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Pankraz, der Bundeskanzler und das Einsteinjahr

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Pankraz, der Bundeskanzler und das Einsteinjahr

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Die öffentlichen Feiern zum sogenannten Einsteinjahr hierzulande gehören eindeutig in die Sparte "Popkultur", liefern lediglich Anlaß für Politiker, sich wichtig zu machen und alberne Reden zu halten. Dabei wird einem fatal bewußt: Auch Einsteins Theorien selbst sind schon seit längerem zu einer Art höherer Folklore geworden, Anekdotenkram, der kaum noch etwas mit moderner Physik zu tun hat.

Diese ist heute, was ihre praktische Seite anlangt, in erster Linie Festkörperphysik, welche ganz ohne Relativitätslehre auskommt. Und Philosophen interessieren sich, was Physik betrifft, nur noch für Quantenphysik, also gerade für das, was Einstein nicht mochte. Ihm bereitete es Pein, daß die Naturvorgänge laut Quantentheorie durch unsere Beobachtungen und Experimente verändert werden, wir also keine "objektive", sondern nur eine statistische Erkenntnis von ihnen gewinnen können. "Gott würfelt nicht", sagte Einstein treuherzig. Das mag so sein, aber wir können es nie und nimmer verifizieren.

Wie steht es mit der Relativitätstheorie im engeren Sinne? Daß Raum und Zeit keine von der übrigen Natur losgelösten Phänomene sind, in denen sich alles "abspielt", ohne daß sie sich selbst dabei verändern, haben bereits Leibniz und Christian Huygehns und Kant, jeder auf seine Weise, gegen Newton ins Feld geführt. Einstein war hier so etwas wie der Schlußstein einer langen Gedankenentwicklung, er lieferte die mathematische Formel für die Anti-Newtonianer und erntete dafür Ruhm. Eine Sache ist nun einmal in den Augen vieler erst dann unter Dach und Fach, wenn ihr eine mathematische Formel verpaßt worden ist. Erst dann darf sie, so glaubt oder glaubte man, guten Gewissens im Archiv des Wissens abgelegt werden.

Allmählich ändert sich diese Einstellung freilich. Denn das Buch der Natur, so kommt immer klarer heraus, ist nicht, wie einst Kepler deklarierte, "in Zahlen geschrieben". Der Kosmos der Zahlen, also die Mathematik, liefert keineswegs den Schlüssel zu definitiver Welterkenntnis, nicht einmal den Schlüssel zu widerspruchsfreiem Denken. Seit Kurt Gödels spektakulären Einsichten wissen wir, daß alle formalen Systeme und mithin die Mathematik in unentscheidbare Probleme hineinführen.

Mathematik als Lehre von den Zahlen und den geometrischen Ord­nungsbeziehungen ist an sich praktische Hilfs- und Lebenswissen­schaft. Die sogenannte reine Mathematik (Zahlentheorie, Kom­binatorik, Gruppentheorie, Topologie usw.) zeitigt schöne, witzige Gedankenpointen, doch wenn ihre Gleichungen (was sehr oft der Fall ist) nicht in unser naturgegebenes Anschauungs- und Überlebenssystem hineinpassen, wird sie zu einem bloßen Glasper­lenspiel zur Unterhaltung exklusiver Geister, vergleichbar der japanischen Netsuke-Handschmeichelei. Zu behaupten, es würden dabei "wahre" Aussagen, beispielsweise über die Tiefen des Kosmos, getroffen, ist allzu verwegen, weil unbeweisbar.

Was ist ein Beweis? Die Übereinstimmung einer Behauptung (Berechnung, Formulierung, Modellierung) mit primärer, lebenspraktischer und verallgemeinerbarer Erfahrung, wobei "Erfahrung" das ganze Spektrum sichtbarer oder sonstwie wahrnehmbarer Tatbestände umfaßt. Beweise, die von der mathematisierten Physik oder Kosmologie offeriert werden, erfüllen diese Voraussetzung nicht oder allenfalls hin und wieder im Nahbereich. Meistens "beweist" man nur, was man vorher als bereits "bewiesen" in die zu beweisende Sache hineingesteckt hat. Es gibt keine sinnliche, mit Erfahrung gesättigte Überprüfungs- und Revisionsinstanz.

Der Beweis für die von Einstein prognostizierte Ablenkung von Lichtstrahlen durch Masseeinwirkung ließ sich 1919 bei Beobachtung einer damaligen Sonnenfinsternis noch halbwegs erfahrungskonform erbringen – spätere "Beweise" blieben in bloßer mathematischer Gleichungs-Gymnastik stecken, oder sie erforderten (siehe den mit dem Nobelpreis dekorierten "Beweis" der sogenannten Bose-Einstein-Kondensation im Jahre 1995) einen derart komplizierten, ganz speziell auf den zu erbringenden Beweis zugeschnittenen Experimentaufbau, daß dabei die Glaubwürdigkeit von vornherein auf der Strecke blieb.

Unter der Last solcher "Beweise" verwandelt sich die Physik immer mehr genau in das, wogegen sie in alten Zeiten mit aufklärerischem Pathos angetreten war: in Magie, Schamanentum, Gespensterbeschwörung. Man registriert kosmische Energien, die vor Milliarden von Lichtjahren eine Rolle im Weltraum gespielt haben sollen, und "verwandelt" sie zwecks Veranschaulichung in "Fehlfarbtabellen". Man läßt "Teilchen", die angeblich "am Rand des Universums" tanzen, unmittelbar kommunizieren mit "Teilchen", die "am entgegengesetzten Rand des Universums" tanzen, und läßt die "verschiedenen Universen" sich "gegenseitig durchdringen". Tanz der Vampire.

Und als Pointe nimmt man sich Einsteins Sehnsuchtstopos von der "Weltformel" zur Brust und deklariert, man könne – juchhe! – zu dieser herrlichen Formel durchstoßen, indem man die "Urmaterie" zu einem "Multiversum" aus dreizehn-dimensionalen, membranenhaft bibbernden, makkaroniähnlichen "Strings" von der Größe eines quadrillionstel Millimeters umrechnet.

Ebensogut, meinte kürzlich ein ernsthafter Spaßvogel, könnte man "unser" Weltall zu einem abge­schnitzten Kienspan vom hölzernen Deckel einer einige Quinquil­lionen Quadratkilometer großen Superlatrine umrechnen. Man hätte dann keinen Deut weniger recht als die eifrig rechnenden Superstring-Genies, die sich so sehr nach dem Physik-Nobelpreis sehnen. Und man würde endlich einmal einen ordentlichen Beitrag zum Einsteinjahr 2005 leisten, einen ordentlicheren jedenfalls als der deutsche Bundeskanzler mit seiner Rede zur Eröffnung desselben.

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