Die dürren Fakten: Dresden. Eine in der Nacht zum 19. April durch ein Wurfgeschoß eingeworfene doppelte Schaufensterscheibe des BuchHauses Loschwitz, wo sich auch der Verlag edition buchhaus loschwitz sowie die Wohnräume der Buchhändler und Verleger Susanne Dagen und Michael Bormann befinden. Im Laden wabert der Gestank von Buttersäure, die dort durch einen Zünder aus dem Wurfgeschoß freigesetzt wurde. Zünder – Das kann zu einem Brand führen. Und mit einem Brand wird zumindest billigend in Kauf genommen, daß die im Haus Schlafenden zu Schaden kommen.
Ein Streich ist das nicht. Es ist hier eine Vorrichtung gebaut worden, die zunächst die doppelte Verglasung durchbrechen und danach, zum Zerbersten gebracht, den Buttersäure-Inhalt freigeben kann, um die in den Regalen stehenden Bücher so gründlich zu verderben, daß sie unverkäuflich werden. Das ist ein Angriff auf die wirtschaftliche Existenz. Und es ist ein Angriff auf die Gesundheit von Menschen.
Das ist das Ergebnis eines Denkens, dessen Auswirkungen wir in Deutschland in den zurückliegenden Jahren zur Genüge erlebt haben. Linke Extremisten zerstören Baugerät in Millionenwert, sie überfallen und schlagen ihnen Unliebsame krankenhausreif. Rechte Extremisten erschießen ihnen unliebsame Migranten oder migrationsbefürwortende Politiker. Islamistische Extremisten verwandeln einen LKW in eine tödliche Waffe und bringen damit Menschen um oder stechen Passanten nieder, weil sie schwul sind. Das alles geschieht in Deutschland: In Leipzig und Bremen, in Hessen, Berlin und Dresden. Es geschieht vor unserer Haustür.
Das Öl zum Feuer tragen
Die edition buchhaus loschwitz, die Buchhandlung und das dort angeschlossene KulturHaus Susanne Dagens und Michael Bormanns, wurden – zumeist ohne eine kenntnisreiche Beschäftigung mit den dort erschienenen Büchern – als Ort (neu)rechten Denkens stigmatisiert und das, bei Lichte besehen, schlicht aus dem Grund, weil Dagen und Bormann sich einer Festlegung auf ein bloß irgendwie links geartetes Denken entziehen und stattdessen einen Ort bieten, der für alle offen ist.
Nicht selten, daß sich an dieser Stigmatisierung Schriftsteller beteiligten. Manchmal sogar mit langen Texten, in denen das BuchHaus und der Verlag edition buchhaus loschwitz mit Wörtern umgeben werden, die nichts als toxische Zuschreibungen sind: rechts, neu-rechts, extremistisch und schlimmer. Ein solches Vorgehen nennt man in einer Art neueren Rotwelschs ›framen‹. Es geschah hierbei nicht selten, daß der sogenannte gebildete Stand wenn schon nicht Öl ins Feuer geschüttet, so doch das Öl wenigstens zum Feuer getragen hat. All das wurde verbrämt mit den Slogans vom Gesichtzeigen, vom Kampf gegen Rechts, ja sogar von Toleranz.
Vor Jahren suchten Loschwitzer Abordnungen eben jenes ‘gebildeten Standes’ Dagen und Bormann in deren Buchhandundlung auf, um sie zur Rede zu stellen und um ihnen anzukündigen, Bücher fortan nicht mehr bei ihnen zu kaufen. Der Grund war, daß Dagen und Bormann 2016 in einem Spiegel-Interview die Dresdner Pegida-Demonstranten nicht verurteilt hatten. Der Spiegel ist für den sogenannten gebildeten Stand eine Quelle des Wissenserwerbs. Eines, wie man sieht, folgenreichen.
Unabhängigkeit macht Abhängigkeit sichtbarer
Dann wurde vor einer Lesung Monika Marons das Loschwitzer BuchHaus mit Hakenkreuzen beschmiert, wohl weil Maron sich migrationskritisch geäußert und in der edition buchhaus loschwitz einen Band mit Essays veröffentlicht hatte. Der ‘gebildete Stand’ von Loschwitz hätte angesichts eines derartigen Widersinns Gelegenheit gehabt, seine Stimme hören zu lassen, denn Marons jüdischer Großvater war von den Nationalsozialisten ermordet worden.
