihn zum Überlebenden der Zeiten machen könnte: Er hat nicht nur unsere Fähigkeit, über uns selbst zu lachen, erweitert, sondern auch unsere Idiomatik.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

 

„Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ aus dem in Loriots Stammverlag Diogenes erschienenen Band „Gesammelte Prosa“ ist so ein Satz, der zweifelsohne Geflügeltes-Wort-Qualitäten aufweist. „Die Ente bleibt draußen!“, „Sagen Sie jetzt nichts!“ und „Wo laufen sie denn?“, Einzeiler aus berühmten Loriot-Stücken, haben längst redensartlichen und somit volkstümlichen Charakter. „Wo laufen sie denn?“, ursprünglich stammend von Wilhelm Bendow, dem Autor des bekannten Rennbahnsketches, aber von Loriot in Zeichentrickform popularisiert, wurde sogar in den Duden aufgenommen.

Mit dem Eisernen Kreuz in die Werbebranche

Nicht jede der oben genannten Geistesgrößen wird es in der Disziplin „Worte, die bleiben“ mit Loriot aufnehmen können. Mit dem frechen Fernsehhund Wum eilte der 1923 als Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow in Brandenburg an der Havel zur Welt gekommene Sproß eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts seinem Karrierehöhepunkt entgegen.

Vorausgegangen waren ein Gymnasialbesuch in Stuttgart, wohin es den Vater, einen Polizeioffizier, verschlagen hatte, das Notabitur 1941, eine Offizierslaufbahn, die ihn mit einem Panzergrenadier-Regiment an die Ostfront führte und in der Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz gipfelte, sowie nach Kriegsende ein Grafikstudium in Hamburg, das ihm den Weg in die Werbebranche ebnete. Die ersten Zeichnungen mit den für Loriot typischen Knollennasenmännchen entstanden.

Beim „Stern“ kommt Loriot auf den Hund

Schließlich landete der begnadete Karikaturist beim Stern, für den er 1953 die Serie „Auf den Hund gekommen“ schuf. Es war die Zeit, in der von Bülow sich das Pseudonym Loriot zulegte, das französische Wort für Pirol, das Wappentier der Familie. Doch die „Planet der Affen“-Konstellation mit Tieren, die über Menschen gebieten, gefiel nicht jedem. Der Stern stellte die Hundeserie infolge von Leserprotesten nach nur neun Folgen ein, und Henri Nannen feuerte Loriot.

Dennoch hielt der Autor und Illustrator dem besten Freund des Menschen die Treue. Nicht nur der eingangs erwähnte Mops belegt dies, sondern auch der berühmte Zeichentrick-Kurzfilm aus der kulturprägenden sechsteiligen Loriot-Reihe, die Mitte der siebziger Jahre für Radio Bremen entstand: Ein Hundebesitzer stellt dem verblüfften Reporter, der ihn interviewt, darin seinen hochbegabten Vierbeiner vor, einen Hund, der angeblich sprechen, in Wahrheit aber nur rhythmisch jaulen kann – eine universell gültige Parabel, die man heute auch als Persiflage aufs Bundeskabinett deuten könnte.

Von Bülows witziger Comic-Tierpark

Loriots legendärste Vierbeinerkreation ist aber selbstverständlich Wum, der berühmte ZDF-Fernsehhund aus der Quizshow „Der große Preis“, einem Quotenbringer der siebziger und achtziger Jahre. Der eloquente Vertreter einer nicht näher definierten Hunderasse fungierte als Maskottchen für die „Aktion Sorgenkind«, die die Sendung bewarb. Ideal ergänzte der von Loriot gezeichnete und gesprochene Trickfilmköter den eher drögen und charismaarmen Moderator Wim Thoelke (1927–1995), der bereits für den bis 1974 laufenden Vorgänger von „Der große Preis“, die Spielshow „Drei mal Neun“, auf den Hund gekommen war. Mit „Ich wünsch’ mir ’ne kleine Miezekatze“ wurde Wum alias Loriot 1973 sogar zum Schlagerstar. Eingeleitet wurde der regelmäßige Show-Auftritt des weißen Schlappohrs jedesmal durch seinen rabiat-rüden Ruf: „Thoelke!“

