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Hitlerjungen für den Kleinkrieg

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Hitlerjungen für den Kleinkrieg

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Konflikte zwischen Staaten, Religionen und Weltanschauungen werden seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehr und mehr zu asymmetrischen Kriegen. Im deutsch-sowjetischen Krieg beispielsweise stand der Wehrmacht von Anfang an nicht nur die Rote Armee gegenüber, sondern – von Jahr zu Jahr zunehmend – eine Partisanenarmee, die verdeckt operierte und sich jenseits des damals geltenden internationalen Völkerrechts bewegte.

Großbritannien bemühte sich, in den von Deutschland besetzten Ländern Partisanengruppen zu bilden, und bediente sich dabei der zu diesem Zweck geschaffenen Special Operations Executive (SOE), die in England Partisanen ausbildete und sie ins jeweilige Land schleuste. Wie Churchill sich ausdrückte, sollten sie „Europa in Brand stecken“. Deutschland griff gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auch zum Kleinkrieg, wie der Partisanenkrieg im Fachjargon damals genannt wurde. Im September 1944 rief der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in seiner Eigenschaft als Befehlshaber des Ersatzheers den Werwolf ins Leben, eine Organisation, die zunächst in den vom Feind besetzten Gebieten aus dem Untergrund Sabotage gegen dessen Nachschub ausüben, später auch gegen Kollaborateure vorgehen sollte.

Der asymmetrische Krieg wucherte über den Zweiten Weltkrieg hinaus weiter wie beim Kampf der Griechen auf Zypern gegen die britische Besatzungsmacht, in Kolonialgebieten gegen die Kolonialherren wie Frankreich und Großbritannien, und selbst die Schweiz bereitete sich für den Fall, daß Europa zum Kriegsschauplatz würde und überlegene Feindkräfte das Land besetzten, auf einen Partisanenkrieg vor (siehe „Der totale Widerstand – Kleinkriegsanleitung für jedermann“, herausgegeben 1958 vom Schweizerischen Unteroffiziersverband). In der Bundesrepublik Deutschland beabsichtigte der US-Geheimdienst 1952, aus antikommunistischen kriegserfahrenen Deutschen Partisaneneinheiten zu bilden, die unter der Tarnung „Bund Deutscher Jugend – Technischer Dienst“ auf amerikanischen Truppenübungsplätzen in Süddeutschland heimlich ausgebildet wurden.

Und auch die Bundesregierung sah in den sechziger Jahren die Gefahr, daß die Warschauer-Pakt-Mächte den verdeckten Kampf nach Westdeutschland tragen könnten, und bereitete sich auf die Abwehr vor („Partisanen im Schwarzwald?“ von Ernst Grimm und mehrere andere einschlägige Handreichungen, die allgemein verbreitet wurden). In der Folgezeit hat der asymmetrische Krieg überall an Boden gewonnen; man denke an den Irak oder an Afghanistan.

Der deutschen Variante, dem Werwolf, widmet der Journalist und fleißige Verfasser von Literatur über die Zeit des Dritten Reiches, Volker Koop (Jahrgang 1945), sein neuestes Buch unter dem Titel „Himmlers letztes Aufgebot“. Gegenüber der bereits 1980 erschienenen Darstellung „Werwolf 1944/1945“ von Arno Rose hat es den Vorteil, daß Koop umfangreiche im Ministerium für Staatssicherheit der DDR gesammelte Dokumente über diese letzte Phase des Zweiten Weltkrieges auswerten konnte. Dadurch hat er zwar das Material bedeutend erweitert, doch bietet sein Buch nichts grundsätzlich Neues über Gründung und Aufbau des „Werwolfs“ oder seine Aktivitäten.

 Federführend für den Werwolf war die Waffen-SS. Sie bemühte sich, aus ihren Reihen im Partisanenkampf erfahrene Soldaten für die Ausbildung der Gruppen einzusetzen. Rekrutiert wurden Werwolf-Kämpfer aus dem später entstandenen Volkssturm, aus den Jahrgängen bis 1928 der Hitler-Jugend, aus der Luftwaffe, aus Jagdverbänden der Wehrmacht. Führer des Werwolfs wurde der SS-Obergruppenführer Hans-Adolf Prützmann.

Die Einheiten sollten sich vom Feind überrollen lassen, um dann durch Attentate auf den Nachschub, auf Wachposten und auf Lager der Alliierten deren Angriffskraft zu verringern. Zudem sollten sie für die kämpfenden Wehrmachtseinheiten die Lage erkunden. Die Verantwortlichen hofften, dadurch den feindlichen Vormarsch aufzuhalten, bis entweder neue Waffen („Wunderwaffen“) einsatzbereit waren oder der nach Ansicht der damaligen Führung unausweichliche Konflikt zwischen den kommunistischen und den kapitalistischen Kräften ausbrechen würde.

Im April 1945 schaltete sich Propagandaminister Joseph Goebbels ein und rief einen Werwolf-Sender ins Leben. Der erweckte den Anschein, als sende er aus den vom Feind besetzten deutschen Gebieten, gab verschlüsselte Weisungen an Werwolf-Gruppen und strahlte Erfolgsberichte aus, die nur zum Teil den Tatsachen entsprachen. Die bei den Alliierten nicht unbeachtet gebliebene  Kampagne zeigte propagandistische Wirkung und führte zu einer Verunsicherung bei den Besatzern. Koop veröffentlicht zum ersten Mal die Sendeprotokolle. Goebbels machte sich keine Illusionen. Nach seinen Worten wende man sich an die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachende Minderheit der Aktivisten, die dann den Rest des Volkes mitreißen würden.

Viel zu spät war mit Planung und Aufbau der deutschen Partisanenarmee begonnen worden. Nicht beachtet wurde der Grundsatz, daß der Kleinkrieg nur Aussicht auf Erfolg hat, wenn er sich auf vorhandene starke Streitkräfte stützen kann. Und man wollte nicht wahrhaben, daß das deutsche Volk zu Tode erschöpft und kriegsmüde war. Eine heute kaum noch verständliche große Zahl vor allem junger Männer stellte sich dennoch dem verzweifelten Kampf des Werwolfs  zur Verfügung.

Unter dem Vorwand, sie hätten dem Werwolf angehört, sperrten die Sowjets nach dem Krieg Zehntausende in Lager, brachten sie um oder verurteilten sie zu Zwangsarbeit. In den meisten Fällen sei der Vorwurf unbegründet gewesen, schreibt Koop. Am 5. Mai 1945 verbot Großadmiral Karl Dönitz in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Wehrmacht den Werwolf.

Der Autor warnt vor einer Mystifizierung oder gar Heroisierung des Werwolfs, die er zu beobachten meint, eine Ansicht, die der Rezensent nicht teilt. Gäbe es nicht die heute offenbar für manche Verfasser unvermeidlichen Verbeugungen vor der politischen Korrektheit, könnte man das Buch als materialreiche Darstellung eines Kapitels der Geschichte empfehlen.

Volker Koop: Himmters letztes Aufgebot. Die NS-Organisation „Werwolf“. Böhlau Verlag, Köln 2008, gebunden, 310 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

Foto: Heinrich Himmler und die Idee der Werwolf-Partisanen: Zehn Prozent sollten den Rest mitreißen

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