Jetzt gibt es also „iPad“, einen – in seinen Operationsmöglichkeiten etwas eingeschränkten – Mini-Computer, der in jedes Handtäschchen paßt und nur noch mittels „Touchscreen“ bedient wird (siehe auch Seite 20). Keine „Maus“ mehr, kein Keyboard, nur noch Tastschirm, den man mit dem Finger nur ganz zart antupfen muß, und schon kommt einem die Welt ins Haus, nebst angeschlossener Weltliteratur. Unser Tastsinn wird dadurch ungeheuer aufgewertet.
Aber solche Aufwertung war auch schon lange fällig. Bisher standen das Berühren und Ertasten ja immer im Schatten anderer, „feinerer“, „genauerer“ Sinne, des Sehens, des Hörens. Und dabei liefern sie doch unbestreitbar die erste, die primäre Erfahrung! Leben an seinem Ursprung ist Ertastung. Der Tastsinn ist bei der Geburt der am besten entwickelte, er ist das originäre Scharnier zur Außenwelt und erschafft dadurch erst Innenwelt. Ichbewußtsein kann sich nur im (Tast-)Kontakt mit Äußerlichem herstellen und befestigen.
Ein Baby hat noch gar kein Ich, und um sich dahin aufzubauen, ist es unermüdlich damit beschäftigt, Tastreize zu gewinnen. Es grapscht und tastet, mit den Händchen, mit dem Mund, den Füßen, im Grunde ist sein ganzer Körper ein einziger Tastsinn. Und ist es denn bei Erwachsenen anders? Im Gegensatz zu den übrigen Sinnen ist der Tastsinn nicht auf ein bestimmtes, eng umgrenztes Körperorgan eingeschränkt, auf Auge, Ohr oder Nase. Tastzellen haben wir überall; es gibt keine Stelle, die nicht empfindlich wäre.
Wenn heute im Zeichen digitaler Weltverdoppelung der Tastsinn so weit nach vorne rückt, daß wir eine Sache erst einmal berührt haben müssen, damit wir sie zu sehen und zu hören kriegen, so liegt das ganz in der Natur der Sache. Und in der Natur liegt es auch, daß wir dabei sachte und zielgenau vorgehen müssen, daß wir dazu feine Finger haben müssen.
Solches gilt übrigens nicht nur beim Umgang mit dem iPad, sondern beim Umgang mit der Natur und der Welt überhaupt. Diese ist ein großer Tastschirm, der pfleglich behandelt werden will.