Einer, der es wissen mußte, nämlich was das totalitäre Prinzip bedeute, Roland Freisler, verkündete lapidar, eines hätten Nationalsozialismus und Christentum gemeinsam: Sie forderten den ganzen Menschen. Wäre unsere Wahrnehmung nicht anderweitig okkupiert, uns stünde das Leiden von Christen im Dritten Reich klarer vor Augen. Allein in Dachau starben 800 katholische Geistliche. Am Ende dieser Blutspur steht einer, auf Geheiß eben jenes Freisler ermordet: der Jesuitenpater Alfred Delp, der am 2. Februar 1945 in Plötzensee starb. War Delps Verwicklung in den 20. Juli auch nur peripher, spricht das tief berührende Zeugnis eines großen Mannes im Glauben für sich. War er nach 1945 somit nicht der „politische Held“, so war er ein mutiger und weitherziger Intellektueller, der als seltener Streiter die Auseinandersetzung mit dem Regime wagte. Alfred Delp wurde am 15. September 1907 in Mannheim als Sohn eines protestantischen Kaufmanns geboren und von seiner katholischen Mutter im kirchlichen Glauben getauft und erzogen. Freilich wurde der Junge nach evangelischem Schulbesuch 1921 zunächst konfirmiert, bis er sich selbst endgültig der katholischen Kirche zuwandte, um noch im selben Jahr gefirmt zu werden. Bis zum Abitur 1926 gehörte Delp der katholisch bündischen Jugend an, dem 1919 gegründeten „Neudeutschland“. Der 19jährige faßt den Entschluß, Jesuit zu werden. So sollte nun das Ordensleben seine nächsten Jahre prägen. Nach ihrer Vertreibung im Kulturkampf 1872 war die Gesellschaft Jesu erst seit 1917 wieder zugelassen und erhielt großen Zulauf. Die Zahl der Ordensangehörigen stieg zwischen 1900 bis 1964 von 15.000 auf 36.000. Delp begann den Studiengang mit einem zweijährigen Noviziat in Tisis/Vorarlberg. Es folgte 1928 bis 1931 das Philosophiestudium im Berchmanskolleg Pullach. In diese Zeit fiel die aufwühlende Begegnung mit Heidegger: „Sein und Zeit“ war 1927 erschienen. Seit 1928 vertiefte sich Delp in das Werk, um seine Überlegungen 1935 in seinem Erstlingswerk „Tragische Existenz“ – Auftakt der katholischen Heidegger-Rezeption – mitzuteilen. Dort entwickelt er eine Geschichtsphilosophie der Neuzeit: Entfremdung und Seinszerfall der mittelalterlichen Seinsordnung von Luther bis Kant. Denker wie Kierkegaard, Nietzsche, Simmel und Scheler führen auf die moderne Existenzphilosophie, angesichts deren der Autor fragt: „Verfällt das moderne Dasein weiterhin, oder wird einer aufstehen, der es meistert?“ Er untersucht Heideggers Analytik des menschlichen Daseins, welches, sich sorgend, vorläuft zum Tod, um von daher seine Verfallenheit zu durchbrechen, entschlossen nun, es selbst zu sein. Delp zielt auf das Woher des Umkehrimpulses, sein Befund lautet kritisch: Heideggers Konzeption bleibe „innerweltlich“. Die endliche Seinsweise „nach keiner Richtung positiv über sich hinaus – starrt nur nach unten in das Nichts, aus dem es allein ‚verstehbar‘ wird.“ Diese „theologische“ Deutung hat die Kritik gewichtiger Heidegger-Kenner provoziert, etwa Rahners. Sie erkannten Delps wesentlich kulturkritisches und anthropologisches Interesse, das von Zeitfragen ausging und Heideggers hochabstrakte Fundamentalontologie „weltanschaulich“ verkürze. 1931-34 ist Delp Präfekt an der „Stella Matutina“ in Feldkirch, seit Herbst 1934 widmet er sich dem eigentlichen Theologiestudium am Ignatiuskolleg in Valkenburg/Holland. Nach dem akademischen Abschluß in St. Georgen/Frankfurt wird er Sommer 1937 von Kardinal Michael Faulhaber in München geweiht. 