Der Loschwitzer Elbhang aber schwieg. Nein, er schwieg nicht ganz. Zwei seiner Wortführer veranstalteten einen Abend, an dem sie sich mit dem BuchHaus Loschwitz befaßten. Zudem veröffentlichten sie im örtlichen Elbhang-Kurier ihre schweren Bedenken gegenüber Dagen und Bormann und dem Kultur-Ort, der dort außerhalb ihrer Kontrolle existiert und blüht. Und das ganz ohne Subventionen aus den so zahlreichen öffentlichen Förderfonds …
Wirtschaftlich nicht abhängig, damit auch außerhalb ideologischer Engführung, mithin frei – so sollte ein Kultur-Ort doch sein, oder nicht? Unabhängig, was jedoch nicht losgelöst und beziehungslos bedeutet. Ist es das? Wittern hier diejenigen eine Gefahr, die sehr wohl auf materielle und ideologische Förderung aus diversen Programmen angewiesen sind?
Eine Gefahr, die für sie eben darin besteht, daß angesichts von Unabhängigkeit Abhängigkeit umso deutlicher erkennbar wird? Denn diese Förderung ist eben nicht nur Mäzenatentum, das gibt oder Bedingungen schafft, ansonsten aber gewähren läßt. Temps perdu angesichts der Einflußnahmen, deren Schlagwörter fast wöchentlich um ein weiteres ergänzt werden?
Abgründe und Fragmentierungen
Natürlich stellt eine Unabhängigkeit von diesen Räumen des Gehorsams oder zumindest des Wohlverhaltens eben jene Räume grundsätzlich in Frage. Und das ganz ohne etwas gegen sie zu unternehmen, sondern allein durch eine eigene Existenz außerhalb dieser Räume. Weil es eine andere Welt gibt. Eine andere Welt des Denkens, der Kunst und Kunstausübung und Kunstaneignung. Das ist schon immer so gewesen, nur wird das in oppressiveren Zeiten erkenn- und spürbarer als in Zeiten eines einigermaßen satten und unaufgeregten Zeitverlaufs. Wir, das heißt wir alle, unser Gemeinwesen, sind vielleicht noch nicht aus dem Schock heraus, der einsetzte, als wir bemerkten, daß der unaufgeregte Zeitverlauf – wie immer – nur kurz war.
Das „Ende der Geschichte“ nach dem Kalten Krieg und dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa war bloß ein vermeintliches Ende. Geschichte geschieht immer. Die einen versuchen, diesem unweigerlichen Geschehen mit Oppression Gestalt zu geben. Die anderen versuchen, dem auf eine andere Ebene des Denkens, der Kunst, ja, des alltäglichen Lebens zu entkommen. Das Resultat ist, wie wir immer wieder hören, ein gespaltenes Land, ist eine zerrissene Gesellschaft. Das sind jedoch mehr oder weniger hilflose Benennungsversuche für etwas, das viel tiefer reicht …
Die Gewalt, die sich Jahr um Jahr um Jahr von den extremistischen Rändern her weit hinein in unser tägliches Leben ausbreitet, ist möglicherweise nichts weiter als der Ausdruck eines Zerfalls. Das sind keine Risse mehr und keine Spalten. Das sind Abgründe und Fragmentierungen.
Diejenigen, die in der Nacht zum letzten Montag ihr Wurfgeschoß in die Loschwitzer Buchhandlung, den Verlag und das Wohnhaus Susanne Dagens und Michael Bormanns geschleudert und dabei in Kauf genommen haben, daß Menschen nicht nur materiell zu Schaden kommen, verbindet viel mehr mit NSU, islamistischen Terroristen und gewalttätigen Antifa-Gangs, als ihnen vielleicht bewußt ist. Sie alle sind nämlich gleichermaßen Produkte und Produzenten des Zerfalls.
Am Abend des 19. April stehe ich mit Dagen und Bormann zur Betrachtung des Schadens vor dem BuchHaus Loschwitz. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, radelt auf einem Sportrad vorbei. Schwarze Hose, schwarze Jacke, schwarzer Helm. Mir fällt auf, daß sie eine große Übersetzung gewählt hat. „Es stinkt ganz schön“, ruft sie, nun schon aus sicherer Entfernung. „Schöön!“ Lachend radelt sie weiter.
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Jörg Bernig, Jg. 1964, ist Lyriker, Erzähler und Essayist. Im Mai erscheint in der edition buchhaus loschwitz seine Novelle „Der Wehrläufer. Eine Geschichte aus Prag.“
> Wer das BuchHaus Loschwitz bei den Kosten für die Beseitigung des Schadens unterstützen will, finden auf dessen Internetseite die Daten des Spendenkontos.