Ein antiislamisches Buch durfte von Ernst Nolte niemand erwarten. Der Geschichtsdenker will auch den Islam und den Islamismus vor allem verstehen, er will wissen, was hinter den Phänomenen aufscheint, wie und warum sie sich zur geschichtsmächtigen Tendenz verdichten.
Den Islamismus definiert er als „den kriegerischen und dogmatischen Aspekt des Islam“, der „isoliert und dann ausschließlich hervorgehoben“ wird, mithin „als den zu seiner eigenen Radikalität gebrachten Islam“. Aus universalhistorischer Perspektive bildet er die „dritte radikale Widerstandsbewegung“, eine „konservative Revolution“ gegen die auflösende Moderne, und tritt damit neben den Bolschewismus und Faschismus. Noltes Argumentation ist hochkomplex, die Kenntnis seiner früheren Werke für das Verständnis von Vorteil. Den „kausalen Nexus“, der Faschismus und Nationalsozialismus als Reaktion auf die kommunistische Bedrohung beschreibt, stellt er hier in einen höheren Zusammenhang, in dem das Gemeinsame beider Ideologien überwiegt.
Laut Nolte war der tiefste Impuls von Marx und Engels (und auch Lenin) der Widerwille an der „Selbstaushöhlung“ und „Selbstentfremdung“ des Menschen in der Industriegesellschaft und ihre Bewunderung für die „Kindlichkeit und Einfachheit“ vormoderner Gesellschaften. Hitler indessen sah Deutschland durch den Sieg der Oktoberrevolution in Rußland einem Zangengriff ausgesetzt: einerseits durch die Demokratie, die auf der Gleichheitsidee basierte und keinen wesentlichen Wertunterschied „zwischen Negern, Ariern, Mongolen und Rothäuten“ (O-Ton Hitler) wahrhaben wollte; andererseits durch den Bolschewismus, der für ihn weniger der Feind als die vergiftete späte Frucht der Demokratie war.
Dank deutscher und amerikanischer Ingenieure sei er auf dem Wege, sich die technischen Errungenschaften der bürgerlichen Welt anzueignen und auf Jahrhunderte eine globale Zukunft zu bestimmen, in der die „weiße Rasse zerstört und beseitigt“ würde. Die unterschiedlichen Gefahren faßte er im Feindbild des „Juden“ zusammen, was insofern „verstehbar“ sei, als Juden im internationalen Wirtschafts- und Finanzwesen, dem Inbegriff kapitalistischer Entfremdung, wie in der kommunistischen Weltbewegung überproportional vertreten waren, worin die Nationalsozialisten eine historische Folgerichtigkeit erblickten: In seinem Buch „Streitpunkte“ (1993) hat Nolte dargelegt, daß die Lehre von der Gleichheit der Menschen und der sozialen Gerechtigkeit nirgendwo „unübersehbarer vollzogen worden (war) als im alten Israel“.
Für das Verhältnis des Westens zum Islam und die Entstehung des Islamismus ist das von unmittelbarer Bedeutung, weil ab Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Zionismus eine Theorie und Praxis an Kraft gewann, deren Ziel die Errichtung eines jüdischen Staates im Heiligen Land war, das längst von Muslimen bewohnt wurde. Nolte zitiert Chaim Weizmann, den langjährigen Präsidenten des Zionistischen Weltkongresses, mit den Worten, England habe besser als die anderen Nationen verstanden, „daß die jüdische Frage, die wie ein Schatten über der Welt hängt, ebensogut eine gewaltige konstruktive Kraft wie ein mächtiges Mittel der Zerstörung werden kann“.
Im Ersten Weltkrieg, der von den Alliierten auch als propagandistischer Kreuzzug im Namen der Demokratie geführt wurde, hatte der britische Außenminister Arthur Balfour am 2. November 1917 das Wohlwollen seiner Regierung gegenüber Plänen erklärt, in Palästina eine „nationale Heimstätte für die Juden“ zu ermöglichen. Nolte meint, diese Balfour-Deklaration habe dem Zweck gedient, die zionistischen Juden gegen die bolschewistischen Juden in Rußland zu stärken, um so sein Abgleiten in die Revolution und sein Ausscheiden aus dem Krieg zu verhindern. Jedenfalls aus Gründen, die dem Europäischen Bürgerkrieg entsprangen, wurde in Kolonialherrenmanier über ein besiedeltes Territorium verfügt und eine bis heute nicht abgerissene Kette von Konflikten mit den Arabern ausgelöst.
