Wenige Tage vor der 150. Wiederkehr seines Todestages am 29. Januar ist dem „Sänger der Teutschen“ im vorpommerschen Kulturkampf ein so später wie unverhoffter Triumph zuteil geworden. Die mit viel eigenem Getöse und mit breiter medialer wie professoraler Unterstützung von volkspädagogischen Planübererfüllern unter der Parole „Uni ohne Arndt“ vorbereitete studentische „Urabstimmung“ darüber, ob die Greifswalder Universität weiter den Namen Ernst Moritz Arndts (1769–1860) tragen soll, fiel unerwartet deutlich mit 56 zu 44 Prozent zugunsten des hingebungsvoll als „Franzosenhasser“, „völkischer Rassist“ und „Antisemit“ denunzierten „sprachgewaltigsten politischen Schriftstellers Deutschlands im 19. Jahrhundert“ (Hans Kern), „vielleicht der wirksamste deutsche Publizist überhaupt“ (Edith Ennen), aus.
Mit der Abstimmung vom 15. Januar 2010, die vielleicht die allein verbindliche, für den 17. März zu erwartende Entscheidung des Senats der Greifswalder Universität präjudiziert, nähert sich ein zwölfjähriges Hauen und Stechen seinem Ende. Ausgelöst wurde es durch einen Artikel in der linksliberalen Zeit, die als Zentralorgan aller Gegner der Wiedervereinigung 1998 ihr Mütchen an Arndt kühlte, um nachträglich ihren über 1989 hinaus straff eingehaltenen „antideutschen“ Kurs zu rechtfertigen. Denn an Arndt könne man doch erkennen, wie nahe verwandt „Nationalismus“ und „Rassismus“ seien. Und wohin das führe: zum „Führer“ nämlich, wie der Zeit-Sykophant Jörg Schmidt raunte (Die Zeit 46/1998).
An der mit reichlich „Westimporten“ beschickten, 1456 gegründeten altehrwürdigen pommerschen Hochschule fanden sich genügend Claquere, die, nachdem die meisten sich für ein hübsches, „Liberalität“ gestattendes Salär bedenkenlos an eine Ernst-Moritz-Arndt-Universität hatten berufen lassen, am Namen ihres Patrons politisch korrekten Anstoß nahmen. Werner Buchholz, polonophiler Ordinarius für pommersche Landesgeschichte, Hartmut Lutz, Amerikanist und nach eigenem Bekunden in Sachen Arndt „fachlich nicht gerade prädestiniert“, ferner der Napoleon offenbar für einen Menschheitsbeglücker haltende Romanist Reinhard Bach, der aus der Schweiz stammende Skandinavist Walter Baumgartner, der nach 1990 glücklich gewendete, einstige marxistisch-leninistische „Kaderphilosoph“ Hans-Christoph Rauh sowie der Neuhistoriker Thomas Stamm-Kuhlmann – sie bildeten lange die „Speerspitze der professoralen Anti-Arndt-Hetze“ und die Einpeitscher eines neudeutschen Meinungstotalitarismus.
So nahm sie das Häuflein der Arndt-Freunde wahr, die sich um den Vorsitzenden der 1992 gegründeten Arndt-Gesellschaft, den Germanisten Karl-Ewald Tietz, gruppieren. Aktivisten der Pommerschen Historischen Kommission gehören dazu, ebenso der Universitätsarchivar Dirk Alvermann oder der Kirchenhistoriker Irmfried Garbe. Und unter den „Gebildeten“ Greifswalds nicht wenige Autochthone, die sich die zu DDR-Zeiten gepflegte, auf den Propagandisten der „Bauernbefreiung“ und der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft der Befreiungskriege abgestellte Arndt-Tradition nicht von umerzogenen „Westlern“ destruieren lassen möchten.
Buchholz und Lutz hatten 2001 ein Kolloquium veranstaltet, um Arndt „wissenschaftlich“ zu exekutieren und so die Umbenennung zu motivieren (JF 41/01) – ohne Erfolg, so daß der in der gegen Arndt hinlänglich mißgestimmten Ostsee-Zeitung, ehemals SED-Organ an der Küste zwischen Wismar und Usedom, geführte Gazettenkrieg ein Jahrzehnt lang einem drôle de guerre ähnelte, der erst im letzten Sommer mit der Aussicht auf die „Urabstimmung“ wieder etwas spannender wurde.
Der Mann, um den nun schon so lange gestritten wird, bleibt dabei merkwürdig blaß im Hintergrund. Das gilt zwar nicht für die äußeren biographischen Daten, die jedermann jederzeit überblicken kann. An ihnen ist leicht abzulesen, daß der 1769 in Groß Schoritz auf Rügen geborene Sohn eines gerade aus der Leibeigenschaft entlassenen landwirtschaftlichen Inspektors, der als examinierter Theologe zur Geschichte wechselte und einige Jahre an der damals zu Schweden gehörenden Greifswalder Universität dozierte, zur Kohorte „1813“ zählte – also zu den Stein, Schön, Dohna, Humboldt, Scharnhorst, Hardenberg, Gneisenau, Boyen, Süvern, Gruner, die seit 1807 für die innere Reformen in Preußen stehen. Ohne diese Remedur wäre 1813/14 schwerlich die „nationale Erhebung“ gegen den äußeren Feind – der mit Rußland, England und Schweden zusammen gewagte preußische Befreiungskrieg gegen den von Arndt zum „radikalen Bösen“ und „Antichristen“ stilisierten Unterjocher der europäischen Völker, gegen den Imperator Napoleon – gelungen.
