Internationale Künstler, Aktivisten, Kuratoren und Theoretiker waren Mitte Januar zur Klartext-Konferenz im Künstlerhaus Bethanien in Berlin eingeladen, um über den Status des Politischen in aktueller Kunst und Kultur sowohl zu berichten als auch zu diskutieren. Die Abschlußdiskussion fand in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz statt.
Müssen eigentlich Kunst und Politik im Widerspruch zueinander stehen? Traditionell beharrt die moderne Kunst zwar auf ihren autonomen Freiraum, sie erhebt allerdings auch Ansprüche auf gesellschaftlich und politisch relevantes Engagement. Geht es dann wirklich um eine Politisierung der Kunst oder um eine Ästhetisierung politischer Themen? Kann sich Kunst als Widerstand artikulieren? Wogegen richtet sich dieser Widerstand? Kann Kunst wirklich an der politischen und sozialen Realität etwas ändern? Diese Fragen sollten den Diskurs der Konferenz bestimmen.
Befindet sich die Position der Kunst außerhalb eines Konsenses, der den Rahmen bildet, ist sie politisch. Deswegen könne politische Kunst potentiell Grenzen verschieben, so Jacques Rancière, der von 1969 bis 2000 als Professor für Ästhetik und Politik an der Universität Paris lehrte. Es herrsche außerdem ein auffallender Hunger nach Aktivismus vor. Kunst müsse Kritik am demokratischen Konsens üben und fiktiv, im Sinne einer Neuerzählung, wirken, die reale Wege erzeugen kann. Insofern stelle die Beziehung zwischen Politik und Kunst keinen klaren Antagonismus dar.
Chantal Mouffe, Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London, griff diesen Aspekt auf, indem sie klarmachte, daß die einzigen, die unseren demokratischen Konsens anfechten, die rechtspolitischen Parteien seien. Kunst müsse ebenfalls die dominierende Narrative angreifen und Visionen neuer Welten entwerfen. Der Neoliberalismus als eine regulierende Form des Kapitalismus werde als Schicksal rezipiert und nicht als hegemoniale Praxis erkannt. Was in der Kunst vermieden werden müsse, so Chantal Mouffe, seien moralistische Aktionen und eine Kunst der Transgressionen. In einer postpolitischen Gesellschaft, in der sich Rechts und Links als überholte Positionen darstellen, zeige sich die Politik im Kleid der Moral von Gut und Böse. Bedenklich sei außerdem die Fetischisierung der reinen aktivistischen Gesten.
Irit Rogoff, Professorin für Kunstgeschichte/visuelle Kultur am Gold-smith College in London, kritisierte die zeitgenössische Kunst der Analyse und Aufdeckung, die ein Danach völlig offenließe. Die ideologischen Kollektive der Künstler müßten ontologische Gemeinschaften werden, die nichts gemeinsam haben, jedoch etwas Gemeinsames darstellen. So wie das Politische schon immer Kunst und Kultur prägte, so müsse es auch die Kunst schaffen, das Politische zu prägen.
Zeitgenössische Kunst sei tendenziell politisch links, konstatierte Holger Kube Ventura, Programm-Koordinator bei der Kulturstiftung des Bundes in Halle. Sie sorgte in der Vergangenheit für eine Verbreitung marginaler Themen mit nur geringem Störfaktor. Politische Kunst sei in diesem Sinne nicht mehr ausreichend. Zu oft zeige sich Kunst als Ersatzhandlung für politische Mängel, quasi als soziale Dienstleistung. Postideologisch, mißverständlich und ambivalent solle unabhängige Kunst sein. Diese Autonomie müsse den Anspruch auf Erfolg und Anerkennung sowohl im finanziellen als auch im politischen Bereich überwinden, ohne sich dadurch als Heroismus der Enttäuschung abzubilden.
Die Erkenntnis, daß auch eine Affirmation und das Prinzip der Überidentifikation (wie es damals bei dem NSK-Projekt Laibach in Jugoslawien funktionierte) als Kritik der bestehenden Verhältnisse heute nicht mehr funktioniert, belegt das Beispiel der "Yes Men"-Gruppe aus New York.
Als "Identity Correction" (Identitätskorrektur) betrachten sie ihre Arbeit, wenn sie in die Rolle der Gemeinwohlstörer schlüpfen und als Pressesprecher eines transnationalen Chemiekonzerns oder als Vertreter der Welthandelsorganisation auftreten und damit sogar die BBC zu täuschen vermögen. Auch auf einer Tour durch die USA als Wahlhelfer für George W. Bush konnte keine noch so überzeichnete Übertreibung das Mißtrauen im Publikum wecken. In einigen Experimenten war vielmehr das Gegenteil der Fall.
Anita Di Bianco aus New York benutzt die Strategie der Re-Appropriation in dem Zeitungsprojekt "Corrections and Clarifications", in dem sie gesammelte Falschmeldungen entlarvt und dadurch Absichten und Hintergründe aufzeigt.
Die spanische Gruppe "Yomango" ("Ich klaue") erprobt in ihren Hochglanz-Broschüren und Videos, die das geschickte Klauen von Waren aus Supermärkten erklären, übliche Strategien des zivilen Ungehorsams. Im Sinne des Leitspruchs "Reclaim the streets" entstellt die Gruppe bekannte Werbeanzeigen mit dem Ziel, das Kapital vom Schutzraum der Kunst aus zu sabotieren.
Um das Mißbrauchen bzw. Kopieren von Machtstrategien geht es auch der argentinischen Grupo de Arte Callejero, die Verkehrszeichen verändert, um auf Täter und Taten der Militärdiktatur hinzuweisen.
Die Bestandsaufnahme künstlerischer Strategien dieser Konferenz zeigte, daß politische Kunst meistens nicht mehr als raffinierte Analysen und Einblicke bietet. Aber sie zeigte auch: Solange politische Kunst ideologisch und moralistisch ist, solange das, was neu sein will, in der Tradition des alten Konsens steht, liefern wir uns einer fatalen Ohnmacht aus.