Manche mögen Wagner. Manche mögen Wagner nicht. Und manche mögen Wagner, solange niemand singt. Letzterer Klientel kommen Plattenproduzenten gelegentlich entgegen, was aber nicht zwingend auf eine weitere Scheibe mit Ouvertüren, Vorspielen und Nibelungen-Fundstücke hinauslaufen muß. So unternahm der Dirigent Edo de Waart vor einigen Jahren mit der Niederländischen Radiophilharmonie auf drei CDs eine „musikalische Erlebnisreise“ durch Wagners Werk, garantiert sängerfrei und musikalisch jeweils auf ansehnliche Stundenlänge arrangiert von Henk de Vlieger. Einen entspannten und undogmatischen Umgang mit dem Repertoire legt auch Albrecht Mayer an den Tag. Der Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker hat es gelegentlich auf vokale Perlen des Barock abgesehen, bei denen er die Sänger in Urlaub schickt und statt dessen seine Oboe (aber auch eine Oboe d’Amore oder ein Englischhorn) aus dem Köfferchen packt. Als Mayer vor drei Jahren auf diese Weise im Bach’schen uvre wilderte, verkauften sich diese „Lieder ohne Worte“ ganz wunderbar. Doch ob solchen Frevels an Heiligtümern deutscher Tonkunst raufte sich die Kritik die Haare und witterte den schlimmsten Angriff auf die sakrosankte Unberührbarkeit des Originals, seit Transkriptions-Altvater Leopold Stokowski seine ebenso populären wie romantisierenden Orchesterbrummer der Orgelwerke des Thomaskantors einrichtete. Jetzt hat Albrecht Mayer erneut zugeschlagen: „New Seasons“, prangt auf dem Titel des Begleitheftchens dieser CD. Dahinter verbergen sich vor allem Arien aus der Feder von Georg Friedrich Händel, die der Interpret in verschiedenen Opern, Oratorien und Kantaten eingesammelt und nach dem Vorbild von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu einem Zyklus von vier Solokonzerten zusammengeschnürt hat. Als weitere Quelle für seine Bearbeitungen griff Mayer beim einen oder anderen Satz aus Händels Orgelkonzerten zu. Die Anordnung als „Neue Jahreszeiten“ mag populistisch (und vor allem der Verkaufsförderung geschuldet) deuchen, gibt den 23 Händel-Häppchen aber eine sinnvolle Struktur. Wer Mayers Begleittexte beherzigt, kann in der Tat über Sommer, Herbst und Winter frühlingshafte Gefühle beim Hören entwickeln. Allemal hat man sich zur Dramaturgie dieser Einspielung Gedanken gemacht. Es riecht nach Absicht, daß einige typische Händel-Schlager (etwa das berüchtigte „Largo“ aus „Serse“ oder die seelen- und seufzerreiche Arie „Lascia ch’io pianga“ aus „Rinaldo“) nicht in die vier frischgebackenen „Konzerte“ eingebaut wurden – jener Stücke Popularität allein würde die anderen „Sätze“ hörpsychologisch schon ins Hintertreffen geraten lassen. Mayer stellte sie als Einzelwerke zwischen seine „Jahreszeitenkonzerte“ – so bilden sie klare Trennlinien und garantieren auch jenen Hörern ab und an das aufmunternde „Kenn ich doch“-Gefühl, denen Händels Vokalwerk eher wenig vertraut ist. Was diese „New Seasons“ vor vielen anderen Klassikbearbeitungen auszeichnet, die gleichfalls – seien wir ehrlich – auf Erfolge an der Ladentheke schielen, ist der unbedingte Kunsternst, mit dem Mayer und die Sinfonia Varsovia das Projekt anpackten. Diese Bläser-Capricen stellen nicht nur keine billig aufgezogene Crossover-Peinlichkeit unter Verwurstung der herzschmerzallerliebsten Klassikstückchen dar, sondern warten vielmehr mit einem Interpreten auf, der Meister in seinem Fach ist. Wenn Mayer etwa seine Oboe d’Amore in der Arie „Verdi prati“ aus „Alcina“ ohne billige Tricks (künstliche Halleffekte und anderes) zum Singen bringt, dann darf man sich in der Tat zum Träumen verführen und anrühren lassen, denn die Leistung, die dahintersteckt, ist ehrliches Handwerk und ehrbare Kunst.