Für Arndt sollte der Sieg über den Franzosenkaiser das Tor zur Einheit der Deutschen aufstoßen. Sein Ziel war die „Wiedererschaffung eines deutschen Volkes aus den Völkchen“, die von drei Dutzend „Despoten“, auch seinem Dienstherrn, dem Hohenzollern Friedrich Wilhelm III. (1797–1840), bedrückt wurden. Der schmiegsame Diplomat Talleyrand, der Napoleons Sturz politisch überlebte und der die Grande Nation auf dem Wiener Kongreß wieder als Außenminister vertrat, rechnete Nationalisten wie Arndt daher unter die „Aufrührer, Umstürzler, Jakobiner“: eine Einschätzung, die sich Friedrich Wilhelm III. nach 1815 zu eigen machte.
Kaum hatte Arndt 1818 sich als Professor für Geschichte an der neu gegründeten Universität Bonn etabliert, provozierte seine essayistische, Gedanken- und Pressefreiheit einfordernde Kritik an der polizeistaatlichen Verpanzerung Preußens eine Drohung mit Amtsenthebung. Im Schatten der Karlsbader Beschlüsse eskalierte die Affäre zum 20 Jahre währenden Lehrverbot. 1840 von Friedrich Wilhelm IV. endlich wieder in seine Rechte eingesetzt, fand ein konservativer gewordener Arndt nur noch mühsam Anschluß an den von ihm um 1815 doch zielsicher formulierten „Geist der Zeit“. Auf die – allerdings kleindeutsch begrenzte – Einheit war er als Abgeordneter der Frankfurter Paulskirche immer noch fixiert, aber als Anhänger der konstitutionellen Monarchie entschied er sich gegen radikaldemokratische Experimente und warnte vor den kommunistischen Vorboten der „roten Republik“.
Wer allein sich an diese biographischen Brocken hält, versteht die Exaltationen Greifswalder Studenten und Professoren nur schwer. Doch aus deren Sicht ist ein publizistischer Befreiungskrieger per se ein „Ausländerfeind“. Die Generation der Buchholz, Stamm-Kuhlmann & Co. hat eben verinnerlicht, daß Fremdherrschaft „Befreiung“ ist. Also gestattet, wer wie Arndt nationale Selbstbestimmung predigt, als „fremdenfeindlicher Publizist“ und „Xenophober“ keine „positiven“ Bezugnahmen in der von ihnen zum „Einwandererland“ deklarierten Bundesrepublik.
Damit steht Arndt als einer unter vielen Heroen aus der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht nur quer zum multikulturellen Projekt, erinnert allzu penetrant an historische Alternativen zum Utopismus der kosmopolitischen Geisterfahrer-Generation Merkel. Sondern weitaus schlimmer: Er repräsentiert aus der Optik des opportunistischen „Rückenbückers“ (Arndt) Stamm-Kuhlmann überdies den extrem gefährlichen Typus des „Antisemiten“, wie der entweder ahnungslose oder böswillige Biograph Friedrich Wilhelms III. im Interview mit der Ostsee-Zeitung (Ausgabe von 10. Juli 2009) polemisiert, da sein Vorgänger auf dem Greifswalder Katheder leider „gegen Zuwanderung und Vermischung des deutschen Volkes“ gewesen sei.
Gegen die ahistorische Totschlag-Vokabel „Antisemitismus“ ist hierzulande schwer anzukommen. Auf zeithistorische Kontexte, auf konkrete, sozialhistorisch erhärtbare Anlässe von Arndts Vorbehalten etwa gegen die überproportionale jüdische Beteiligung an der agrarreformerisch induzierten „Güterschlächterei“ oder am Gebaren ostjüdischer „Zuwanderer“ nach 1840 zu verweisen, hülfe nicht – hat Henryk M. Broder doch dekretiert, daß dem „Antisemitismus“, im Gegensatz zum Anti-Islamismus, der mit Terrorismus, Ehrenmorden oder Kinderehen durchaus realen Bedrohungen entspringe, keine Realität entspreche. Judenfeindschaft sei also reines Kopfkino, gespeist aus „Angst, Projektion, Erfindung“ (Die Welt, 13. Januar 2010).
Juden wie Edith Landmann oder Gershom Scholem würden Broder ob solchen Schwachsinns zwar als entsprungenen Narrenhäusler verachten, aber trotzdem ist es ein derart aufs „Moralische“ reduziertes, abstraktes, gegen jeden historischen Einwand immunisiertes Verständnis von „Antisemitismus“, das als Wunderwaffe seit einem Jahrzehnt auch im Kesseltreiben gegen Arndt zum Einsatz kommt.
Dies um so ungehinderter, weil es auch 150 Jahre nach seinem Tod kaum so etwas gibt wie Forschung zu Ernst Moritz Arndt. Vor allem fehlt eine historisch-kritische Ausgabe seiner Werke, so daß der „Geist der Zeit“ heute schon mit einigen Zitatfetzen denunzieren und Eindruck schinden kann. Das Arndt-Jubiläum 2010 böte nicht nur Greifswalder Anstöße, um endlich auf der Basis solide edierter Texte diskutieren zu können.
Foto: Ernst Moritz Arndt. Lithographie von Carl Wildt nach einem Gemälde von Julius Roeting, 1855 abschütteln.Wettbewerbs aus 9,80 Euro.