Als „Juwel einer idyllischen Dorfkirche“ wurde die St. Annen-Kirche in Berlin-Dahlem seinerzeit als „eine der schönsten und interessantesten Dorfkirchen in der Umgebung Berlins“ gefeiert. Auch in unseren Tagen hat sie nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Sie ist für Taufen, Trauungen und Trauerfeiern begehrt. In der Zeit des Dritten Reichs wurde sie besonders durch die Predigten ihres Pfarrers Martin Niemöller bekannt, der als „persönlicher Gefangener des Führers“ am 1. Juli 1937 ins Konzentrationslager kam. In St. Annen fanden nach seiner Verhaftung Morgenandachten und tägliche Abendgebete für die verhafteten Mitglieder der Bekennenden Kirche statt. Ebenso wie die Gosner-Mission in Berlin-Friedenau nahm sich die Gemeinde von St. Annen auch der zahlreichen Sternträger an. Während die Deutschen Christen vom Reichskirchenministerium das Anbringen von Verbotstafeln „Juden haben keinen Zutritt“ für alle Kirchen forderten, lehnten die beiden erwähnten evangelischen Gemeinden dies ab, da es „mit dem Geiste Jesu Christi und der Lehre der Kirche in Widerspruch steht“. Die Hilfsbereitschaft evangelischer Christen für die Juden war um so bewundernswerter, als ihnen im Gegensatz zu den Katholiken keine Rückendeckung ihrer Kirche zuteil wurde. Es trifft zu, was Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder in ihrem umfangreichen Werk „Juden-Christen-Deutsche“, das im vergangenen Jahr erschienen ist, mit zahlreichen Beispielen belegten, daß „von den staatsloyal orientierten (evangelischen) Kirchenleitungen keine Unterstützung zu erwarten war“. Der evangelische Landesbischof Theophil Wurm erklärte zur Forderung der Deutschen Christen, getaufte Juden von den Gottesdiensten auszuschließen: „Vom Evangelium her ist der Ausschluß getaufter Juden nicht zu rechtfertigen.“ Exemplarisch für die Hilfsbereitschaft evangelischer Christen, die von der Verfolgung der Juden genauere Kenntnis hatte, war die evangelische „Pfarrhauskette“ in Württemberg. In mehr als 60 Pfarrhäusern wurden Juden durchgeschleust, womit die Pfarrer nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Familien gefährdeten. Denen, die Juden versteckten, drohte die Todesstrafe. Es hätte nahegelegen, diese stillen Helden mit einer entsprechenden Gedenktafel zu würdigen. Statt dessen verfiel die Gemeinde auf die unselige Idee, im Altarraum der Kirche ein Triptychon von Doris Pollatschek für Auschwitz anzubringen, das den Schrecken des Holocaust darstellen soll. Im hierzu verfaßten Faltblatt heißt es: „Nicht den Terror des Holocaust will die Künstlerin primär zeigen, sondern das Nichtstun der Kirche. Deshalb bettet sie die Szenen fest in die christliche Bildsprache … Natürlich wird in diesen Bildern nicht Christus gegeißelt, sondern ein Jude mit der Torarolle unter seinem Mantel. Nicht Christus wird gekreuzigt, sondern ein Jude (mit einem Judenstern auf der Brust), dessen Verbrechen es nicht war, König der Juden zu sein, sondern Jude. Und nicht Christus wird begraben, um in drei Tagen aufzuerstehen, sondern die Leiche wird vernichtet.“ Von der Fragwürdigkeit der Darstellung und ihrer eigenwilligen Interpretation einmal abgesehen, stellt die Erläuterung der Bildmotive eine grobe Geschichtsfälschung dar und ist zugleich ein Tiefschlag gegen die Ökumene, wenn es im Faltblatt heißt: „Die Stelle der jüdischen Priester nehmen hier christliche Geistliche ein – ein Bischof, ein Pfarrer und ein Pater … Sie sind nicht einmal betroffen, als ein Unschuldiger den gleichen Tod wie Christus erleidet …. es ist eine Darstellung des Versagens der Kirche, der einzelnen Christen und des Christentums in der Zeit der Judenvernichtung …“ Mit den dargestellten Männern unter dem Kreuz ist zweifellos die katholische Kirche gemeint. Seit Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ werden vor allem Papst Pius XII. und die katholische Kirche als Mitschuldige am Holocaust dargestellt. Die Realität sieht freilich ganz anders aus. Der 1997 verstorbene jüdische Theologe und Historiker Pinchas E Lapide wies in seinem „Anti-Hochhuth-Buch“ „Rom und die Juden“ – das für gewöhnlich totgeschwiegen wird – nach, daß die katholische Kirche unter dem Pontifikat von Pius XII. weit mehr Juden gerettet hat als „alle anderen Kirchen, religiösen Einrichtungen und Hilfsorganisationen zusammengenommen“. Im Gegensatz zu den Deutschen Christen wurde in keiner katholischen Kirche nichtarischen Gläubigen der Zutritt zu Gottesdiensten versagt. In Berlin dürfte noch der Dompropst Bernhard Lichtenberg in Erinnerung sein, der allabendlich bis zu seiner Verhaftung in der Hedwigskathedrale für die verfolgten Juden betete. Thomas Mann und Max Horkheimer, beide nicht gerade Freunde der katholischen Kirche, ließen nach 1945 untersuchen, wer den Juden in Deutschland am meisten geholfen hat. In einem Spiegel-Interview zeigten sie sich überrascht, „daß gläubige Katholiken die größte Bereitschaft zeigten, den Verfolgten zu helfen“. Albert Einstein, bekanntlich Jude wie Horkheimer, schrieb am 23. Dezember 1940 im Time-Magazin: „Nur die katholische Kirche widersetzte sich vollständig Hitlers Kampagne, die die Wahrheit unterdrücken sollte. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Kirche, jetzt aber fühle ich eine große Liebe und Bewunderung für sie, denn nur sie hatte den Mut und die Ausdauer, die intellektuelle Wahrheit und moralische Freiheit zu verteidigen. Ich sehe mich daher verpflichtet zu bekennen, daß ich das, was ich früher verachtete habe, jetzt ohne Reserve lobe.“ Der Sonderbotschaft Präsident Franklin Roosevelts beim Heiligen Stuhl, Myron Tayler, wurde am 3. August 1944 von Roosevelt beauftragt, „Seiner Heiligkeit meine tiefe Anerkennung auszudrücken für die vom Hl. Stuhl aus eigener Initiative unternommene leidenschaftliche Aktion, den Opfern rassischer und religiöser Verfolgung hochherzig und energisch beizustehen“. Die Gemeinde St. Annen sollte das Triptychon der Asservatenkammer der Kriminalpolizei als Paradebeispiel gezielter Geschichtsfälschung überlassen. Foto: Triptychon für Ausschwitz von Doris Pollatschek, Jerusalem (1991)