1939 trat Delp als Redakteur für soziale Themen in die Schriftleitung der Münchner Stimmen der Zeit ein. Seine Beiträge bis 1941 schließen sich an die Predigten des Jahres 1936 an. Der für Zeitfragen sensible Geist und existenzphilosophisch versierte Anthropologe wendet sich dem Weltanschauungskampf zu. Unpolemisch sucht er dabei zunächst einen konstruktiven Dialog mit dem neuen Deutschland („Kirchlicher Mensch und völkischer Mensch: kein Widerspruch“). So beschäftigt ihn der aktuelle Heimatbegriff. Delp geht dabei von einer universaleren Idee als die Volkskundler in ihrer Brauchtumspietät aus. Sein Scharfblick richtet sich dann aber auf NS-Dogmen und die Mythen der deutschen Glaubensbewegung. Wie Plessner, der den Rassismus als Ergebnis philosophischer Selbstzerstörung denkt mit dem biologischen Substrat als letztem Gewißheitsgrund, begreift auch Delp den völkischen Götzen als „umgekehrte Transzendenz“, als korrumpierte Mystik oder „schwarze Gnosis“. Nicht Licht und Fülle göttlichen Geists sind Pol und Mitte der Welt, sondern die Rasse: „Das Blut ist heilig (…) Im Blut ruht des Geistes Wurzel“, so Jakob Hauer, Exponent der neugermanischen Bewegung und Projektor einer „deutschen Reichskirche“. Der heroische Mensch „gibt sich selbst die Gnade“, schreibt Ernst Bergmann. „Du selbst aber bist (…) ein so mächtiger Retter aus des Lebens Not, daß du gut tust, an den Heiland in dir selbst zu glauben (…) Ruf dich an in der Not, so wirst du dich erretten und du sollst dich preisen.“ Man sieht, Voegelins Verdacht, politische Religionen wurzelten im Prinzip hybrider „Selbsterlösung“, ist so abwegig nicht. Mit dem nationalsozialistischen „Klostersturm“ 1941 werden auch die Stimmen der Zeit eingestellt. Delp geht als Rektor an St. Georg nach München-Bogenhausen. Er erlebt den Bombenkrieg, wird bei der Gauleitung zusehends persona non grata; zahlreich hilft er verfolgten Juden im Untergrund und bei der Flucht aus Deutschland. Im März 1942 trifft Delp erstmals Helmuth von Moltke. Davon datiert seine Mitarbeit im Kreisauer Kreis, an dessen 2. und 3. Tagung er im Oktober 1942 und Februar 1943 teilnimmt. Angesichts des erwarteten Zusammenbruchs soll der Jesuit in den Beratungen die Umrisse einer christlichen Sozialordnung für die Nachkriegszeit entwerfen. Die von Moltke unterzeichneten „Grundsätzlichen Erklärungen“ betonen, im Christentum „wertvollste Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes, für die Überwindung von Haß und Lüge, für den Neuaufbau des Abendlandes“ zu sehen. Moltke wird im Januar 1944 verhaftet, Delps Teilhabe an der Konspiration indes nicht entdeckt. Zwar trifft er sich im Juni mit Stauffenberg, freilich ohne dessen Pläne zu kennen. Nichtsahnend arbeitet er an seinem letzten Werk, dem (verschollenen) Manuskript der „Dritten Idee“, dem Modell eines „personalen Sozialismus“ jenseits von Kapitalismus und Marxismus. Die Nachricht vom 20. Juli erreicht ihn übers Radio. Gleichwohl wird er am 28. von der Gestapo verhaftet und zwei Monate in Berlin verhört und dabei schwer mißhandelt. Seit Oktober in Tegel, wird er im Januar vor Freis-lers „Volksgerichtshof“ gerichtet: „Sie Jämmerling, Sie pfäffisches Würstchen. Und so was erdreistet sich, unserem geliebten Führer ans Leben zu wollen (…) Eine Ratte – austreten, zertreten sollte man so was.“ Und so geschah es: Am 10. Januar wurde Pater Delp zum Tode (durch den Strang) verurteilt. Sein Martyrium annehmend, schrieb er seinen Mitbrüdern: „So will ich zum Schluß tun, was ich so oft tat mit meinen gefesselten Händen und was ich tun werde, solange ich noch atmen darf: segnen. Segnen Land und Volk, segnen dieses liebe deutsche Reich in seiner Not und inneren Qual; segnen die Kirche, daß die Quellen in ihr wieder reiner und heller fließen; segnen den Orden, daß er echt und geprägt und frei sich selbst treu bleibt.“ Literatur zum Thema: Roman Bleistein: Alfred Delp. Geschichte eines Zeugen. Knecht Verlag (VJK), Frankfurt am Main1989, 532 Seiten, Abbildungen, 30 Euro Roman Bleistein (Hrsg.): Alfred Delp: Gesammelte Schriften I – V, eingeleitet von Karl Rahner. Knecht Verlag (VJK), Frankfurt am Main 1982-1988, 2.215 Seiten, mehrere Bände, 152 Euro Bisher wurden hier Eduard Wagner, Karl-Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke, Carl-Heinrich von Stülpnagel, Julius Leber, Dietrich Bonhoeffer und Albrecht Haushofer porträtiert.
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