Auf den ersten Blick erweckt Tova Reichs Roman „Mein Holocaust“ den Eindruck eines Kinderbuchs. Umrahmt von possierlich geschwungenen Stacheldraht-Schleifchen zieren den comicartigen Einband bunte Spielzeugfiguren mit Kameras, Laptops, Schaufeln und gestreiften KZ-Uniformen. In der Mitte des unteren Randes eine Gestalt im schwarzen Anzug mit weit geöffneten Armen unter einem Torbogen mit einer Aufschrift im „Arbeit macht frei“-Lettering. Das erinnert nicht von ungefähr an das Schockobjekt des polnischen Künstlers Zbigniew Libera, der vor einigen Jahren ein komplett aus Lego-Steinen gebautes KZ präsentierte. Man mag allerdings auch an David Irvings berüchtigtes, mit revisionistischem Zungenschlag vorgetragenes Diktum denken: „Auschwitz ist ein Disneyland für Touristen“. Doch damit nicht genug der Irritationen: „Maurice Messer erkennt ein gutes Produkt, wenn es vor ihm steht“, so heißt es auf der Rückseite des Einbandes, „und seien wir doch einmal ehrlich: Wann schlagen Spenderherzen höher als bei dem Wort Holocaust?“ Besagter Maurice Messer ist ein aus Polen stammender „Holocaust-Überlebender“ und Geschäftsführer einer Firma namens „Holocaust Connections“, ein Familienbetrieb mit „legendärem Erfolg“, in dem auch Messers Sohn Norman tätig ist. Der nach dem Krieg in die USA emigrierte Messer handelte ursprünglich mit Damenunterwäsche, doch dann kam „der Holocaust in Mode“. Die Messers „wurden Anführer der Gruppe der Überlebenden und populäre Redner, die an den einschlägigen Veranstaltungsorten Zeugnis ablegten. Der Holocaust war heiß, keine Frage.“ Mit dem neuen Geschäft war auch die Frage nach der Zukunft des Taugenichts Norman gelöst. Nun wurden Messers mit heftigem Akzent und jiddischen Einsprengseln durchsetzte Geschichten aus dem Krieg immer heroischer ausgeschmückt, so habe er etwa als „Partisan gegen die Nazis“ gekämpft. Die Wahrheit ist, daß „niemand genauer wußte, was Maurice Messer während des Holocaust wirklich getan hatte, außer daß er sich tagsüber in den Wäldern versteckt und nachts Hühner geklaut hatte“. Maurice als Berufs-„Survivor“ und Norman, mit dem Adel der „zweiten Generation“ versehen, „flogen auch stets erster Klasse, denn alles andere wäre unpassend gewesen für Männer wie sie, die so tief durchdrungen waren von einer Geschichte, deren Tragik fast mythisch war, einer Geschichte, die sie von den gewöhnlichen Menschen trennte und die es deshalb erforderte, daß sie auch gesondert saßen. (…) In ihrer Branche hing naturgemäß alles vom Image ab.“ Messers Tochter Nechama (hebräisch für „Trost“) indessen, die Kronprinzessin des Shoah-Imperiums, von Kindheit an mit Holocaust-Märtyrergeschichten gefüttert, ist schockierenderweise zum Christentum übergetreten, um als Nonne in einem Kloster in der Nähe von Auschwitz für die Opfer der Weltgeschichte zu büssen. Messer „mußte sich überlegen, wie er dieses Negativum zu ihrem Vorteil vermarkten, es umwenden konnte …“ Charakterisierungen wie diese sind nur Auftakt zu der wohl bösesten Satire, die jemals zu dem Thema „Holocaust“ erschienen ist. Bis zum bitteren Ende gibt es keine Verschnaufpause in dieser mit Sarkasmus und Wortwitz getränkten Tour de force, die Norman Finkelsteins Kritik an der „Holocaust-Industrie“ auf eine schier unüberbietbare Spitze treibt. Der „Holocaust“ ist für Reichs Protagonisten zum fetischisierten, verkitschten Abziehbild und Schlagwort verkommen, wird als große Trumpfkarte im Spiel um Geld und Macht und nicht zuletzt als politisches Druckmittel mißbraucht: So bezeichnet Maurice Messer das Holocaust Memorial Museum in Washington offen als „a Jewish-power testicle“. Kommerzialisierung und Instrumentalisierung gehen Hand in Hand mit der Mystifizierung des „Holocaust“ zu einer Art Eingeweihten-Religion, die ihren „Überlebenden“ einen priesterartigen, „unvergleichlichen“ Status verleiht. Der Hauptteil des Buches handelt schließlich von dem verzweifelten Kampf der alten Garde des „Shoa-Business“ gegen die Ketzer, die den Holocaust vom jüdischen „Monopol“ befreien wollen. Eine Truppe militanter Abtrünniger, die allesamt aus „Survivor“-Familien stammen und einem kruden Mix aus fernöstlicher Philosophie und hypertropher Opfermystik verfallen sind, besetzt das Holocaust-Museum, um seine „Universalisierung“ zu erzwingen: die „United Holocausts“ sollen unter anderem afroamerikanische, indianische, christliche, tibetanische, schwul-lesbische sowie „Menstruations-“ und „Hühner“-Holocauste umfassen. „Kein Holocaust ist einem anderen überlegen, kein Holocaust verdient eine Sonderbehandlung!“ In ihrem Roman „Mein Holocaust“ hat sich Tova Reich offenbar eine Menge Ekel von der Seele geschrieben, und ihre Abrechnung wiegt um so schwerer, als sie selbst zu den „In-People“ der von ihr grell karikierten Szene gehört. Reichs Ehemann war Direktor des Holocaust Memorial Museum, ehe er aus Protest zurücktrat. Das mag auch einer der Gründe sein, warum der Kopf der Autorin nach Publikation des Romans nicht rollen mußte; im Gegenteil erhielt „Mein Holocaust“ in den USA enthusiastische Kritiken. Die jüdische Schriftstellerin Cynthia Ozick sprach von einem „der tiefschürfendsten politischen Romane des 21. Jahrhunderts“ und verglich ihn mit den Satiren von Swift und Orwell. Für den deutschen Leser mag „Mein Holocaust“ eine besondere Roßkur bedeuten; nach der schneidenden Respektlosigkeit und schreienden Komik des Buches wird man über die hierzulande üblichen Aufregungen um Nazometer-Gepiepse und ähnlichen Nebbich nur mehr müde lächeln können. Tova Reich: Mein Holocaust. Deutsche Verlagsanstalt, München 2008, gebunden, 336 Seiten, 21,95 Euro Roberto Matta, Das Jahr 1944, Öl auf Leinwand: Surreale Roßkur