Die Kirche von Koat-Keo bei Scrignac, an der das Grab Perrots liegt, wurde von James Bouillé errichtet. Bouillé hatte sie 1937 an Stelle einer älteren Kapelle gebaut, die abgerissen werden mußte. Der Stil hat etwas ausgesprochen modernes, aber nichts „internationales“, nimmt vielmehr die bretonische Überlieferung auf. Diese Kombination war typisch für Bouillé und die Künstlergruppe, der er sich nach dem Ersten Weltkrieg angeschlossen hatte: „Seiz Breur“, zu Deutsch: „Sieben Brüder“.
Der Titel nahm Bezug auf eine bretonische Erzählung, die von der Suche eines Mädchens nach seinen Brüdern handelt und in manchem dem deutschen Märchen Die zwölf Brüder ähnelt. Die Malerin und Graphikerin Janne Malivel hatte sich den bis dahin nur mündlich weitergegebenen Text von ihrer Großmutter diktieren lassen und mit Illustrationen versehen.
Ihr Streben danach, die bretonische Kunst aus ihrer Erstarrung und folkloristischen Festlegung zu lösen, wurde maßgeblich für die Seiz Breur, zu deren Gründungsmitgliedern Janne Malivel neben Bouillé und dem Ehepaar René-Yves und Suzanne Creston gehörte. Im Lauf der Zeit kamen noch andere hinzu, der berühmteste dürfte Xavier de Langlais oder Langleiz gewesen sein.
Ästhetische Erneuerung
Der Ansatz von Seiz Breur ging auf eine umfassende ästhetische Erneuerung aus. Man lieferte Entwürfe für Gebäude wie Denkmäler, Plastiken wie Möbel, Wandfresken wie Teppiche, Stoffmuster wie Fayencen, Einbände wie Plakate. Man fertigte kostbare Einzelstücke, Mosaike, Gemälde, Holzschnitte und Zeichnungen, konzipierte aber auch Gebrauchsgraphik oder Firmenschilder. Wer mit offenen Augen durch die Bretagne fährt, wird die beeindruckenden Reste dieses Bemühens um eine „Bretonische Kunst“ immer noch entdecken können, nicht nur in Museen, sondern auch im Alltagsleben.
Viel von dem, was heute als „typisch bretonisch“ im Hinblick auf die Gestaltung gilt – die „Nationalflagge“ Gwenn-ha-du, der Triskel, die keltisierenden Ornamente oder Schriften – geht letztlich auf Seiz Breur zurück. Dabei ist das Spektrum allerdings reduziert, die ursprüngliche Originalität ausgedünnt, alles Experimentelle, die Bezüge auf das Art Déco oder den Kubismus, hat sich verflüchtigt.
Kritik der Linken
Trotzdem kann es sein, daß die Restaurantbesitzerin oder der Antiquar oder die Dame, die die Führung in der Kirche macht, voller Stolz darauf hinweisen, daß dieses oder jenes von einem Künstler der Seiz Breur stammt. Die anhaltende Begeisterung kam auch 2007 in dem Besucheransturm auf die große Retrospektive im Musée de la Bretagne in Rennes zum Ausdruck. Allerdings gab es gleichzeitig Proteste, vor allem aus den Reihen der Linken.
Von „totalitärer“ Kunst war die Rede, die sich dem Faschismus angedient habe. Verfangen hat das nicht, zumal sich der Nationalstolz der Mitglieder von Seiz Breur keineswegs in nur einer Richtung politisch festlegte. Janne Malivel, die sehr jung schon 1926 starb, hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie sich gleichermaßen als Französin wie als Bretonin fühle, dem Prinzip des Föderalismus blieb auch Maurice beziehungsweise Morvan Marchal treu, der den Gwenn-ha-du entworfen hatte.
In der Zeit der Volksfront propagierte er die „Einheit der Linken“ und unterstützte während der deutschen Besetzung die Résistance. Damit gehörte er allerdings zu einer Minderheit unter den Seiz Breur, die sich entweder als Nationalisten verstanden und aktiv für die Selbständigkeit der Bretagne eintraten oder ihre Arbeit aus einem mehr oder weniger unpolitischen Verständnis fortsetzten.
Keltische Seele und Mut zu sich selbst
Daß die Grenze zwischen der einen und der anderen Position nicht ganz scharf zu ziehen war, wird am Beispiel Bouillés deutlich, der sich als Berater der Regierung Pétains lediglich um das Kulturerbe der Bretagne gekümmert hatte, aber im Zuge der „épuration“ – der „Säuberung“ nach dem Sieg der Alliierten in ein Lager verschleppt wurde und an den Haftfolgen im Herbst 1945 verstarb. Dagegen kam jemand wie Langlais fast ungeschoren davon und konnte unmittelbar nach Kriegsende die Vorstellungen von Seiz Breur auf zeitgemäße Weise erneuern.
Bis zu seinem Tod im Sommer 1975 gehörte er zu den berühmtesten Künstlern der Bretagne. Von ihm stammt auch ein programmatischer Text, in dem er die Frage nach dem Wesen einer „bretonischen Kunst“ stellt. Er beantwortete sie dahingehend, daß bretonische Kunst nicht die Kunst jener sei, die in der Bretagne lediglich Inspiration suchten, die sie dann doch eher auf Tahiti fanden – wie Gauguin –, sondern eine Kunst, die aus dem Wesen der keltischen Seele komme und ihren gültigen Ausdruck erst dann finden werde, wenn die Bretonen „den Mut zu sich selbst“ fänden.
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Bisher erschienen:
Bretonische Skizzen I
Bretonische Skizzen II – Ernest Renan
Bretonische Skizzen III
Bretonische Skizzen IV – Comics und Identität
Bretonische Skizzen V
Bretonische Skizzen VI