Den Zionisten, so Nolte, sei es im Vollgefühl historischen Rechts und kultureller Überlegenheit von Anfang an um den Besitz „von ganz Palästina“ gegangen. Sie hätten an der Auffassung Theodor Herzls festgehalten, Palästina sei „ein Land ohne Volk“ und deshalb für „ein Volk ohne Land“ bestimmt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs, der sowohl ein Zusammenstoß der zwei antimodernen Gegenbewegungen als auch – aus Hitlers Sicht – ein Anrennen gegen die zwei Formen der jüdisch intendierten Moderne bzw. Dekadenz war, standen die Staatsgründung Israels und parallel dazu das anhaltende Palästinenser-Elend.
Seine überlegene Stellung im Nahen Osten verdankt Israel seiner Position als „Einsprengsel“ westlicher Modernität im islamischen Raum. Es ist Symbol und Stellvertreter okzidentaler Dominanz und eine ideologische Führungsmacht des Westens, was eine dritte, islamische „Verteidigungsaggressivität“ ausgelöst hat. Diese speist sich aus politischen, wirtschaftlichen, militärischen Motiven, aber im Kern besteht sie aus einer religiös fundierten Zivilisationskritik am mechanisierten Menschen der westlichen Welt, der von seinen irdischen Zwecken überwältigt worden ist und die religiöse Einbettung verloren hat. Kenntnisreich zeichnet Nolte die Geschichte des Kolonialismus, der Befreiungsbewegungen, der innerarabischen Diskussionen und die Geschichte des Islamismus seit den 1920er Jahren nach.
Ein Bündnis des Islam mit dem nationalsozialistischen Deutschland kam nicht zustande, weil Hitler nicht vom Rassegedanken lassen mochte. Aber auch der atheistischen Sowjetunion gelang es nicht, die Energien der islamischen Welt dauerhaft auf ihre Mühlen zu leiten. Mit der Besetzung Afghanistans 1979, die parallel zur islamischen Revolution des Ajatollah Khomeini im Iran stattfand, war sie in den Augen vieler Muslime offen auf die Seite Israels, der USA und der westlichen Dekadenz getreten.
Über die Qualitäten und Gefahren dieses Gegners läßt Nolte keinen Zweifel. Die Unfähigkeit zur Selbstkritik und die strengen Regeln, die er seinen Anhängern auferlegt, machten den Islam zum „perfekten Totalitarismus, und alle Kritik, die der Westen daran übt, ist töricht, denn als bloße und eigenwillige Individuen können die Menschen keinen Platz in der gottgewollten und harmonischen Weltordnung finden“. Die Auseinandersetzung mit seiner aggressiven Praxis, dem Islamismus, wird sich nach Noltes Überzeugung in nichtstaatlichen und asymmetrischen Formen abspielen, und sie wird die globale Zukunft vielleicht stärker bestimmen „als der Wandel der Machtverhältnisse unter den großen Staaten des 21. Jahrhunderts“. Die islamische Zuwanderung könnte sich „als die zweite und aussichtsreichere Hälfte eines Doppelangriffs der militärisch Schwachen gegen die dekadenten Starken“ erweisen.
Läßt sich mit den Mitteln einer okzidentalen, spekulativen Ideengeschichte das Innere der muslimischen Weltreligion ergründen? Atemlos, fasziniert, von manchen Zweifeln und neuen Fragen bewegt, legt man das Buch des letzten großen Vertreters des deutschen Idealismus aus der Hand.
Ernst Nolte: Die dritte radikale Widerstandsbewegung: der Islamismus. Landt Verlag, Berlin 2009, gebunden, 414 Seiten, 39,90 Euro
Foto: Jüdischer Kindergarten in Palästina 1937: Die Stellvertreter okzidentaler Dominanz haben „Verteidigungsaggressivität“ ausgelöst