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Die Ruhrstalinisten

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Wenn sie das Wort Kultur hören, dann sichern sie ihre Registrierkasse, die Gesellschafter von DGB und Bürgermeisterei. Dabei wollten sie doch einst die Werktätigen und die nicht mehr Werktätigen an der Ruhr aus Qual und Leid erheben, damit die sich das Erbe erwürben, um es zu besitzen, wenn sie sonst schon nichts besitzen: die Fabriken immer noch nicht, den Gewerkschaftsausweis nicht mehr. Gewerkschaft und Kunst, so die Legende, gehörten zusammen, allein schon wegen des Bildungsauftrags und so weiter. In Wahrheit ging das nie recht zusammen, bis heute nicht. Die Vertreter von Arbeiterschaft und ehrlicher Lohnarbeit stehen Künstlern und deren außertariflichem Produzieren verständnislos bis feindlich gegenüber. Kultur müsse sein, Kunst müsse sein, ist immer mal wieder zu hören. Nur welche Kultur und welche Kunst denn sein, also gefördert werden müsse, davon ist immer weniger zu hören. Im Hungerwinter 1946/47 hatten sich Hamburger Theaterleute in den Ruhrpott aufgemacht, um Kohlen für die Aufrechterhaltung ihrer Spielbetriebe zu erbetteln. Die Kohlen verschafften ihnen Bergleute der Schachtanlage 4/5 in Recklinghausen-Suderwich unter hohem persönlichem Risiko und an den britischen Besatzern vorbei. Im Sommer darauf kamen die Theaterleute zu einem Gastspiel wieder. Daraus sind die Ruhrfestspiele entstanden, doch die Grundvereinbarung „Kohle für Kunst – Kunst für Kohle“ gilt schon lange nicht mehr. Je weniger Schornsteine rauchten, um so gefälliger und zufälliger wurde das Programm der Festspiele, die unter Intendant Hansgünter Heyme zuletzt in künstlerischer Stagnation verharrten. Für dieses Jahr nun und bis zum Jahr 2007 wurde auf Vorschlag Gerard Mortiers – Intendant der Ruhrtriennale und der Festspiele und einer der gescheitesten Kunstmanager unserer Zeit – ein stahlgewitternder Anarchist, slawophiler Deutscher, arbeitsscheuer Aktivist, kein anderer als Frank Castorf also, zum neuen künstlerischen Leiter der Ruhrfestspiele berufen. Castorf sucht die Ruhrfestspiele neu zu positionieren, zweihundert Jahre gescheiterte Ideologie- und Industriegeschichte kritisch zu beäugen, ein Bewohn- und Besiedlungskonzept für das Festspielhaus zu entwickeln, das er zu einem „Ostbahnhof West“ umrüsten läßt, undundund. Vor allem jedoch versucht der Mann genau das zu produzieren, wofür er eingekauft wurde: Kunst, nicht etwa Gewerkschaftskunst. Dabei leistet er sich freilich auch hier all jene Fehler und Fehlgriffe, die seine Berliner Volksbühne jede Spielzeit neu abstürzen lassen, wie sie sie in die nächste Spielzeit hinüberretten. Und fast scheint es, als suche Castorf sein nicht mehr ganz taufrisches Theaterkonzept nach Recklinghausen hinüberzuretten, das in Berlin längst erfolgreich neuformuliert wird, und zwar von Matthias Lilienthal mit seinem Theaterkombinat HAU, dem Hebbel am Ufer. Zu viel Gewerkschaftsarbeit hält keine Gewerkschaftsführung aus. Und weit und breit kein Franz Mehring in Sicht, der den Funktionären in Recklinghausen plausibel zu machen verstünde, was sich da in ihrem Herrschaftsbereich volksbühnenbewegt. Von Castorf selbst wollen sie sich gleich gar nichts erklären lassen. Denn Ingrid Sehrbrock, Aufsichtsratsvorsitzende vom DGB, und Wolfgang Pantförder, Bürgermeister von Recklinghausen, paßt die ganze Richtung nicht. Da sie Castorf nicht gegen Bezahlung zum Aufgeben bewegen können, berufen sie eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung ein, wohl wissend, daß Minister Michael Vesper (Grüne) und Intendant Mortier, die ihnen die Asphaltkunst eingebrockt haben, zu diesem Termin verhindert sein würden, und lassen die fristlose Kündigung von Castorfs Vertrag aus „wichtigen Gründen“ beschließen. Wurden im Vorjahr noch 48.000 von 60.000 Karten verkauft, so waren es in diesem Jahr nur 22.000. Die Auslastung sank von 75 auf 34 Prozent, der Einnahmeverlust wird auf 700.000 Euro geschätzt. Da die Genossen Bosse vorab wußten, welche Kunst ihren Mitgliedern zuzumuten ist und welche doch besser nicht, hatten sie in diesem Jahr weniger als die Hälfte der sonst üblichen 20.000 Karten geordert. Doch Frank Castorf denkt gar nicht daran, den ganzen Bettel kurzerhand hinzuschmeißen wie Gerard Mortier den seinen. Mortier war angesichts der Vorgehensweise durch den Aufsichtsrat von seinem Vertrag als geschäftsführender Intendant der Ruhrfestspiele zurückgetreten. Castorf jedoch steht wie ein Mann, so fest wie eine Eiche, hat er doch seit seiner Anfängerzeit in Anklam und Brandenburg so manchen Sturm erlebt. Von daher auch ist ihm die Dreieinigkeit von Betriebswirtschaftern, denen subventionierte Kultur schon immer zu teuer, von Kritikern, denen sein Theater schon immer ein Dorn im Auge ist, und zuletzt von Kulturpolitikern, die immer schon wissen, was „unsere“ Menschen gerne sehen möchten, altbekannt. Das sagt er auch laut. Den DGB wiederum geniert der Vergleich mit der DDR oder dem Vorgehen stalinistischer Organisationen. Warum eigentlich? Arbeitnehmer Castorf besteht also gegenüber seinem Arbeitgeber auf Einhaltung des Arbeitsvertrags. Vorausgesetzt, daß er nicht lediglich um eine höhere Abfindungssumme spielt, verteidigt er damit gewerkschaftliche Errungenschaften gegen die Gewerkschaften, die Existenz der Ruhrfestspiele und nicht zuletzt die der Berliner Volksbühne, deren Eigenetat kaum noch für Eigenproduktionen langen dürfte. Vielleicht ist er schon morgen eine Leiche, wie es so vielen unsrer Brüder ging. Vielleicht aber ist er drauf und dran, im Ruhrpott anzukommen. Wenn die Gesellschafter nicht die Notbremse ziehen und ihre Festspiele aus finanziellen Gründen abschaffen, dann dürften die kommenden Jahre noch spannend werden. Castorf hätte sein Konzept zu überarbeiten und dafür zu sorgen, daß die Aufführungen und Aktionen das Konzept auch einlösen. Damit vielleicht auch die Kasse klingelt. Für Werbung haben Ingrid Sehrbrock und Wolfgang Pantförder eigentlich ganz gut gesorgt. Castorf sollte sie „aus wichtigen Gründen“ vertraglich einbinden. Foto: Frank Castorf: Fest wie eine Eiche, die manchen Sturm erlebt hat

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