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Romantisch

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So haben wir uns das Romantische in der Musik immer schon vorgestellt: Das wabert und loht und schmeckt wie schwerer Rotwein vor herzblutroten Sonnenuntergängen, die gar nicht mehr aufhören wollen. Eine einstimmige, machtvoll intonierte Auftaktfigur treibt in immer neuen Anläufen durch immer neue Gefühlslagen und Tonarten Haupt- und Seitenthema aus sich heraus. Die hetzen den Quintenzirkel hinauf und hinab, nehmen mannigfaltige Lokalfarben und Gestalten an, damit sich so etwas wie ein Sonatenhauptsatz herstelle, der erst das Thema zum Einfall adeln würde, weil er einlöste, was der Einfall von seinem Schöpfer zu tun verlangt. Tonalität nämlich, also das Bezugssystem von Tönen und Akkorden auf einen Zentralton oder Grundakkord, gilt Wilhelm Furtwängler als „das strukturbildende Element, das dem Musikstück zur ‚Gestalt‘ verhilft, ihm ermöglicht, Anfang, Durchgang und Ende aus sich selbst zu entwickeln“. Als „lebendiger Träger einer organischen Funktion“ könne sich Tonalität gar nicht abnutzen. Während Zeitgenossen Furtwänglers, die mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen komponieren, das musikalische Formproblem zu lösen suchen, indem sie auf die „klassischen“ großen Formen der Instrumentalmusik zurückgreifen, sucht Furtwängler zu ebendiesen Formen durch das „organische“ Auskomponieren seiner Themen zu kommen. Das Ganze muß aus sich heraus erwachsen. Von den titanischen Anstrengungen, die das erfordert, zeugen nicht allein die langen Produktionszeiten, sondern vor allem die Überlängen seiner Kompositionen. Mehr als zwanzig Jahre, von 1912 bis 1935, hat Furtwängler gebraucht, um sein Streichquintett C-Dur zu komponieren, und mehr als achtzig Minuten braucht das Clarens Quintett, um es zu spielen (TACET 119). Ein solches Ausnahmewerk ist wohl nur zu stemmen, wenn sich die Ausführenden voll und ganz mit ihm identifizieren, vielleicht sogar überidentifizieren. Wer das Ganze will, muß aufs Ganze gehen. Souverän exerzieren Gernot Süßmuth (1. Violine), Eva Schönweiß (2. Violine), Felix Schwartz (Viola), Andreas Greger (Cello) und Sebastian Krahnert (Klavier) alle orchestralen Möglichkeiten durch, die im Zusammenspiel der fünf Soloinstrumente liegen – noch in den weltverlorensten Passagen des wunderbar leise und lange ausschwingenden Mittelsatzes, eines Adagio, wirkt das Werk wie eine symphonische Dichtung, für Kammerensemble bearbeitet. Das hochexpressive Zusammenspiel der fünf Musiker klingt weniger nach dialogischem Miteinander als vielmehr nach verfünffachtem Monolog. Hier spricht Furtwängler von seinen Illusionen, Träumen, Ahnungen. Hier sucht ein Romantiker, der sich die Bezeichnung immer als Ehrentitel zugute hielt, nicht etwa eine gründlich überlebte Romantik des 19. Jahrhunderts wiederherzustellen, sondern seine Hörer für das ganze Leben aufzuschließen, für Liebe, Wärme, Fülle, Sinnlichkeit, Überschwang. Die sich dem verschließen, die gelten Furtwängler als „die eigentlichen Romantiker, das heißt: Menschen, die aus einer ganz-menschlichen Wirklichkeit flüchten: in unserem Fall in eine Welt unfruchtbarer intellektueller Illusionen“. Ihrer Wirklichkeitsflucht tritt Furtwängler entgegen. Als großangelegter Versuch, die Illusion einer „Welt ohne Romantik“ zu zerstören, ist die Musik seines Streichquintetts nahe, viel zu nahe daran, in die eigene Parodie umzukippen. Davor bewahrt sie die unbedingte Wahrhaftigkeit Furtwänglers, der über das Dirigieren doch nie das Eigentliche aus den Augen verloren hatte: das Komponieren. Am 30. November jährt sich sein Todestag zum fünfzigsten Mal, aber das ist eigentlich gar nicht wichtig.

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