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Zu der von Loriot erfundenen Zeichentrickfigur gesellte sich bald der mit hoher Stimme sprechende Mini-Elefant Wendelin. Wum und Wendelin begeisterten vor allem Kinder, die dem Auftritt der beiden tierischen Helden aufgeregt entgegenfieberten. Ihretwegen wurde der Zeichentrickeinspieler auf eine Uhrzeit gelegt, zu der die Kleinen noch nicht im Bett sein mußten. Da die lustigen Loriot-Figuren mehr zogen als der stets seriös auftretende einstige Sportstudio-Moderator, wurde „Der große Preis“ gern beworben mit dem Trio „Wim, Wum und Wendelin“. Später gesellte sich noch der „blaue Klaus“, ein Außerirdischer mit eigenem UFO, dazu.

Autor, Zeichner, Schauspieler, Regisseur

Den Fernsehrüden gab es auch als sogenannten Merchandising-Artikel. Als solcher blieb er in manchem Wohnzimmer stehen, als es die Sendung schon längst nicht mehr gab. Als Comic-Strip erscheinen „Wum und Wendelin“-Geschichten noch heute wöchentlich in der Programmzeitschrift Gong und halten so die Erinnerung an den Ur-Loriot wach, der als Zeichner für Gruner + Jahr und den Stern-Konkurrenten Quickbegonnen hatte, ehe 1967 mit der Fernsehsendung „Cartoon“ für den Süddeutschen Rundfunk seine TV-Karriere ihren Lauf nahm. Auch als Schauspieler war das Universalgenie bereits früh zu sehen. Er drehte mit Bernhard Wicki und kam so sogar zu einem kleinen Auftritt in dem monumentalen Kriegsepos „Der längste Tag“ (1962).

„Loriot entlarvt die sinnlosen Rituale seiner Mitmenschen quasi im Vorbeigehen, der präzisen Beobachtungsgabe bleiben auch kleine Details nicht verborgen“, schrieb 2003 anläßlich des 80. Geburtstages der Fernsehikone der Spiegel. Dem NDR war es gelungen, den Jubilar, der sich eigentlich bereits zur Ruhe gesetzt hatte, noch einmal für eine Geburtstagssendung aus der Reserve zu locken. Loriot führte auch lieber gleich selbst Regie. Nicht daß am Ende noch was schiefläuft! Der notorische Perfektionist hatte erhebliche Probleme damit, daß irgendein Detail nicht stimmen könnte. Das verhindert wirksam nur, wer selbst für alles verantwortlich ist.

Loriot und die Deutschen halten sich die Treue

So entstanden auch seine beiden Kinofilme „Ödipussi“ (1988) und „Pappa ante portas“ (1991), reife Spätwerke voller Ironie und Feinsinn, die trotz geringer Schauwerte und einer eher schlichten Handlung sagenhafte Erfolge wurden und jeweils ein Millionenpublikum in die Lichtspielhäuser lockten. Die Beziehung zwischen Loriot und den Deutschen, sie war immer eine besondere, eine, bei der man sich gegenseitig die Treue hält. Etwas, das sich so ähnlich höchstens noch bei Otto Waalkes, dem rustikalen Pendant des gehoben-bürgerlichen Burleskenregisseurs beobachten läßt, der ebenfalls alles in Gold verwandelt, was er in die Hand nimmt.

„Ich zeige allzu menschliche Dinge, die wirklich jedem passieren und einen großen Wiedererkennungswert haben“, beschrieb der vielseitig Begabte selbst das Geheimnis seines Erfolges. Mustergültig setzte dieses Prinzip sein Zwei-Personen-Sketch „Das Bild“ um, bei dem am Ende ein ganzes Zimmer in Trümmern liegt, nur weil ein Bild schief an der Wand hing, was einen wartenden Gast zu einer kleinen Korrekturmaßnahme nötigte, welche eine fatale Kettenreaktion auslöst – die Chaostheorie veranschaulicht am Alltagsexempel. Wegen der vielen Gegenstände, die im Verlauf der Handlung ihren Platz wechseln, eignet sich der Film auch exzellent für Deutsch-als-Fremdsprache-Übungen zum Thema Präpositionen. Mehr Spaß im Unterricht geht nicht!

Vom Fernsehen in die Oper

Mit Opern bringen den gebürtigen Brandenburger, der am Starnberger See ein neues Zuhause fand, heute wohl nur die wenigsten in Verbindung. Doch von Bülow, der Carl Maria von Webers „Freischütz“ und eine Adaption von Wagners „Ring des Nibelungen“ auf die Bühne brachte, erwies sich auch im seriösen Metier als Meister seines Fachs. Gelegentlich deutete er, sein Markenzeichen der leisen Ironie auch an sich selbst nicht vorbeigehen lassend, an, daß er mit seinem Hang zur Perfektion seinen Mitwirkenden ein Höchstmaß an Geduld abverlangte. Das galt vor allem für seine 2007 verstorbene Filmpartnerin Evelyn Hamann.

Selbst bei der Würdigung seiner kongenialen Ko-Aktrice anläßlich ihres Todes verließ ihren einstigen TV-Vorgesetzten nicht sein sicheres Gespür dafür, ernsten Dingen eine heitere Seite abzugewinnen. Das Ergebnis: jene einzigartig subtile Mischung, die Loriots feinen Humor zeitlebens kennzeichnete. Liebe Evelyn, sprach er die früh Verblichene vor laufender Kamera an und rügte, daß ihr ausnahmsweise das sonst so untrügliche Gespür für Timing abhanden gekommen sei, indem sie vor ihm die Bühne verlassen habe. Und man kann sich kaum etwas anderes vorstellen, als daß der große Humorist und Illustrator auch seinem eigenen Ableben vier Jahre später mit jener Nonchalance und Gelassenheit begegnet ist, wie sie dem aufgeschreckten Hühnerhaufen, als der die Deutschen sich seitdem zunehmend präsentieren, gewiß ganz gut täten.

Loriot – heute unerreichbarer Kult

Schaut man sich Loriots Filmkunst heute an, vermeint man Fernsehen von einem anderen Stern vor sich zu haben, auf dem Begriffe wie Stil, Anstand, Manieren, Etikette einen ganz anderen Stellenwert hatten als im Deutschland anno 2023 und auf dem auch der Humor ein ganz anderer war. Vicco von Bülow kommt einem vor wie der adrette Adlige eines Reiches, das untergegangen ist wie die k. u. k. Monarchie, eines Reiches, in dem ein schiefes Bild Chaos stiftete und nicht ein schiefes Selbstbild, in dem nicht glühender, gewaltbereiter Haß die Menschen gegeneinander aufbrachte, sondern peinlich piefkehafte Kleinigkeiten wie Kosakenzipfel, Badewannenenten oder zu wenig Lametta am Baum.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Heute kann man bestenfalls noch träumen von der Ära, in der der Unterhaltungskünstler Loriot Kult wurde. Es wäre schön, wenn es Zeitreisen gäbe, zurück ins Deutschland von Helmut Schmidt (von dem der Cartoonist ebenfalls eine parodistische Zeichentrickversion schuf), zurück in jene Jahre der Republik, in denen der trotz aller Erfolge stets bescheiden gebliebene Künstler den Gipfel seines Könnens und seiner Popularität erklomm. Wen die Sehnsucht nach diesem besseren Deutschland packt, dem bleibt nur die imaginierte Zeitreise – mit Loriot im DVD-Gerät oder, ganz zeitgenössisch, auf Youtube.

JF 46/23

„Loriot“ alias Vicco von Bülow und die Deutschen halten sich bis heute die Treue Foto: picture-alliance / dpa | Jahnke
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag